Die „erste romantische Oper mit einem modernen Sujet“ nannte der Philosoph Theodor W. Adorno Jacques Offenbachs „fantastische Oper“ „Hoffmanns Erzählungen“.Vielleicht ist das auch der Grund, warum Offenbachs letztes unfertiges Werk, dessen erfolgreiche Uraufführung der Komponist 1881 nicht mehr erlebte, in heutigen Spielplänen Konjunktur hat. Nun auch am Staatstheater Oldenburg, was einmal mehr klarmacht, dass Offenbach neben Verdi und Wagner „der dritte große Exponent des europäischen Musiktheaters im neunzehnten Jahrhundert ist“ (so der Musikforscher Egon Voss).

Jason Kim (Hoffmann), Penelope Kendros (Olympia), Johannes Leander Maas (Spalanzani / Nathanael) und Chor in „Hoffmanns Erzählungen“. Foto: © Stephan Walzl
Mutige Frauen in „Hoffmanns Erzählungen“ – Angela Denoke inszeniert in Oldenburg Jacques Offenbachs einzige Oper
Obschon seit 1970 in unterschiedlichen Funden nahezu 2000 verlorene Seiten aufgetaucht sind, die uns erlauben, der ursprünglichen Idee Offenbachs nahezukommen, muss noch jede/r RegisseurIn nicht nur eine Interpretation, sondern regelrecht eine neue Fassung erstellen. In Oldenburg entschied sich Angela Denoke, in den Erinnerungen, mit denen der Dichter Hoffmann von seinen vergangenen und gescheiterten Lieben erzählt, aus den fiktiven und projektierten Frauen lebende Gestalten zu machen: da ist die Automatenpuppe Olympia, die sich nach Abnahme der illusionierenden Brille in eine zornige Frau verwandelt, die gezielt um sich schlägt und das ihr zugedachte gesellschaftliche Frauenbild verweigert. Und nicht nur das: sie zettelt die feinen Damen zum „Wehrt euch!“ an.
Dann die todkranke Sängerin Antonia, der vom Vater das Singen verboten wurde: sie erwacht zu einer selbstbewussten und kämpfenden Künstlerin und die Kurtisane Giulietta erfüllt keinesfalls die Vorgabe, dass man Kurtisanen nicht lieben könne. Auch sie rächt sich an Hoffmanns negativem Urteil über sie. Und Stella, die stumme Sängerin, ist eine Tänzerin (Eleonora Fabrizi), die mit verschiedenen Befindlichkeiten an Hoffmann hängt, ihn aber am Ende verlässt.

Eleonora Fabrizi (Stella), Jason Kim (Hoffmann) in „Hoffmanns Erzählungen“ Foto: © Stephan Walzl
Darüber hinaus verfolgt Denoke eine interessante These: die Muse, die in den drei Mittelakten der männliche Freund Nicklas ist, ist eine Frau, die Hoffmann liebt. Und die ihn opfert, weil er dann ihr gehört: „Man wird groß durch die Liebe und größer noch durch den Schmerz.“ Ein ergreifendes, fast oratorisches Schlusstableau. Sie ist auf der Seite der Gesellschaft, die vom Künstler Hoffmann das Opfer fordert. „Der Mann ist nicht mehr, möge der Dichter neu geboren werden“, singt sie.
Jason Kim als Hoffmann überzeugte: kein heruntergekommener Penner, der er ja irgendwie auch ist, sondern ein attraktiver Künstler mit der Sehnsucht nach dem Leben, das er eben nicht schafft. Sein Gesang ist makellos und leidenschaftlich, dabei sehr natürlich und nicht aufgesetzt. Auch bei den Damen – Penelope Kendros als widerständige Olympia, Adréana Kraschewski als rachebereite Giulietta und Tetiana Myus als in die Liebe und in den künstlerischen Beruf drängende Antonia zeigten sicher viel von der Handschrift Denokes (als mehrfach preisgekrönte Sopranistin), die es meisterhaft verstand, mit der Künstlichkeit des Singens psychologisch durchgestaltete glaubwürdige Frauengestalten zu zaubern. Dorothee Bienert als Nicklas/die Muse wird zu einer dauerpräsenten Hauptrolle des Abends: alle Fäden hat sie in der Hand. Auch Seungweon Lee in den vier Bösewicht/Teufelsrollen fand zu stimmlich und darstellerisch gekonnten Differenzierungen.
Tadellos und mit großer Spannung gestaltete Vito Cristofaro das Orchester, setzte dramaturgisch und klangfarblich reiche Akzente. Toll auch der flexible Chor und das atmosphärische dichte, symbolisch fundierte (der Kreis, die Treppe, der Spiegelkasten, die Farben) Bühnenbild und Kostüme von Susana Mendoza. Opfern wir KünstlerInnen? Die viel bejubelte Aufführung in Oldenburg stellt Fragen und versucht Antworten.
- Weitere Aufführungen: 30.4., 4., 6., 24., 28. und 30.5., 13.6. und 1.7.
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