Seit Jahren werden freiwerdende Stellen in Rundfunkanstalten nicht wiederbesetzt. In den verbliebenen acht Kulturradios der ARD gibt es immer weniger Redaktionen für Berichterstattung, Jazz, Neue und Globale Musik. Auch bei Sachbearbeitung, Studiotechnik und Sekretariaten wird gespart. Vielfalt und Regionalität schwinden. Und wie geht es mit den Sendungen, CD-Produktionen und dem Forum neuer Musik des Deutschlandfunk Köln weiter, wenn der hierfür verantwortliche Redakteur Frank Kämpfer Mitte 2026 pensioniert wird?
Musik aus dem Ostseeraum
Gegründet wurde das Festival von Reinhard Oehlschlägel, der die ersten beiden Ausgaben 2000 und 2001 organisierte. Seitdem stellte Frank Kämpfer jährlich vier bis maximal zehn Konzerte zusammen. Seit 2006 verband er das Forum mit aktuellen Zeitfragen, thematischen und regionalen Schwerpunkten. Zudem konzipierte er die Veranstaltung radiophon, indem er Vorträge und Podiumsdiskussionen einbezog und mit anderen Fachredaktionen kooperierte, die das Festivalthema aus verschiedenen Perspektiven beleuchteten und auch in anderen Sendeplätzen verankerten. Behandelt wurden die Jahrestage von Erster Weltkrieg 1914, Kriegsende 1945 und Revolte 1968, ferner „Dialoge mit Gott“, „Jüdische Identitäten“, „Postmigrantische Visionen“, Transhumanismus sowie hierzulande weniger beachtete Regionen wie Balkan, Mittlerer Osten, Ostasien und Lateinamerika.
Wie bei allen Festivals waren auch beim Forum neuer Musik bestimmte Komponierende und Ensembles über viele Jahre immer wieder vertreten, darunter die Ensembles 20/21 und Aventure sowie Organist Dominik Susteck. Im Gegensatz zu anderen einschlägigen Veranstaltungsrreihen neuer Musik gelang es Frank Kämpfer jedoch, auf sonst omnipräsente Modeerscheinungen und Dauergrößen zu verzichteten und stattdessen alternative Namen und Positionen zu präsentieren. Das Forum bot während der vergangenen 25 Jahre insgesamt 113 Konzerte und 585 aufgeführte Werke, darunter 155 von Frauen und 168 Uraufführungen, davon 88 Auftragskompositionen des DLF und hiervon wiederum 35 von Komponistinnen.
Musik aus dem Ostseeraum
Die Jubiläumsausgabe 2025 bot im Kammermusiksaal des DLF Köln zwei lange Abende unter dem Titel „Am Meer des Friedens“. Das Motto war einer Initiative der DDR entlehnt, die 1958 eine internationale Ostsee-Woche aller Anrainerstaaten ins Leben rief, damit das trennende Gewässer ein alle verbindendes „Meer des Friedens“ werde. Wie einst im Kalten Krieg ist die Ostsee auch heute wieder eine Demarkationslinie zwischen NATO und Russland sowie Schauplatz von russischer Schattenflotte, Provokations- und Sabotageakten auf Leitungen und kritische Infrastruktur. Das 2001 gegründete „Ensemble Reflexion K“ spielte Stücke von Komponierenden aus den Anrainerländern Polen, Estland, Russland, Finnland, Schweden, Deutschland und auch der Ukraine. Alle Werke waren zuvor am westlichsten Ufer der Ostsee beim Festival „Provinzlärm“ in Eckernförder aufgeführt worden. Mit dem großformatig über der Bühne projizierten Titelbild – ein Verband anrückender Kanonenboote – hatte all diese Musik freilich nichts zu tun.
