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Szenenfoto: „Das Rheingold“ Foto: © Bayreuther Festspiele GmbH 2015 / Foto: Enrico Nawrath
Szenenfoto: „Das Rheingold“ Foto: © Bayreuther Festspiele GmbH 2015 / Foto: Enrico Nawrath
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Parodos in Kamera-Bilderflut – „Das Rheingold“ bei den Bayreuther Festspielen

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Leider zum letzten Mal dirigiert in diesem Bayreuther Sommer Kirill Petrenko den „Ring des Nibelungen“. Dessen Klangmagie ist das eigentliche Ereignis der von Frank Castorf im Bühnenbild von Aleksandar Denić und in opernuntypischen Kostümen von Adriana Braga Peretzki inszenierten Tetralogie Richard Wagners ist – zumindest am Vorabend des Zyklus – zum reinen Genuss gesteigert. Beim kritischen Betrachten der Inszenierung stellen sich hingegen im dritten Jahr einige Ermüdungserscheinungen ein.

Die Frage erhebt sich, welcher Mehrwert durch den klassischen Parodos der Verlagerung der Handlung geschaffen wurde. Castorf erzählt die vier Schauplätze des „Rheingold“ auf der Drehscheibe am Einheitsspielort des Golden Motel. Die Eröffnungsszene am Grunde des Rheins verfügt durch einen Pool, an dem Wellgunde, Woglinde und Floßhilde Würstchen grillen und über den auf einem Liegestuhl schlafenden Alberich herfallen, noch eine gewisse Nähe zum Original, bei partieller Umkehrung der Figurenkonstellation.

Dass Alberich eine Goldfolie aus dem Pool zieht, kümmert die Rheintöchter nicht wirklich, der Goldraub erweist sich mehr als ein Thema der Medien, zu verfolgen auf kleinen TV-Bildschirmen im Motel. In einer Nachbericht-Sequenz sieht man Alberich sogar mit Schwimmflossen und Sauerstoffflasche als Taucher. Wie es ihm gelingt, durch seinen Fluch der Liebe Goldbarren zu horten, bleibt ein Geheimnis. Die Rheintöchter aber verdünnisieren sich nach einigen Drinks mit Wotans schwarzem Mercedes-Cabriolet. Am ehesten ist noch der Göttervater selbst, der mit seinen Frauen Fricka und Freia in einem Zimmer im ersten Stock residiert, deckungsgleich mit jenem Wotan, dessen Movens bei allem Machstreben doch die Liebe bleibt. Sein Bauvorhaben Walhall ist nur einmal als anachronistische Bilderfolge in einem TV-Bericht zu sehen.

Die Szene in Nibelheim erfolgt weiterhin vorwiegend konzertant, mit Wotan und Loge auf Liegestühlen, Alberich und Mime, bereits zu Beginn der Szene von Wotan an Stangen gefesselt und mit Tütenköpfen á la Minecroft. Im silbernen Wohnwagen, den später Mime und Siegfried als Behausung besitzen werden und den Siegfried sogar in seine Ehe mit Gutrune einbringen wird, passieren die für Alberichs Unterwerfung hier eigentlich nicht mehr erforderlichen Verwandlungen Alberichs in Schlange und Frosch – zu sehen als vorproduzierte Videosequenzen auf dem großen LED-Screen auf dem Dach des Motels. Bereits im Zwischenspiel zum Schlussakt leuchtet der Rundhorizont in Regenbogenfarben, aber wenn vom Regenbogen als Brücke zur Götterburg die Rede ist, verweist die gehisste Regenbogenfahne auf die parallele Gay Party im Kasseneinkaufsraum der Tankstelle, und die Götter feiern längst auf den Dächern des Motels ihre eigene Party. Zuvor schwammen die Goldbarren im Pool, so dass sich hier bereits der Ring der Geschichte hätte schließen können.

Assoziationen zwischen dem Lattenrost des Bettes, auf den die in Latex aus der Riesen-Haft zurückgekehrte mit Goldbarren zugeschüttet wird und den besungenen „gepflanzt[en] Pfähle[n]“ der Riesen sind kleine parodistische Reibungen, die aber vom Gros der Besucher in der Bilderflut der von mehreren Kameras eingefangenen und groß projizierten Details kaum wahrgenommen werden dürften.

