Eine mal etwas andere Premiere. Reden wurden geschwungen, bevor Moritz Eggerts Uraufführungsoper „Dr. Popels fiese Falle“ (ein Cartoon-Titel, fetzig wie eine Klinikpackung Doppelburger) losging. Das Ungewöhnliche daran: ein Schulprojekt, realisiert vom Frankfurter Lessing-Gymnasium, mit den Ressourcen der Oper und unter professioneller Anleitung. Eine auch für den erwachsenen Kunstfreund reizvolle Zusammenführung, für Deutschland noch beinahe Neuland. Die Frankfurter Erfahrung begeisterte sich an der Erschließung jugendlichen Musizier- und Spielvermögens: gegen notorische Unterforderung.
Eine mal etwas andere Premiere. Reden wurden geschwungen, bevor Moritz Eggerts Uraufführungsoper „Dr. Popels fiese Falle“ (ein Cartoon-Titel, fetzig wie eine Klinikpackung Doppelburger) losging. Das Ungewöhnliche daran: ein Schulprojekt, realisiert vom Frankfurter Lessing-Gymnasium, mit den Ressourcen der Oper und unter professioneller Anleitung. Eine auch für den erwachsenen Kunstfreund reizvolle Zusammenführung, für Deutschland noch beinahe Neuland. Die Frankfurter Erfahrung begeisterte sich an der Erschließung jugendlichen Musizier- und Spielvermögens: gegen notorische Unterforderung. Die Musik des aus Frankfurt stammenden 37-jährigen Komponisten kommt locker und grellbunt daher, klebt ein Allerlei aus Stilen und Zitaten zusammen, flottiert munter zwischen Musical und Oper; schert sich wenig um Unterschiede zwischen Klassik und Pop. Die behände ineinander greifenden Tonfälle erfordern aber sicher größte Geistesgegenwart. Auch das Schrille, Lärmige, Chaotische muss pünktlich und punktgenau abgeliefert werden. Dirigent Roland Böer konnte sich offenbar auf seine klingenden Truppen verlassen – auf die liebevollst einstudierten und reaktionssicheren Chöre und das Orchester des Lessing-Gymnasiums.Deren typischer „Schulklang“ machte sich der Komponist bei seiner Partiturarbeit so raffiniert zum Leitbild, dass etwas in seiner Art Perfektes entstehen konnte, was mit der Halbgüte einer bemüht philharmonischen Laienbestrebung nichts mehr zu tun hatte. Es hat ja auch etwas Wohltuendes, wenn Streicher- oder Blockflötentutti weniger gepflegt als subversiv klingen. Jedenfalls entsprechen solche Klangfarbfelder, Geräuschflecken oder Lärmstöße akkurat den Intentionen des Komponisten, die ihrerseits auf diese Klanglichkeit aus sind: Entwicklung einer kindlichen Musiksprache, ein durchaus experimentelles Unterfangen (an das leider viele Komponistengenerationen nicht im Traum dachten). Eggert beginnt sogar auf amüsante Weise didaktisch, indem er die beteiligten Instrumente einzeln oder als Gruppe vorstellt. Der weitere, durchweg turbulente Musikverlauf wird gelegentlich auch durch kleine Arien oder Mini-Ensembles für Momente ruhig gestellt, bevor es dann wieder mit markigen Chorbildern oder rasanten Orchestergewittern weitergeht. Gewiss hat Eggerts Musik ein Pionierstück wie Henzes „Pollicino“ im Hinterkopf, aber in ihrer Beweglichkeit, Unbefangenheit und Drastik trifft sie sich besonders gut mit einer von viel Heterogenem berührten Wahrnehmung. Als Schüler Wilhelm Killmayers aktiviert Eggert, sozusagen Orff-Enkel, natürlich auch die Ostinato-Prinzipien, die er lebhaft mit minimal-music-Ingredienzen kurzschließt. Von besserwisserisch Altmeisterlichem hält er sich geschickt fern, und es ist ein durch aus unernstes Augenzwinkern, mit dem er Denkmalsfragmente wie Arbeiterkampflieder oder Ravels Bolero (auffällig unauffällig) hereinfunken lässt. Kindermusik, kein asketisches Hänschenklein, sondern das wirbelnd integrierte Alles-schon-mal-Gehörte energisch neu verquirlt.
Die Geschichte, die die Oper erzählt, ist durchschossen von Selbstironie. Die Oper, kein fertiges Produkt; sie wird in statu nascendi vorgeführt. Der Komponist Moritz Eggert hat erst gar keine Lust auf das Stück, denn er kann Kinder nicht leiden. Erst der fette Auftrag der Oper Frankfurt macht ihn spitz. Und gegen Ende wird er als Autor von den Kindern sogar hochdramatisch entmachtet – sie wollen sich ihre Oper selbst aneignen. Diese Ironievolte wendet sich freilich auch gegen die jugendlichen Akteure, deren antiautoritäre Attitüde nur allzu merklich wird als Theater auf dem Theater, als wohlinszenierte Aufsässigkeit.
Klar gestellt ist freilich auch, dass mit dem Eigensinn der Kinder zu rechnen ist. Kinderpopel ist denn auch der Nährstoff des gleichnamigen fiesen Doktors, dessen vampiristische Perversion darauf hinausläuft, seine kindlichen Opfer in Gartenzwerge zu verwandeln. Das schlimme Handwerk wird ihm gelegt von den beiden phantasiebegabten Kindern Abú Schabú und Ola Obelli; die sich das alles womöglich nur ausdenken. Auch ihre Eltern (ärmliche, von Mietersorgen bedrohte Existenzen, Reminiszenzen an Humperdincks „Hänsel und Gretel“) tappen arglos in Dr. Popels Falle. Der Fiesling hat Helfershelfer (die Horde der Trollgomolle), aber auch die Kinder versichern sich mächtigen Beistands aus einer anderen Welt, indem sie Fritz, den Chef der unbezahlbaren Riesen, aus dem Fernsehgerät in die Wirklichkeit holen. Am Schluss wird nicht nur Dr. Popel unschädlich gemacht, sondern auch noch das Zauberbuch (das Libretto) geknackt.
Schon bahnt sich im Entzauberungsglück der Alltagskater an, da schrillt das Telefon: Oper Frankfurt! Aufs Neue verzaubernde Final-Pointe. Das umstandslose Surfen in virtuellen Ebenen gehört zum selbstverständlichen Bestand moderner Kinderstories, ist aber auch schon seit „Frau Holle“ und „Alice in Wonderland“ im Kinderrepertoire. Andrea Heusers Textbuch reiht die einschlägigen Motive und Fertigteile anmutig aneinander. Marion Menzigers Pappkarton-Bühnenbild und Heike Ruppmanns Kostüme (realisiert mit der Lessing-Kunst-AG) geben der Drehbühne farbenfrohe Belebung: Die (mikrophonverstärkten) jugendlichen Sängerdarsteller waren mit Hingabe bei der Sache: der winzige Abú Schabú von Manuel Zschunke wartete mit verführerischem Sängerknabentimbre auf, die Ola Obelli von Jane Droste war vokal temperamentvoll, die Doppelrolle Komponist/Popel souverän mit dem Bariton Martin Busen besetzt; ansprechend auch das Elternpaar (Malte Dahme, Indu Rani Sinha) und die Superman-Persiflage Fritz von Helga Matzel. Unendlicher Jubel im Haus. Ein Eckstein in Sachen Kinderoper, der kein Schlussstein bleiben sollte.