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Ein an sich gutes Zeichen: Die Donaueschinger Musiktage werden gegenüber der Presse, was die Kartenvergabe anbelangt, knausriger. Der Andrang setzt sich fort. Er war in den letzten Jahren stetig angewachsen, nicht zuletzt durch radikale Streichvorschläge seitens des damaligen Südwestfunks und der damit gestiegenen Einsicht in die Wichtigkeit Donaueschingens, vor allem aber durch das steigende Interesse eines Publikums, das erkennt, wie langweilig das schöne Alte ohne das bissige Neue ist. Das ist erfreulich, wird aber – das ist unabhängig von Donaueschingen – von manchen Komponisten in vorauseilendem Gehorsam dazu genutzt, eigene Radikalität zu mindern oder zu mildern. Armin Köhler, Leiter und Programmgestalter der Donaueschinger Musiktage, hat freilich meist ein waches Auge darauf, dass solche Devotionsbezeigungen beim Festival nicht zu sehr überhand nehmen. Das aber macht die Auswahl nicht leichter – und traut man gar einem Kompositionswettbewerb mit namhafter Jury, dann könnte man, wie dieses Mal, damit eher ins Leere stoßen.
Doch von Anfang an: Es war in unserer sample-verliebten und -durchsetzten Welt längst zu erwarten gewesen, dass „ganz Donaueschingen“, also das archivierte Klangmaterial von rund 70 Jahren, fein gehackt in einen Topf geworfen und als Ragout abgeschmeckt würde. Alvin Curran nahm den anderen Komponisten die Mühe ab. Sein Eröffnungsstück „Totodonaueschingen“ zu den diesjährigen Musiktagen warf der Stadt ihre in Sachen Neuer Musik so ruhmreiche Geschichte aus den Büschen und Hecken des Schlossparks entgegen.
Alvin Curran (c) charlotte oswald
Nach dieser lustvoll tabula-rasa-artigen Vergangenheitsbewältigung konnte man sich anstehenden Problemen dieser Musiktage widmen. Sie hatten eine Überschrift: das Audiovisuelle. Zweifelsohne ist es eine Lieblingsidee von Armin Köhler. Freilich könnte es sich einmal als ein vorschnelles Urteil herausstellen, dass wir heute in einer durchvisualisierten Welt lebten – man denke nur an die vielen Milliarden Stunden, die allein Deutschlands Bürger eingeklemmt zwischen zwei Ohrstöpseln und geschlossenen Auges am Walkman verbringen.
donaueschingen (c) Charlotte Oswald
Dennoch spräche der Verdacht, dass nur solche Komponisten zum Audiovisuellen greifen, denen der Stoff zum Komponieren ausgeht, diesen wichtigen gegenwärtigen Tendenzen auf alle Fälle Hohn. Oft freilich hinken die Ergebnisse hinter der Erkenntnis von der Wichtigkeit her. Zu einer professionellen Abwicklung, wie die Video-Clips vornehmlich aus dem Pop-Bereich demonstrieren, haben es die meisten reflektierteren Komponisten (vielleicht deswegen) noch nicht gebracht.
Mag sein, dass sich dieses Jahr die seit Köhlers Antritt institutionalisierten Klangskulpturen besser in die Landschaft des Festivals fügten. So wurde der Gewölbekeller der Hofbibliothek durch sinister huschende Klänge von Sabine Schäfer und Joachim Krebs (Sonic Lines ‚n‘ Rooms) noch unheimlicher, Rilo Chmielorz egalisierte dies im Gusseisentreppenhaus des F.F. Kammergebäudes durch eine „Himmelsleiter“ mit goldlamettaartigen Klaviersaiten.
