Nach allem Beifall und Jubel für Solisten und Dirigent kamen Regisseur Damiano Michieletto und seine Bühnen-Equipe hereinmarschiert – und wendeten dann dem Premierenpublikum ostentativ den Rücken zu … Sie alle trugen wie zuvor Donizettis Bühnensoldaten einen schwarzen Sturmgepäck-Rucksack mit weißem „XXI“ für das berühmte 21. Regiment aus Napoleons Zeiten. Doch der Packsack war auch Bild der Last, die die Aufführung prägte.

La Fille du régiment | Premiere am 22.12.2024. © Geoffroy Schied
Premierensteifes Soldaten-Puppen-Spiel – Gaetano Donizettis „La Fille du Régiment“ an der Bayerischen Staatsoper
Zur Uraufführungszeit 1840 schwappte eine glorifizierende Verklärung durch Frankreich und Napoleons Sarg wurde mit grandiosem Pomp in den Invalidendom überführt. Donizettis liebevolles Spiel mit den „väterlichen“ Soldaten, die ein weibliches Findelkind großziehen und von ihr als erwachsener Markentenderin umsorgt werden, traf einen Nerv der Zeit; einen zweiten, denn die zunächst handfest unter Männern lebende Marie erwacht zur Liebenden, erweist sich als sperrige Baronesse, die alles „Adelige“ ablehnt und am Ende ihren Tiroler Bauernjungen heiraten darf – ein Sieg der Bürgerlichkeit, passend zum Nachklang der Revolutionen von 1830, 1832 ff. und der Unzufriedenheit mit dem „Bürgerkönig“ Louis Philippe samt der heraufziehenden Entladung in „1848“. Nach Uraufführungsproblemen wird Donizettis „Fille“ aber ein Dauerbrenner auf französischen Bühnen und regelmäßig am 14.Juli gespielt.
Neunzig Jahre war das Werk nicht im Spielplan der Bayerischen Staatsoper. Jenseits aller Argumente um Repertoirebereicherung muten dennoch die fröhlich lockeren Gesänge von Soldaten-Herrlichkeit bis hin zu Blut und Tod fürs Vaterland derzeit etwas unzeitgemäß an. Wenn also, dann sollte es eine bissige Groteske werden … und da stellt sich dann die Problematik der für die französische Opéra-comique typischen Dialoge ein. Der extra engagierte Dramaturg Mattia Palma von der Mailänder Scala mag pfiffige italienische Texte geschrieben haben, doch die Übersetzung und eventuelle Mitwirkung von Schauspielerin Sunnyi Melles, die als überkanditelte Duchesse de Crakentorp von Beginn an Kommentare lieferte: von leider unmartialischer, sprich: un-pfeffriger Wirkung. Denn München: da existiert von Dieter Hildebrandt über Jörg Hube einst hin zu jetzt Polt&Biermösl-Blasn eine sehr hoch liegende Geist-Sprach-Wortwitz-Messlatte, unter der alles jetzt Gesagte bemüht blieb.
Und da wurde ein Kernproblem derzeitiger Staatsopernproduktionen erneut sichtbar: es wird mit dem vielen Geld an den falschen Stellen geprotzt. Während am benachbarten Gärtnerplatztheater mit deutlich niedrigerem Etat ein Thomas Pigor und der auch diesbezüglich begabte Intendant Köpplinger pfiffige Texte liefern, muss der Rat an die Staatsopernetage lauten: ein paar Tausende Euros an die im Abspann von „Anstalt“, „Heuteshow“ oder „Böhmermann“ aufgeführten Dialog- und Gagschreiber - statt einer extra in der Unterbühne verlegten Pressluftleitung, in die ein im weißen Schneeboden der Puppenspielbühne errichteter Fahnenmast eingerastet wird, damit dann oben die Regimentsfahne „im Wind“ flattert; statt einer tatsächlich brennenden (Gas-)Feuerstelle im gleichen Winterwaldboden, an dem für wenige Minuten Marie dann einen Suppentopf wärmt – und dann ganz „unweiblich“ das Tellerchen Consommé „hinter die Binde“ kippt … wo Soldaten wohl eher eine handfeste Garbure mit Entenklein schätzen … Dass aus der Winterwald-Hintergrund-Fotografie dann umständlich ein Viereck herausgetrennt wird, dahinter dann Schloss-Stube und Marie bereits im Kleid statt Uniform: Aufwand, der prompt nicht ganz funktioniert, wie auch das Abtrennen des ganzen Wald-Hintergrunds (Bühne Paolo Fantin); zum Akt-Ende klappt dann der ganze Bühnenrahmen nach vorne, also: Puppenspiel … naja.
Dramaturgisch hübsch dafür die Idee, den herausgetrennten Wald im 2. Akt als großes Bild im Salon der Marquise aufzuhängen, wohl um Maries Umerziehung zu erleichtern – und dass dann ihr 21. Regiment durch dieses Bild hereinbricht – während lauter allzu hyper-aufwändig kostümierte Adelige sich spreizen (Kostüme Agostino Cavalca). Doch wie den Dialogen fehlten auch Adel wie Militär der ätzende Biss der Groteske – und das halb choreografierte Marschieren des besonders geforderten Männerchors (Einstudierung Christoph Heil) wirkte eben nur „halb“. Regisseur Michieletto lieferte insgesamt nur einen lediglich netten Abend in der Vorweihnachtszeit.
Dafür einen teils exzellent gesungenen: voran Tenor Xabier Anduaga, er meisterte nicht nur die neun hohen Cs souverän, sondern klang auch sonst überzeugend viril – Jubelsturm gerechtfertigt. Pretty Yende hatte vokal keinen guten Tag und wirkte als Marie zu fraulich-mütterlich reif. Kolossal erschien und sang dafür Bass-Bariton Misha Kiria als Sulpice, während Dorothea Röschmann als Baronesse-Mutter zu blass blieb. Dabei gab es über die Rataplan-Trommel im Kontrast zum schön verstärkten Solo-Cello vom Staatsorchester die reizvolle Breite von Militär-Fetz-Peng hin zu „con cuore“-Feinfühligkeit – was den Beifall für Stefano Montanari am Pult rechtfertigte. Wenn also jetzt alle nach der Premiere „dem Affen etwas Zucker“ geben … vielleicht …
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