In Sergej Newskis „Blindenalphabet“ schälte das Knopfakkordeon zerstückelte Folklore-Fragmente aus sanftem Rauschen von Schmirgelpapier und Blasebalg. In Lisa Streichs „Asche“ waren Klarinette und Violoncello quer über den Saal verteilt, um fragile Liegeklänge und kreischende Spitzentöne umso enger zu verschmelzen. Indem das Blasinstrument das Streichinstrument phasenweise komplett übertönte, wirkte es wie ein Filter, der nur die quietschenden Bogenwechsel und intonatorischen Unsauberkeiten hervortreten ließ. Tatjana Kozlova-Johannes verwandelte in „Doors 2“ Flötenfauchen zu mikrotonal verbeulten Melodien, die wie Uhren auf Bildern von Salvador Dalí wachsweich dahinschmolzen. Vom Gründer und Leiter des Ensembles Gerald Eckert wurde „Schwarzrand“ uraufgeführt. Bass- und Kontrabassvarianten von Flöte, Klarinette, Streichern, Akkordeon sowie tiefe Gongs, Tamtam, Trommeln und elektronische Zuspielungen von Raunen, Hauchen und tröpfelndem Regen schufen eine düstere Atmosphäre, deren Tarkowski-Melancholie jedoch mehr inszeniert als eindrücklich wirkte.
Sowjetunion und DDR
Wie das Forum gibt es auch das Asasello Quartett seit 25 Jahren. Die in Köln ansässige Formation hat im DLF zuletzt sämtliche 15 Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch auf CD aufgenommen. Nun spielte sie mit Hannah Weirich als perfekt integriertem Substitut an der zweiten Violine Schostakowitschs 13. Quartett mit plastisch und intensiv herausgearbeiteten Gegensätzen. Zur Uraufführung gelangten die material und formal schlüssigen „Augenblicke, länger als ein Leben“ der 1971 in Kasachstan geborenen Jamilia Jazylbekova. Die vier Streicher sind hier wie von einem Brennglas zum pfeifend hohen Unisono gebündelt, das sich beim Absinken in ein sirrendes Spektrum aufspreizt und nach flatterhaften Gesten wieder in die anfängliche Spitzenlage zurückführt.
Im Gespräch mit Anna Schürmer erzählte Frank Kämpfer, dass schon sein Vorgänger Oehlschlägel Musik aus der DDR im für ganz Deutschland zuständigen DLF vorgestellt habe und er dies dann auch beim Forum neuer Musik gemacht habe. Zudem berichtete der Redakteur von seiner musikalischen Sozialisation in der DDR und insbesondere von Komponisten wie Friedrich Schenker, Friedrich Goldmann und Georg Katzer, die sich widerständig gegenüber dem SED-Regime positioniert und zugleich von staatlichen Aufträgen und Festanstellungen profitiert hätten, die dann mit der Wiedervereinigung 1990 für einige weggebrochen seien.
Polen und Deutschland
Das gemeinsame Konzert der Ensembles E-MEX und SpóĹ‚dzielnia Muzyczna Contemporary aus NRW beziehungsweise Kraków unter Leitung von Christoph Maria Wagner entlehnte seinen Titel „Listen and Think“ einem Stück von Zygmunt Krauze. Ihre appellative Spannung bezog diese Uraufführung aus dem Kontrast zwischen der nüchternen Auflistung dutzender Folgekriege nach 1945 bis zum gegenwärtigen Ukrainekrieg samt Abermillionen Toter sowie der expressiven Vertonung dieser Schreckensbilanz und deren ausdrucksstarker Interpretation durch Bariton Renatus Mészár. Uraufgeführt wurde auch „Waisengarten“ des polnischstämmigen Israeli Eres Holz. Brüchige Klänge tasten zaghaft durch Generalpausen und ballen sich plötzlich zu schroffen Dissonanzen, die ebenso unvermutet zartem Glockenspiel weichen. Das Klangsymbol irreal gewordener Kindheit wird dann durch das erneut einsetzende Mahlwerk umso brutaler zermalmt.
Im Wechsel mit weiteren Stücken von Monika Szpyrka, Olga Neuwirth, Krzysztof Penderecki und Juan Allende-Blin rezitierte Olaf Reitz aus dem Band „Dojczland“ von Andrzej Stasiuk. Der polnische Schriftsteller träumt in seinen 2008 erschienenen Erzählungen über Reisen durch Deutschland von der DDR als dem verlorenen Bindeglied zwischen Slawen und Germanen, Rom und Byzanz. Ansonsten reproduziert er jedoch vor allem ungute Klischees über Deutsche, Polen, Ossis und Wessis, deren ironische Überspitzung den Freund-Feind-Schemata weder ihre deprimierende Schwere nahm noch den thematisch ganz anders gelagerten Musikstücken etwas zu sagen hatte.
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