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Ensemble. Foto: © Matthias Jung

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Prachtensemble! Applausstürme! – Die Oper Köln präsentiert Annette Dasch als „Eine Frau von Format“

Vorspann / Teaser

Parallel mit Paul Abraham, der den Landsmann und Konkurrenten wegen mutmaßlichem Plagiat verklagte, kam Michael Krasznay-Krausz, ein Ungar mit jüdischer Abstammung nach Berlin und Wien, musste wegen des Beitritts Österreichs zu Deutschland 1938 zurück nach Budapest und starb 1940 dort im Alter von nur 43 Jahren nach einer schweren Operation. Der Regisseur Christian von Götz brachte Krasznays von ihm wiederentdeckte Operette „Eine Frau von Format“ mit der Oper Köln im Staatenhaus heraus. In der Titelpartie Annette Dasch als türkische Diplomatin mit erotisch-politischen Doppelbegabungen, an ihrer Seite ein Prachtensemble. Applausstürme und starkes Kribbeln in der Leistengegend. 

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Einige kritisierten nach der von Beifall überschütteten Premiere wieder einmal das Fehlen von ‚echten‘ Ohrwürmern. Wäre aber die Musik nicht gut gewesen, hätte sich „Eine Frau von Format“ 1927 im Berliner Theater des Westens nicht behaupten können. Auch wegen der Ikone Fritzi Massary wurde das Spektakel als Wehrübung der Operettenszene gegen die auf dem Vormarsch befindliche Revue betrachtet. Regisseur Christian Von Götz und Dramaturgin Svenja Gottsmann hatten noch gründlicher diversifiziert, dabei noch erotischer und hedonistischer aufgedonnert als die Autoren Rudolph Schanzer und Ernst Welisch. Im Staatenhaus wird „Eine Frau von Format“ als utopische Idealsituation zur Post-Habsburger und Post-Hohenzollern-Militärverklärung in Szene gesetzt. Fürstin Petra hat neben diplomatischem Ehrgeiz literarische Neigungen. Die Hofherren zeigen mit Stolz ihre Stick- und Strickarbeiten. Das männliche Hofballett handhabt Glitter, Boa, künstliche Wimpern perfekt und bezirzt alle. 

Einiges aus der Handlung wirkt bekannt. Da kabbeln sich die Gesandten der Sandwichstaaten Ungarn und Türkei (!) - der fesche Graf Géza von Tököli und die nichts anbrennen lassende Dschilli Bey – um Verträge mit dem kleinen Beef-Staat Silistrien. Claudia Rohrbach spielt etwas zahm und mit Brüchen diese strenge, aber meist milde und angesichts der Permissivität im eigenen Land leicht bigotten First Lady. Dass der Hofstaat ein politisches Arkadien sein könnte, aber auch Sand im Getriebe hat, zeigt Tobias Hieromini als imposante Baronin Manulesco im Referenztandem mit Kanzler Negrutzky. Dalia Schaechter spielt einen in politischen Dingen überaus wendigen Diplomaten, der im Dunkeln das Geschlecht seiner Gespiel:innen nicht unterschieden kann. 

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Tänzer, Annette Dasch © Matthias Jung

Tänzer, Annette Dasch.

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„Unbeschreiblich weiblich“ propagiert der Schriftzug über dem Rondell, dessen Innenleben Dieter Richter dem Publikum vorenthält. Die vielen Türen leisten mit den Aktionen dahinter eindeutigen Phantasien Vorschub. Sarah Mittenbühler nützt in ihren tollen Kostümen die Materialien nicht zum Verkleistern, sondern zur Profilierung der Figuren. Federico Zeno Bassanese scheucht die Kollektive ordentlich auf und herum, das Licht glitzert um die Wette mit Pailletten, engen Trikots und pikanten Kleidungswechseln hinter verheißungsvollen Federfächern. Die Titelfigur Dschilli Bey bekennt, dass an jedem Steinchen ihres Outfits die Erinnerung an eine politische oder amouröse Affäre hängt. Die türkische Spitzendiplomatin fühlt sich am besten, wenn sie die Interessen ihres Landes mit privaten Beutezügen in einem Aufwasch erledigt: „Links der Champagner, rechts die Austern und der Herr Graf ist schon halbnackt.“ Genau so muss es sein und zwischendurch genehmigt sich Dschilli Bey noch ein kleines Tête-à-tête mit einer Assistentin. 

Ein Glücksfall für die Produktion: Annette Dasch als Dschilli Bey. Ihre Kostümkreationen starten mit schwarzen Strapsen unterm Frack. Gemeinsam mit der Uraufführungsinterpretin Fritzi Massary hat Dasch das leicht manierierte Singen und einen maliziösen Ton, bei dem man hinter jedem Satz eine kleine Sauerei wittert. Dasch textete sich ein Lied selbst und wird erst recht zur künstlerischen Führungskraft des Abends, weil sie sich nie in den Vordergrund spielt, immer mit einer immensen Ausstrahlung punktet und sichtbaren Spaß an der Interaktion mit ihren großartigen Kolleg:innen hat. Von Götz nutzt natürlich ein bisschen die rheinischen Karnevals- und CSD-Energien vor Ort, lässt es szenisch aber beim Bestäuben und Bezuckern – fern von Grobschlächtigkeiten und Kalauern. 

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Richard Glöckner, Giulia Montanari © Matthias Jung

Richard Glöckner, Giulia Montanari.

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Der im Textbuch geforderte ungarische Akzent kommt lange, wird erst nach vielen Pointen und zustimmenden Lachern als „kulturrassistisch“ klassifiziert und durch die schönen heimischen Dialekte aus dem Hessischen und Sächsischen ersetzt. Binäre Heteronormativität wird es bald nur noch in Nostalgie-Shows geben: Die beiden Herren Protagonisten machen im Abendkleid noch bessere Figur als mit Fliege und Frack. Richard Glöckner, der Gast vom Erzgebirgischen Theater, ist als Báron Pista ein Granaten-Leichtgewicht mit Herz. Auch Wolfgang Stefan Schwaiger als Géza ist ideal, weil fern von jedem Kavalier-, Filou- oder Bonvivant-Klischee. Schwaigers charismatisches Vokalpotenzial zwischen Tenor und Bariton passt in dieses Fluidum mitsamt einer integren Persönlichkeit wie aus einer Schnitzler-Komödie. Genauso stark agiert Stefan Sevenich als Kölner Nachtclubmogul Zuntz mitsamt Giulia Montanari als seine herzig selbstbewusste Tochter Lya. 

Von der musikalischen Seite kommt der von der Regie bezwingend mitgestaltete Leichtigkeitsdruck. Daniel Buschs Orchestrierung setzt das famos und fulminant mitspielende Gürzenich-Orchester für nur wenige Tuttistellen ein. Meistens interagieren kleine Streichergruppen und Bläsersoli mit der Bühne. Auch im Piano geht immer voll die Post ab. Oft spielt Adam Benzwi allein am Flügel, verbindet Orchester, Chor (feiner Teamplayer unter Rustam Samedov) und den gesamten Cast mit Swing und Brio an einem einzigen Nervenfaden. Applausmagneten wie „Oh Baby, oh Boy, komm mit ins Savoy“ zischen ab wie Zunder. Diese Mischung macht's: Delikatesse, Speed, wahre Liebe und lustvolle Liederlichkeit.

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