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Fotoprobe „Ernani“ 2023. © Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Fotoprobe „Ernani“ 2023. © Bregenzer Festspiele/ Karl Forster.

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Missratene Groteske – Verdis frühe Musikdramatik „Ernani“ bei den Bregenzer Festspielen

Vorspann / Teaser

„Festspiel“ soll sich ja mitsamt seinen gehobenen Preisen über die reguläre Spielzeit erheben: Das Gute darin bekommt durch das jetzt Außergewöhnliche Wert – und rechtfertigt damit vieles. Die Bregenzer Festspiele entwickelten seit Intendant Wopmann dazu ihre eigene Dramaturgie: im Festspielhaus die sonst kaum anzutreffende „Opern-Orchidee“ – und auf der Seebühne das populärere Werk in singulärer Realisierung, oft mit Hereinspielen der Natur.
 

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Im Festspielhaus „erblühte“ diesmal szenisches Unkraut. Von Intendantin Elisabeth Sobotka war Regisseurin Lotte de Beer nach einer befremdlichen Rossini-Inszenierung – vgl. nmz online vom 21.07.2017 – erneut eingeladen. Leider verwechselte de Beer Verdis 1844 uraufgeführten „Ernani“ mit Jarry-Pendereckis „König Ubu“ – und dann hatte sie nicht das szenische Können, um eine hinreißende Groteske à la Herbert Fritsch zu gestalten: eben ein Werk so völlig zu überdrehen, dass es schon wieder hinreißend wird. Bei ihr und ihrem Ausstatter Christof Hetzer spielte alles auf einer flachen, wüsten Erdscheibe. Darauf turnte die hinzuengagierte Stunt-Factory als wild-rüde, Blut verspritzende Räuberbande mit Holzschwertern und Kampfstangen umher und der große Prager Philharmonische Chor agierte mit und sang volltönend dazu.

Ein weißer Holzkubus mit Bett sollte Gräfin Elviras Gemach bilden – nur mit kleiner Tür, sprich: Bücken für alle Dienerinnen. Um die Tür zu umgehen stieg Spaniens König Carlos mit balaner Holzleiter durchs übergroße Fenster – und ihr Geliebter Ernani brach herein indem er einfach eine Papierwand durchhaute. Gemäß Librettist Piave und Verdi soll Carlos dann in der Aachener Grablege Karls des Großen zu Kaiser Karl V. gewählt und gekrönt werden – auf der Bregenzer Bühne ein armseliges Stonehenge und der arme Carlos musste schon als Liebhaber mit großer Leibbinde und dann nackter, nur gaze-verhüllter, nicht mehr ganz jugendlicher Männerbrust samt güldener Pappkrone auftreten – jetzt bekam er eine doppelt so große Pappkrone … Dutzende Regieeinfälle von ähnlichem Nicht-Niveau, das eben nicht an Samuel Becketts oder Jean-Paul Sartres absurde Bitterkeiten heranreichte, wären aufzählbar – passend zu de Beers Äußerung, dass sie Verdis Musik „geil“ fände.

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Fotoprobe „Ernani“ 2023. © Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

Fotoprobe „Ernani“ 2023. © Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

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Deren rettende Realisierung lag in Enrique Mazzolas Händen: in höchst sensibler Feinzeichnung zu traumhaft ruhigen Piano-Szenen, mit kantigem Zupacken für voluminöse Chor-Szenen und differenziert steigernden Stufen zu großen emotionalen Ausbrüchen und immer wieder rasanten Tempi – früher Verdi „at his best“ von den prompt so reagierenden Wiener Symphonikern. Und dann ist „Ernani“ ja ganz leicht: neben guten Comprimarii einfach die vier besten Sänger der Welt engagieren, wie dann später für Verdis „Trovatore“.

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Fotoprobe „Ernani“ 2023. © Bregenzer Festspiele/ Karl Forster

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Doch der neue Künstlerische Betriebsdirektor Michael Csar engagierte einfach: mit Goran Jurić einen herrlich strömenden Bass für den tödlichen Racheengel Don Silva, einen Hünen, der sich stimmlich locker aus dem ihm verordneten rollenlosen Schreitstuhl erhob und die Schlafmütze auf dem Kopf vergessen machte; mit Guanqun Yu einen ebenso herrlich strahlenden, echten Verdi-Sopran für die von drei Männern begehrte Elvira … und dann wird es schwer: da stand mit Saimir Pirgu ein schlank-rank-agiles Mannsbild mit virilem Ernani-Tenor auf der Bühne, aus beeindruckend tragendem Piano dann mühelos echte Stretta-Power verstrahlend – und kontrastiert von einem warm und rund und füllig tönenden Bariton, mit dem Franco Vasallo trotz unsäglicher Kostümierung erst Carlos und dann Karl V. vokale Grandezza verlieh: „Mitleid ist eine erhabene Tugend“ wird ihm vorgehalten – und er handelt mit Verdis anrührendem Melos danach. Davon und dem ganzen, für die Handlung unverzichtbaren rigoros inhumanen Moral- und Ehrenkodex – etwa in Söldner- oder Mafia-Strukturen - war den Abend über nichts zu erleben. Kein auf Festspielniveau innovativ interpretierendes Musiktheater – vielmehr: Augen zu – und musikdramatisches, musikalisch-vokales Verdi-Glück.

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