Hauptbild
Elektra in Brandenburg an der Havel. Foto: © Enrico Nawrath

Elektra in Brandenburg an der Havel. Foto: © Enrico Nawrath

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Neo-antikes Frauensportstück: Richard Strauss’ „Elektra“ in Brandenburg

Vorspann / Teaser

Die zweite Vorstellung war nicht voll besetzt, klang beim Schlussjubel aber wie ausverkauft. Das Stammpublikum des Brandenburger Theaters und gar nicht so wenige Berliner Fans zeigten sich am Sonntagnachmittag begeistert. Intendant Alexander Busche kleckert nicht, sondern klotzt. Richard Strauss’ und Hugo von Hofmannsthals Musikdrama-Chimborazo ist lange vor Elfriede Jelinek ein „Sportstück“ für drei starke Frauen am Rand des Stimmzusammenbruchs und schreienden Orchester-Effekten für eine dem Atriden-Clan vom Schicksal diktierte Rache-, Mord- und Gewalt-Story, welche kein:e olympische:r Go(e)tt:in entschleunigt. Mit den Brandenburger Symphonikern triumphierten Barbara Krieger (Elektra), Yvonne Elisabeth Frey (Chrysothemis) und Gráinne Gillis (Klytämnestra). Letzte Vorstellung ist am 1. Juni 2024. 

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Eine Anekdote will wissen, dass Richard Strauss der Dresdner Hofkapelle bei einer Schlussprobe vor der Uraufführung in der Semperoper 1909 zurief: „Lauter, lauter – man kann sie noch hören!“ Mit „sie“ meinte er seine von Ausschweifungen und Reue über den Mord am Gatten zerfressene Königin Klytämnestra von Mykene und deren Star-Interpretin Ernestine Schumann-Heinck. Bis heute betrachtet man demzufolge Lautstärke-Rekorde in „Elektra“ als erwünscht – von der Met bis zur Multifunktionsbühne im Brandenburger Theater und den dort verdächtig an den Seiten stehenden Boxentürmen. Die Brandenburger Symphoniker positionierte man hinter Hängern mit einem Netz von Klebestreifen für bizarre Licht- und Schattenspiele (Julian Bühle, Uwe Stange).

Das Kreischen, Schnarren, Ächzen und den orgiastischen Jubel – von Strauss für über 110 Instrumente gedacht – erklang hier mit etwa halber Personenstärke. Und das war kein Handikap. Die Orchestereruptionen zum nur scheinbar erlösenden Mord des Rächers Orest an seiner Mutter Klytämnestra und deren in Goldstoff attraktiv verpackten Lover Aegisth (kräftiger Wohlklang: Sotiris Charalampous) fluteten mit angemessener Expression und Fülle in den Saal. Die Akustik des Brandenburger Theaters ist ungleichmäßig, was der wilden „Elektra“-Partitur und ihren atonalen Effekt-Raketen zugutekommt, Strauss’ kreative Gezacktheiten also steigert. Das gilt auch für die Stimmen. Die schwarz gekleideten Mägde (Denis Seyhan, Oleksandra Diachenko, Anna Werle, Nataliia Ulasevych, Natallia Baldus) jagen sich Taschenlampen-Strahlen ins Gesicht und expressive Töne ins Auditorium. Alexander Busche hat ziemlich genau am Text inszeniert, am genauesten bei Klytämnestras siegesgewissen Blick nach dem von Tochter Elektra provozierten Psychokollaps in der etwas entgleisenden Aussprache. Gráinne Gillis singt die „Verwüstete“ (O-Ton von Hofmannsthal) mit fast vormodernem Mut für’s Morbide, einer extravaganten Ästhetik des Hässlichen und Steine erweichenden Leidenstönen. Hannes Ruhlands Kostüme sind einfach und deutlich. Die Urne mit der Asche des gemeuchelten Papas Agamemnon entzündet sich bei Elektras Verlöschen wie das Olympische Feuer, beleuchtet zum auch vokal flammenden Inferno die verbrannte Erde. Frederik Baldus schneite davor herein wie ein vatikanischer Kapuzen-Dämon und singt den Täter Orest wie den Erlöser in einem romantischen Oratorium. 

In den meisten Produktionen heute hausen Elektra und ihr paarungs-, aber wenig rachewilliges Schwesterherz Chrysothemis nicht mehr im Dreck und Müll des Palast-Hinterhofs. Die gut durchtrainierte Elektra gebärdet sich im Mantel des vermissten und oft beschworenen Vaters Agamemnon wie eine Torera von Mykene – bereits beim ersten Monolog und nach dem Kopfkuscheln in Orests Schoß zu ihrem einzigen lyrischen Solo erst recht am Schluss. 

György Mészáros hatte sich offenbar mit den Hauptpartien nicht über eine Konditionskoordination neben den großspurig wie souverän auftrumpfenden Brandenburger Symphonikern verständigt. Barbara Krieger, dem Berliner Publikum gut bekannt, trifft die hohen C’s mit pfeilscharfer Sicherheit, geht schonungslos an Grenzen und gibt in der Stückmitte grundehrlich temporäre Erschöpfung zu. Legitim: In Brandenburg erklingen sogar jene Stellen, welche an größeren und größten Häusern aus Gnade für die von Strauss bis an die Grenzen des Machbaren strapazierte Titelbesetzung gestrichen werden. Auch die großen Bögen bewältigt Barbara Krieger imponierend mit der Sicherheit und Erfahrung aus einer langen Karriere. Sie kontert mit gesundem Selbstvertrauen auch dem gleichförmig befeuernden Dirigenten Mészáros. 

Generell vereinen alle in den zahlreichen Nebenpartien – zu den Mägden Lukas Eder (Alter Diener/Pfleger des Orest), Ilja Martin (Junger Diener) und Lana Hartmann (Aufseherin) – volle Kraft, Einsatzfreude und Spiellust. In der Partie gut verteilte Höhepunkte nutzte Yvonne Elisabeth Frey als Chrysothemis mit zuverlässigem Metall und satten Reserven. Von Sängerinnen wird das finstere Musikdrama „Elektra“ hier nicht nur gefürchtet, sondern auch geliebt. Denn die von Strauss fast pausenlos aufpeitschend und aufreizend gestalteten Frauenpartien ermöglichen, ja bedingen das exzessive Ausleben dunkler Seiten. Im Opernrepertoire gibt es dazu nicht allzu viele Gelegenheiten. Auch deshalb ist die Brandenburger „Elektra“ einen Besuch wert.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!