Hauptbild
Siegfried bei den Festspielen Erl. Foto: Xiomara Bender.

Siegfried bei den Festspielen Erl.

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Minutiöse Welt-Erzählung – Der „Erler Ring“ findet in Wagners „Siegfried“ einen weiteren Höhepunkt

Vorspann / Teaser

Innerhalb der Parabel auf eine Welt, die von der Harmonie in der Natur bis in ihren kapitalistischen Untergang taumelt, wird der „Siegfried“ mitunter als das „Scherzo“ bezeichnet – und tatsächlich: im Passionsspielhaus der Tiroler Festspiele wurde bei der Begegnung von jungheldischem Weltenretter mit gut zwanzig Jahre schlafender Göttertochter gelacht – ehe am Ende einhelliger Jubel ausbrach.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Während sich im einstigen Wagner-Mekka Bayreuth ja alles auf den einen Komponisten und die jährliche Neuinszenierung konzentrieren kann, hat der rüde unschön nicht verlängerte Künstlerische Leiter Bernd Loebe – „kränkend“ (FAZ); „rausgekickt… der wohl fähigste und leidenschaftlichste Opernintendant im deutschsprachigen Raum“(Wiener Standard) – ja ein vielfältiges Programm für die „Tiroler Festspiele“ anzubieten – und dann mit einer überragenden Fachfrau wie Brigitte Fassbaender binnen einer Woche die zwei Schlussteile von Wagners Tetralogie angesetzt. Der fachlich dumme Vorwurf, Loebe, der seit anderthalb Jahrzehnten die Oper Frankfurt zum überragenden Ensemblehaus gemacht hat, würde Erl nur als Dependance Frankfurts behandeln, entlarvte sich am Abend selbst: die fast durchweg erstklassigen Solisten singen an allen internationalen Qualitätsopern – und eben auch in Frankfurt oder sind dort sogar Ensemblemitglied! Davon profitiert das kleine Erl zwischen Salzburg, München, Bregenz und Bayreuth.

Während im Erler Passionshaus das Orchester hochgestaffelt hinter der Bühne sitzt – durch Gaze zu ahnen, klanglich nicht beeinträchtigt – kann die nahe gerückte Bühne intensiv ausstrahlen. So war die Handlung, von der durch die eigene Wagner-Weltkarriere „buch-stäblich“ texterfahrene Regisseurin so Wort-bezogen, detailreich in stummer Reaktion, im realen Zusammenspiel und dann im sängerdramatischen Ausgestalten des jeweils eigenen Parts wie selten mitzuerleben – Festspielniveau.

Text

„In der ewigen Wiederholung ist doch zu Wagner alles schon gesagt“? Mitnichten, Fassbaender setzte reizvoll neue Akzente. Schon zum grüblerischen Vorspiel des 1. Aufzugs musterte Mime das schlafende Kind Siegfried im Bettgestell; das will nicht mehr mit dem Kuscheltier spielen, sondern mit dem Holzschwert – und attackierte den vermeintlichen Vater, ehe der es in den rundum projizierten Wald trägt. Als später Wotan-Wanderer aus dem Publikum kommend die Bühne betrat und die Wissenswette mit Mime spielerisch durchführte, nahm er für einen erinnerungsträchtig innehaltenden Moment das Kuscheltier seines Enkels in die Hand. Zu seinem Traum-Rausch von Weltherrschaft sprang Mime mit Anlauf auf den über der Feuerstelle an langer Kette hängenden Eimer und schaukelte jubelnd fast quer über die ganze Bühne – amüsiertes Bravo und Jubel.

Auch der 2. Aufzug brachte Ungesehenes. Alberich hauste als verwahrloster Waldschrat in einem kleinen Holzhaus über dem Waldboden und tröstete sich über den verlorenen Goldhort mit silbernen Bierdosen-Anhäufen hinweg. Er wurde beobachtet vom punkig-buntscheckigen Waldvöglein, das mit einem umhertänzelnden Partner heftig schmuste und bis auf die seitlichen Emporen „herumflog“. Dann beließ Fassbaender sensibel das „Waldweben“ als Ruhepunkt, ehe der mit dem Tarnhelm ja mutierte Fafner als schwarzes Monster von einem hereindrehenden Safe, vor dem noch Eimer mit Gold stehen, herabtrat: eine Waffen-strotzende Mischung aus „Darth Vader“ und Si-Fi-Actionbestie; doch selbst der Hand-Flammenwerfer rettete ihn nicht vor Siegfrieds Schwert. Dessen, durch Fafners Blut Naturstimmen-wie-das-Vöglein-Verstehen, wurde anschaulich wie selten gemacht.

