Genüsslich essen die Gäste im lauschigen Garten des Restaurants „Comet“ ihre Pizzen. Woraus die leckere Belegung der Teigfladen besteht, ahnen sie wohl nicht: Denn in der Küche nebenan werden gerade Kinder ermordet, durch den Fleischwolf gedreht und mit Tomaten und Mozzarella als Today's special serviert, wie weiland in Shakespeare's „Titus Andronicus“.
Schon vor diesem grausigen Finale erlebt der TV-Moderator Friedrich Quant obskure Dinge. Ausgelöst wird seine immer bizarrer werdenden Abenteuer, weil er in seiner Fernseh-Talkshow „Immer wieder mittwochs“ den schwurbeligen „Flat-Earther“ Dieter Urban verhöhnte, der allen Ernstes noch daran glaubt, die Erde sei eine Scheibe und hinter dem Schein der Wirklichkeit verberge sich eine höhere, die Erde steuernde Macht.
Das Thema, das Moritz Eggert für sein neues, im Untertitel als „Mythos-Operette“ bezeichnetes Musiktheater wählte, ist zweifellos brisant. Denn durch die Pandemie traten erschreckende Verschwörungstheorien ans Licht, die meist in irrationalen Ängsten vor der Komplexität der Welt wurzeln und im Gefühl der Ohnmacht, das Weltgeschehen nicht ändern zu können. Ihnen gemeinsam ist die Sehnsucht, durch einfache Erklärungen die Herrscher, Eliten oder Lobbys für alles Schlechte in dieser Welt verantwortlich zu machen. Gefährlich werden solche Verschwörungstheorien nicht nur durch ihre rasante elektronische Verbreitung, sondern auch durch populistische Politiker, die sie für Zwecke der Macht instrumentalisieren.
Ein versierter Librettist hätte diesem hochaktuellen Stoff sicherlich kantige Konturen verleihen können. Doch wie einst Richard Wagner, schrieb der deutsche Komponist Moritz Eggert das Libretto zu „Die letzte Verschwörung“ selbst: in holprigen Versen, die keinen musikalischen Fluss entwickeln, und gespickt mit Plattitüden, die nie den demokratiegefährdenden Ernst irrationaler Konspirationslegenden erkennen lassen. Umständlich und weitgehend humorfrei wird eine Science-Fiction-Story erzählt, die nach der TV-Sendung beginnt, als der beleidigte Verschwörungstheoretiker Urban (Orhan Yildiz) dem Moderator am Studioeingang auflauert. „Jenseits der Wirklichkeit beginnt das wahre Sein, wir sehen nur die Schatten“, erläutert er ihm, Platon reichlich verwässernd, und überreicht dem verdutzten Quant (der textdeutliche und höhensichere Tenor Timothy Fallon) gefakte Urlaubsphotos von dessen Familie. Dadurch verunsichert, lässt sich Quant, begleitet von Lara Lechner (Rebecca Nelsen), immer tiefer auf die Hirngespinste Urbans ein, kämpft gegen angeblich die Welt beherrschende Reptilien (Daniel Schmutzhard als Kanzler und Wallis Giunta als russische Unternehmerin Natalya Ostrova), ja sogar gegen Außerirdische, die in einer goldenen Kugel herabsinken, aus der possierliche Figurinen klettern (Kostüme: Jorine van Beek).
Auch die Musik macht diese abenteuerliche Story jedoch nicht wirklich brisant. Vor allem der erste Akt schleppt sich dahin, bestimmt von Dauer-Parlandi, die angesichts des stockenden Texts sogar langatmige barocke Secco-Rezitative spritzig erscheinen lassen.
Im zweiten, immer obskurer werdenden Akt nimmt Eggerts Musik zwar endlich ein wenig Fahrt auf, allerdings nur mit Hilfe von Anleihen aus der Tradition: Bei Quants Suche nach Lara erklingt im Orchestersatz „Maria“ aus Bernsteins „West Side Story“, der Auftritt des Kanzlers wird von einem Tango begleitet, ein Saltarello kontrastiert die Kindermorde in der Küche der Pizzeria. Zwar bedient sich Eggert auch dissonanter Elemente, die jedoch eher als Kolorit eingesetzt werden. Und für die wenigen Arien oder Duette, die eher beiläufig wirken, fehlen ihm zündende melodische Ideen.
An der musikalischen und szenischen Umsetzung lag es sicher nicht, dass Eggerts Stück, das mit der klassischen Operette nur den Hang zu Übertreibungen gemein hat, Langeweile im Publikum verbreitete. Das Orchester der Wiener Volksoper zeigt sich unter der Leitung von Steven Sloane in prächtiger Spiellaune, auch der erst im zweiten Akt aus dem Off tretende Chor (Einstudierung: Roger Diáz-Cajamarca) entwickelt eine dem Geschehen entsprechende Wucht.
Mithilfe des Bühnenbildners Christof Hetzer löst Volksoperndirektorin und Regisseurin Lotte de Beer das Problem rasch wechselnder Szenenfolgen mit Bravour: Abstrakte Videoprojektionen sind meist dann zu sehen, wenn eine Stimme aus dem Off ertönt, die die üblichen Operetten-Dialoge ersetzt. Unterdessen wird im verdeckten Hintergrund die Bühne umgebaut: Mal ist ein schmuckes Einfamilienhaus mit Garten zu sehen, mal eine Parkbank als Treff für Konspirationen, mal eine moderne Kanzlervilla. Alle diese Umbauten laufen wie am Schnürchen, mit Intermezzi latexsilberner Tänzer des Wiener Staatsballetts, die Quant von Station zu Station begleiten. Doch letztlich ist das verlorene Mühe.