Für Giacomo Puccinis tränentreibende „Madama Butterfly“ gibt es viele mögliche Vorlagen für die Regie: Man könnte etwas machen mit „America forever“, in das Cio Cio San so unbarmherzig hineingerät, indem sie den Amerikaner Pinkerton zu heiraten meint. Man könnte etwas machen mit kolonialistischem und rassistischem Verhalten, das im Spielort Nagasaki durch die Besetzung der Amerikaner naheliegend ist. Man könnte etwas machen mit Kindesmissbrauch: Cio Cio San ist zum Zeitpunkt ihrer „Hochzeit“ 15 Jahre alt, sie arbeitet, um ihre verarmte Familie durchzubringen, als Geisha in einem Teehaus. Man könnte etwas machen mit Sextourismus und man könnte etwas machen mit gesellschaftlichem Druck, wenn Onkel Bonze das Mädchen aus der nationalen Familiengemeinschaft rausschmeißt, und vieles mehr …

Angela Shin, lan Spinetti, Michal Partyka, Sarah-Jane Brandon, Brigitte Hahn, Chor des Theater Bremen. Foto: Jörg Landsberg
Reale und betrogene Hoffnungen – Ulrike Schwab mit neuem Blick auf Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“
Nichts von alledem greift die junge Regisseurin Ulrike Schwab auf, die jetzt am Theater Bremen in ihrer dritten dortigen Inszenierung Puccinis Meistwerk aus dem Jahr 1904 in Szene setzte. Ihr Thema ist allein die Hoffnung, Hoffnung als Begriff, als Zustand, als Lebensrealität. Dazu baute ihr Rebekka Dornhege Reyes drei nebeneinanderliegende Zimmer: im ersten lebt die 15-jährige Cio Cio San (Angela Shin), im zweiten die real Liebende und drei Jahre lang Wartende (Sara-Jane Brandon), im dritten die altgewordene (Brigitte Hahn), die sich erinnert. Cio Cio San I sucht nun als Teenager zwischen vielen Stofftieren ihre Identität mit der amerikanischen Sehnsucht, sie pflastert ihre Wände mit Blau-Weiß-Rot, mit Fahnen, sie zerstört wütend den buddhistischen Tempel und stellt eine Christusstatue auf, II liegt wartend im Sessel, und III kramt zeitlupenartig in Erinnerungen wie Fotoalben. Das musikalische Mittel dazu ist, immer wenn von Vergangenheit oder Zukunft die Rede ist, singt die jeweils dazugehörige. Da die Stimmen der drei alle gut, aber sehr verschieden sind, gibt es da für die HörerInnen auch Irritationen. Die Hoffnungen werden sozusagen personifiziert: I steht für die erwartete Zukunft, II für das Einrichten des Lebens in der Hoffnung und III für die betrogene Hoffnung. Das ist es, was aktuell ist und uns alle angeht. Auch die ins Publikum dauererleuchtenden Scheinwerfer könnten ein Zeichen dafür sein. Oder die Masken, die die Mitglieder des Chores sich vorhalten.
Aber es gibt auch Realitäten in Schwabs durchdachter und anregender Inszenierung: die Gestalt des amerikanischen Konsuls, der sich mitverantwortlich für die Tragödie fühlt: Michal Partyka bildet gesanglich und schauspielerisch eine beklemmend zerrissene Gestalt, die sich mit dem Leutnant sogar prügelt. Ian Spinetti gestaltete den Leutnant in schicken weißen Klamotten absichtlich erschreckend farblos und vollkommen langweilig, nicht einmal seine ordentliche Stimme hatte Verführungskräfte. Anrührend aber seine finalen Butterfly!-Schreie, so als bereue er sein Handeln und seine Feigheit. Die mittlere Cio Cio San ist Sarah-Jane Brandon mit ihren warmen und schmeichelnden Klangfarben, die sie so gut in fahle Einsamkeit verwandeln kann. Und Brigitte Hahn als alte Cio Cio San erinnert an ihr großes und ausdruckstarkes Sopranfach. Allerhöchstes Lob gilt den Bremer Philharmonikern unter der Leitung von Sasha Yankevych: Puccinis Partitur leuchtete als sein Herzblut: Butterfly hatte der Komponist einst als seine beste, „die gefühlvollste, ausdrucksvollste Oper, die ich je geschrieben habe“, bezeichnet. Standing Ovations in der zweiten Aufführung.
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