Castorfs Parodos schwankt zwischen assoziativer Reibung, Brechtscher Verfremdung und eigener Verweigerung. Für freie Assoziationen sorgt Patric Seibert in der hinzu erfundenen stummen Rolle des Tankstellenwärter und Barkeepers, Cocktails mixend, Koffer tragend, tanzend, für Loge Fotos liefernd, von den Riesen geschunden und Fan von Sigurd-Comics. Die Riesen (Wilhelm Schwinghammer und Andreas Hörl) lassen an ihm ihren Frust über den nicht eingehaltenen Vertrag aus und randalieren im Kassenraum der Tankstelle, den Göttern gegenüber sind sie jedoch eher friedlich. Fasolt und Fafner amüsieren sich, neben ihrer Rolle stehend, über das Geschehen und singen ihre Aparts („was im Neidspiel nie uns gelang“) nicht heimlich zu einander, sondern von einander weg.

Die Produktion weist eine Reihe von Neubesetzungen auf. Tragische Ursache hat die Umbesetzung des beim Absturz der französischen Verkehrsmaschine ums Leben gekommenen Oleg Bryjak. Seine Partie des Alberich hat Albert Dohmen übernommen: der gefragte Wotan bringt die Welt des Lichtalben als Kehrseite mit ein in dessen Widerpart, er interpretiert den Nachtalben stimmgewaltig und nimmt dessen Fixierung auf eine Gummiente weniger komisch als sein Vorgänger. Geradezu tragische Wirkung besitzt es, wenn er sich den Senf nicht als Stimulanz auf die nackte Brust reibt, sondern als Design auf sein Unterhemd spritzt. Plötzlich erhält das Gelb des Senfs und der Schwimmente mit dem Goldtuch im Wasser eine gemeinsame Ebene. Neu ist, dass das Goldtuch kleine Plättchen hat, die an jenen, die damit agieren, kleben bleiben.

Als Alberichs Bruder Mime tritt Andreas Conrad bereits mit goldenem Paillettenanzug auf. Neubesetzungen erfahren auch die Rolle der Freia durch Allison Oakes und die Partie des mit einem Sturmfeuerzeug zündelnden Loge durch den stets markanten und kraftvollen Tenor John Daszak. Neu auch Daniel Schmutzhard als Donner, der mit Gewehr agiert und nur am Ende einen zufällig auf dem Dach liegenden Hammer ergreift um damit auf die Motelbrüstung zu schlagen. Das Terzett der Rheintöchter hat mit der Altistin Anna Lakovskaja als Floßhilde ein neues Fundament erhalten. Und wenn sie, gemeinsam mit Mirella Hagen und Julia Rutigliano, am Ende des Abends live intonieren und in einem vorproduzierten Video unter Wasser schwimmen, dann gewinnen Musik und Geschehen eine sonst selten erzielte gemeinschaftliche Dimension.

Neben Wolfgang Koch als Wotan gefallen stimmstark die Götter Lothar Odinius als Froh, Claudia Mahnke als Fricka und insbesondere Nadine Weissmann als Erda.

Nochmals gewachsen ist die orchestrale Qualität dieses Abends durch Kirill Petrenkos musikalisch luzide Ausdeutung der Partitur. In seiner sehr transparenten Interpretation mit dem bestens disponierten Festspielorchester sind es insbesondere die lyrischen Passagen, wie „Weibes Wonne und Wert“, die hier warm aufblühen und nachhaltig im Gedächtnis bleiben. Von dieser zwingenden musikalischen Interpretation wird Castorfs Bilderflut getragen.

Nach Verklingen der Musik setzte ein Schlagabtausch von Buh- und Bravorufen als kontroverse Reaktion auf die Inszenierung ein, mit Beginn der Applausordnung abgelöst von lang dauerndem, begeistertem und ohne Einschränkung heftigem Applaus für die Solisten – und zu Ovationen gesteigert für Kirill Petrenko.

  • Die nächsten Aufführungen: 9. und 21. August 2015.

 

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