Und dann gelang, dass der 3. Aufzug zum packenden Höhepunkt des Abends wurde. Zur grandiosen Eröffnungsmusik – der durch die dazwischen geschobenen Kompositionen des „Tristan“ und der „Meistersinger“ gereifte Wagner! – war ganz vorne ein kleines Edel-Boudoir hochgefahren: neben Empire-Schlaftischchen mit Nachtlampe ein nobles Doppelbett mit runder Couch-Ecke und opulent ausgeleuchteter erdbrauner Satin-Bettwäsche. Darin ruhte eine Traumfrau, die ewig jung und schön und anmutig verführerisch gebliebene Erda – da war nicht nur Wotan-Wanderer, sondern ein Gutteil des männlichen Publikums in Versuchung, auch noch das Jackett auszuziehen. Ihre finale, vokal und musikdramatisch überwältigende Auseinandersetzung geriet zum tönenden Höhepunkt und zur bezwingenden Vorausdeutung auf das, was folgen wird: Götterdämmerung und Weltende.

Text

Wo dann ein Spannungsabfall zu befürchten war – wenn der durch zwei aktionsreiche Akte geprüfte Held auf ein „zwanzig Jahre ausgeruhtes Heldenweib“ trifft – geriet alles zum weitgespannten Gipfeltreffen inmitten projizierter Felsenlandschaft, mit ein wenig rot leuchtenden Seitenwänden und einem rauchenden Feuerstreifen im Bühnenvorderen. Davor war an Stelle von Erdas versunkenem Boudoir der Felsblock hochgefahren, auf dem Wotan im Walküren-Finale Brünnhilde in Schlaf versetzt hatte. Dann wirkte Siegfrieds „Fürchten“ vor dieser, schwarz-glitzernd gepanzerten Figur so eindringlich, dass das zögerlich-ängstliche Lösen von drei Panzerteilen und sein „Das ist kein Mann!“ angesichts von Brünnhildes wohlgeformten Frauenkörper einfach amüsiertes Lachen im Publikumsrund auslöste. Die Regie ersparte beiden ein bemühtes Wachküssen: Siegfried kniete, wärmte Brünnhildes Füße mit seinen Händen – und sein angedeuteter Kuss könnte ihrem schlafenden Schoß gegolten haben … zahllose Nuancen des dann folgenden zarten Annäherns und „Öffnens für den Anderen“ wären auszubreiten. Zurecht einhelliger Jubel für Brigitte Fassbaender und das um Ausstatter Kaspar Glaner versammelte Bühnenteam!

Es gelang nicht nur das vokale Liebesrasen des Finales – in Bayreuth werden Teile des Orchesters, insbesondere die Blechbläser, für den 3. Aufzug ausgewechselt – das geht in Erl nicht, dennoch musizierte das aus 20 Nationen zusammenkommende Festspielorchester unter Erik Nielsens jetzt scheinbar neubeflügelnder Leitung nun mitreißend. Mit Ausnahme des gelegentlich angestrengten Höhen-Gezwitschers von Anna Nekhames’ Waldvöglein war ein vokales Traum-Ensemble zu erleben: Peter Marshs Mime, Craig Colcloughs Alberich, Anthony Robin Schneiders Fafner – zurecht mit Bravi gefeiert – und dann wird es schwer: gebührt der größere Lorbeer Simon Baileys souveränem Wanderer (überragende Textverständlichkeit!) in der unvergesslichen Szene mit der pastos betörenden Erda von Zanda Švëde? Oder dem klar artikulierenden und heldisch bestehenden Siegfried von Vincent Wolfsteiner neben der herrlich strahlenden Brünnhilde von Christiane Libor? Einfaches Urteil: rundum Musiktheater-Glück in Erl! Einfach zu bejubeln!

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!