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Madame Butterfly 2022. Foto: © Bregenzer Festspiele/Karl Forster
Madame Butterfly 2022. Foto: © Bregenzer Festspiele/Karl Forster
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Naturweltbühne und Kammerspiel - Die Bregenzer Festspiel-„Butterfly“ beginnt auf der Seebühne und muss ins Festspielhaus wechseln

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Die Natur spielt in Bregenz immer mit. Diesmal schien die Liaison zwischen dem smarten US-Leutnant Pinkerton und der Geisha, die er „Butterfly“ nennt, unter keinem guten Stern zu stehen: Vor Beginn zieht ein Gewitter über Bregenz hinweg. Nach Regen-Ende wird mutig begonnen; es folgen Heirat, Liebesnacht, unsichtbare drei Jahre Wartezeit auf dem gewellten Blatt Japan-Papier, das mit 1300 Quadratmetern über dem See zu schweben scheint, mit Blitzen in der Ferne; dann ein wenig Nieselregen und 7000 Besuchern, die sich in ihre Regencapes hüllen. Eben hat die verlassene Butterfly eindringlich beschworen, dass „Un bel di“ Pinkertons Schiff wiederkommen wird – Szenenbeifall – als das Arbeitslicht angeht: die Ansagerin kündigt den heranziehenden Gewittersturm an – 1200 Hauskarten-Besitzer dürfen ins direkt angebaute Festspielhaus übersiedeln.

Drinnen sitzen die bislang nach draußen übertragenen Wiener Symphoniker auf der Bühne. Vor ihnen und Dirigent Enrique Mazzola, auf dem hochgefahrenen Orchestergraben, bieten die sieben Solisten dann ein hautnah gerücktes Kammerspiel vom tödlich endenden „culture clash“. Der aus beeindruckter Stille losbrechende Beifall hätte sicher auch den sich nicht zeigenden Regisseur Andreas Homoki und sein Bühnenteam miteingeschlossen – nur blieb die Frage, ob die intime Tragödie auf der weiten Seebühne ähnlich anrührend gewirkt hätte. Bei aller technischen Raffinesse und Qualität arbeitet die Bregenzer Dramaturgie draußen schon mit „Bühnenspektakel“. Homoki zielte auf etwas wie „Gefühlsspektakel“. So lässt er von Anfang weißgewandete, weißhaarige und weißgesichtige Figuren über die Bühne ziehen, später mal Butterfly umgeben – am Ende ihr das Seppuku-Messer überreichend.   

Draußen ersetzte das große Blatt bisherige spektakuläre Bühnenbauten mit feinen japanischen Tusch-Zeichnungen: vorne ein kleiner Garten; dann ein Serpentinen-Weg zu den hinten in den Nachthimmel aufragenden Bergsilhouetten; vom offenen „al aperto“-Häuschen ist ja die Rede, vom Blick auf Nagasaki, das Meer und den Hafen – da spielen Bodensee, Seebühne und Bregenzer Hafen ein wenig mit. Mit der sonnigen Selbstgefälligkeit der 1950er Jahre bricht Pinkerton erst ganz oben, dann auf halber Bühnenhöhe durch die Papierwand. Wie Haifisch-Flossen bleiben die zwei Öffnungen im sonst feingezeichneten Ambiente. Durch eine davon fährt zu Pinkertons Toast auf Amerika ein Flaggenmast mit US-Fahne hoch. In die wickelt sich die verlassene Butterfly später als Schutz. Franck Evins Lichtregie färbt das ganze Blatt mal in Liebeszauber-Rosé, mal in kaltes Blau und dann Grau zum bösen Onkel-Bonze-Auftritt, dessen Fratze hinten in den Bergen aufscheint (Video: Luke Halls); glutvolles Rot und kaltes Weiß folgen. Ob all das den ganzen Abend trägt, werden erst künftige Aufführungen erweisen.

Jetzt rückte die Hausbühne diesen Missbrauch einer fünfzehnjährigen Geisha hautnah. Männlicher Egoismus mündete in Edgaras Montvidas jugendlich schlankem Tenor in verantwortungslose Feigheit. Brian Mulligans Konsul Sharpless warmer Bariton verströmte rollengerecht die gutgemeinte Hilfslosigkeit. Annalisa Stroppas Suzuki war mit schönem Mezzo Dienerin und dann Vertraute. Sie alle überstrahlte die usbekische Sopranistin Barno Ismatullaeva mit erst mädchenhafter Süße, bitteren dunklen Tönen und dann dem großen Leidensausbruch. All das gelang, weil erst die abermals verbesserte Akustikanlage in der Aussteuerung von Alwin Bösch und Clemens Wannemacher nicht nur die Gänge im weiten Papierareal verfolgbar, sondern auch weichere Übergänge ins Piano und viele Einzelstimmen aus dem Orchester hörbar machten - und dann rauschte schon auch das Fortissimo beeindruckend.

Im Festspielhaus wurde sichtbar, wie feinzeichnend Enrique Mazzola mit den glänzend disponierten Wiener Symphonikern arbeitete: beiden schien bewusst, dass die unbestechlichen Mikrofone jeden kleinen Fehler übertragen würden – also müssen jedes kleine Solo, das Zusammenspiel und der Gesamtklang zuvor wie für eine Studioaufnahme erarbeitet sein, jetzt live im Fluss gelingen und nach draußen transportiert werden - prompt war Mazzolas engagierte Zeichengebung als Motor und auch als Seele einer Live-Aufführung zu erleben; er wird als „conductor in residence“ den Festspielen enger verbunden bleiben. Zurecht beendete eine Standing Ovation den mehrfach dramatischen Abend.

  • Zur Premiere: Da noch nicht Hälfte des Abendwerkes gespielt war, können die See-Karten umgetauscht oder erstattet werden.
  • Viele weitere Aufführungen bis 21.August.
  • TV-Aufzeichnung am 13.August um 20.15 Uhr in 3sat; um 22.45 Dokumentation zur Produktion.

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