Vielleicht hatte Johannes S. Sistermanns mit „Überschreiten Raum Allein“ im Treppenhaus des Blauen Rathauses musikalisch das Aufregendste zu bieten. Die Stockwerke waren akus-tisch gegliedert, auditive Orientierung und Überlappungszonen prägten die akustischen Eindrücke. Und im abseits liegenden Schlosspark-Pavillon versuchte Norbert Walter Peters in „Vasi-on“ einen gewiss nicht ganz einfachen Kontakt zu Bewusstseinsformen aus der Zeit der Höhlenmalerei herzustellen.
Doch Skulpturen sind fraglos nur eine Seite und die wohl eher am Rande. So waren der Münchner Komponist Zoro Babel zusammen mit Daniel Ott und Michael Hirsch eingeladen worden, jeweils eine kurze knapp halbstündige Vision audiovisueller Möglichkeiten abzuliefern.
Michael Hirsch brachte mit „...Kleinigkeit, etwas mehr Meer..“ einen Wortschwall des angeblich schizophrenen österreichischen Dichters Ernst Herbeck mit, dessen gedrängter Duktus in gestückelten Sprachfetzen und mit ausgesuchten instrumentalen Zuordnungen gleichsam zur psychischen Ausgangslage renaturiert wurde. Von Daniel Ott kam mit „Ojota III“ ein Tanz vieler Schuhe mit und ohne Füße, und mit ihm ein in sich verspielter, launischer Traum eines freien Unterwegs-Seins.
Und Zoro Babel stellte in „Töne aus Sichten“ mit hintergründigem Humor und mit Fokussierung auf die den Gegenständen innewohnenden Klangeigenschaften seine zu Musikinstrumenten umfunktionierten Bundeswehrspinde vor. Klänge, oft in harten Rhythmen, wachsen aus diesen sich verselbstständigenden Geräten und prägen der musikalischen Form materialeigene Dauern und Formkonturen auf.
Unerwartete Bewegungen, schräge Abläufe, Zäsuren setzende Videobilder einer unruhig aufgebrochenen Fläche, stets sucht Babel den Blick und das Ohr auf den Gegenstand selbst zu lenken, das Zutun des Komponisten hat Züge des Handlangers.
Hier schon konnte man ahnen, dass die technische Begrenzung, sei es aufgrund der eingeschränkten Donaueschinger Voraussetzungen, seien es die der Produktion selbst, manch ungenügende oder unbefriedigende Aspekte an die Oberfläche spülen könnte. So war es denn auch in Alan Hilarios „Early 70’s, three Scenes in Brooklyn Street, Cubao“, wo die auf Trommel oder Schlagblech projezierten Bilder aus der eigenen Kindheit nur in lose und wenig einleuchtende Korrelationen trat. Die Musik entwickelte sich von schwerflüssigen Unisono-Linien zu immer größerer struktureller Ausdünnung, ohne dass hierdurch eine sinnfällige Stringenz erzeugt wurde.
Dagegen zählte das halbszenische Stück von Peter Eötvös „As I crossed a bridge of dreams“ zu den stimmigsten Produktionen der Musiktage. Tagebuchnotizen zwischen Traum und Wirklichkeit, die eine japanische Hofdame im Jahre 1008 notiert hatte, wurden hier in luzid zwingende Töne gesetzt. Schön wirkt die Ruhe, die in den letzten Arbeiten von Eötvös immer mehr Gewicht gewinnt, sich gehaltvoller füllt.
Die Musik erzählt von weiten Seelenlandschaften, die meist statischen Bilder, Korrelation von der Rezitatorin (Claire Bloom) und ihrem „Alter ego“, dem Posaunisten Mike Svoboda, wirkten als suggestive Untermalung. Dahinter, durch einen durchsichtigen Vorhang getrennt, tauchten psychologische Spiegelwelten auf, Traumstimmen, ein Schatten des „Alter ego“ und als „Mondgänger“ ein Sousaphon mit erleuchtetem Schalltrichter. Sparsame Zeichen einer fragilen Welt, eingehüllt in suggestive Klänge der Stille.
Manches, etwa die sich bewegenden Klangquellen, mochte hier auch von den ästhetischen Konzepten Stockhausens herkommen, der dieses Jahr nach längerer verordneter Abstinenz als ausgewiesene Attraktion nach Donaueschingen zurückkehrte. Zur Aufführung kam „Lichter – Wasser“, das Eröffnungsstück des „Sonntag“, der letzten Oper im siebenteiligen Zyklus „LICHT“.
Stockhausen (c) Charlotte Oswald
Es ist der Tag der mystischen Vereinigung und immer mehr drängt es Stockhausen hin zu harmonisiertem, widerspruchsfreien Klang. Das ist herrlich komponiert, wunderschön die Raumklangausstattung durch das Freiburger Experimentalstudio. Kein anderer Komponist heute vermag Einklang oder den Kontrapunkt zweier Linien so zwingend, so sinnlich leuchtend zum Klingen zu bringen. Dennoch wächst gleichermaßen das ästhetische Befremden gegenüber dem Gesandten vom Sirius, als den sich Stockhausen begreift. Die Fracht nämlich, die dieser hüllende Klang transportiert, hat zu viel schwer Erträgliches, zu viel an demonstriertem Sendebewusstsein und offener Heilslehre-Emphase.
Vielleicht ist es das nunmehr fast dreißigjährige Komponieren über wenige Urformeln, das von selbst zum Naturklang, zum so deutlich hörbaren Dur zurückdrängt. Stockhausen stellt dem wenig Schärfe entgegen und die Musik droht mitsamt ihrem problematisch mystisch kandierten Text in manch Untiefen zu geraten, die auch durch einen ironischen Sidestep Stockhausens nicht aufgefangen wurden (nach einer volumenreichen Stelle klatschen Musiker, der Ablauf wird unterbrochen, die Stelle wird, weil sie gefiel, noch einmal wiederholt). Demgegenüber wirkte ein Konzert des bolivianischen „Orquesta Experimental des Instumentos Nativos“ mit Arbeiten des Brasilianers Tato Taborda sowie des Orchesterleiters Cergio Prudencio wie von neuer Luft beseelt. Denn die Bolivianer boten mit Schlagwerk und einer Fülle unterschiedlicher Flöteninstrumente faszinierende Einblicke in Landschaften, für die Luft – in 4.000 Meter Höhe – eine ganz andere, tiefer existenzielle Bedeutung hat. Und dies drang direkt in den Klang, sein heftig atmendes Hervorbringen und sein Abflauen, ein. Solche Nationenprojekte sind wertvolle Sichterweiterung der Musiktage.
Wenig existenziell fiel hingegen das enttäuschende Abschlusskonzert aus – schade für Sylvain Cambreling, der hier sein erstes Konzert mit dem SWR-Sinfonieorchester bestritt. Das nur schwer diskutable, spätromantisch grundierte Orchesterwerk „Ombre“ von Laurent Mettaux, Preisträger des Donaueschinger Förderpreises, war, gleichsam am vorgeblichen Publikumsgeschmack orientiert, instinktsicher in den Sand gesetzt.
Dem bot wenigstens das Abschlusswerk „Camera lucida“ der Japanerin Misato Mochizuki kraftvoll Pendant. Immer wieder baute sie über Tempoverzahnung und kontrapunktischen Zeitüberlagerungen spannende, sinnlich durchlebte Steigerungs- und Erschöpfungsprozesse auf, die selbst in schrillsten Ausbrüchen immer noch vom Ohr kontrolliert wirkten.
Die dazwischen gestellte und aus unerfindlichen Gründen zwei Mal, vor und nach der Pause, gespielte Widmung James Tenneys „Son ’n’dance for Harry Partch“ in reiner Stimmung wirkte da allenfalls wie eine launige Dreingabe.
Scheinbar strebt so manches heute nach der Reinheit von Dur. Nicht unbedingt das Interessanteste. Doch wie immer lebte Donaueschingen aus seinen Widersprüchen, aus dem Scheitern im oder ohne Gelingen – und umgekehrt.
Anders lebt Kunst gar nicht.