Während die musische Bildung in unserem Schulsystem immer mehr ausdünnt, leisten Theater und Orchester bewundernswert breite Kinder- und Jugendarbeit. In Nürnberg arbeiteten nun das Opernstudio des Staatstheaters, die Hochschule für Musik und die Orchesterakademie der Staatsphilharmonie zusammen, um der Zielgruppe „Kinder im Grundschulalter“ die anspruchsvolle Kunstform Oper unterhaltsam zugänglich zu machen.
Carlo Collodis unsterblicher „Pinocchio“ mit seiner je nach Lügerei wachsenden oder schrumpfenden Nase und seinen phantastischen Abenteuern wurde mit vergnüglich quirligen Musiknummern Gioacchino Rossinis zu einer Kinderoper verschmolzen. Die Textautoren Kai Weßler und Johann Eule, vor allem aber der musikalische Bearbeiter Samuel Bächli behielten dabei - ohne pädagogischen Zeigefinger - ihr Zielpublikum gekonnt im Auge: Spieldauer eine Stunde; witzig-schräge Kammerbesetzung mit Klavier, Geige, Klarinette, Bass und Ziehharmonika – „wie im Cafe auf dem Markusplatz“; schneller Wechsel zwischen Sprechszene und Musiknummer; Verknappung der Musiken auf eine Strophe, den Adagio-, Cavantina-, Presto- oder Stretta-Teil; Steigerung von der Arie über Duette bis zum Quintett am Ende.
Die kurze, Unruhe - und Toilettenbesuch – vermeidende Spieldauer ließ nur wenige Abenteuer Pinocchios zu: nach seinem Erwachen den Geldverlust an Kater und Fuchs, die Verhaftung des Vaters Gepetto, die Begegnung mit dem armen Mädchen, Gefangenschaft und Befreiung aus Feuerfressers Dressur-Zirkus, Befreiung des Vaters durch Ehrlichkeit – und so etwas wie fröhlicher Wandel zu „Sohn“ und „Tochter“ am Ende. Da blieben zwei kleine dramaturgisch-inhaltliche Wünsche für eine Überarbeitung offen: das lügenbehaftete Wachsen und Schrumpfen von Pinocchios Nase hat Arrangeur Samuel Bächli zwar durch eine kleine Tröte hörbar gemacht, doch dieses Gleichnis sollte in Text und Musik viel deutlicher werden. Auch Pinocchios menschliche Reife – nicht nur an sich zu denken, sondern für andere etwas zu tun, nämlich Kaspar, Seppl und Krokodil aus dem Zirkus zu befreien – verdiente einen eindeutig hör- und sichtbaren Höhepunkt.
Denn alles sonstige Spielerische gelang in Stephanie Kuhlmanns Regie kindgerecht reizend. Ausstatterin Annemarie Bullas Kostüme charakterisierten bunt und treffend; ihre Dreikant-Säulen erlaubten durch einfache Drehung schnelle und optisch eindeutige Szenenwechsel von Gepettos Schnitzerstube zum Wald oder bedrohlichem Dressur-Zirkus. Andreas Paetzold leitete seine vier Mitmusikanten vom Klavier aus locker und bot mit Bächlis Auswahl aus „Signor Bruschino, „La Gazzetta“, „La Cenerentola“, „Otello“ bis zur Stretta des Quintetts aus „Barbiere di Siviglia“ auch für die reiferen Opernfreunde einen Abriss von Rossinis schier unerschöpflichen Einfallsreichtum. „Die haben toll gesungen!“ lautete das Urteil meiner kleinen Sitznachbarin im herrlichen Raum der Nürnberger Kammerspiele – ja, und boten ein Multikulti-Beispiel für fast akzentfreies Deutsch, voran Solgerd Isalv als Pinocchio, Vikrant Subramanian als Gepetto und Feuerfresser und die alle jungmädchenhafte Süße in Spiel und Gesang vereinende Yao He als Kasper und Mädchen. Begeisterter Jubel für alle Beteiligten. Mit ein bisschen Schärfung und Überarbeitung stellt dieser „Pinocchio“ des Trios Bächli-Weßler-Eule eine Kammerspiel-Alternative zu der anspruchsvolleren Kinderoper-Fassung von Wilfried Hiller und Rudolf Herfurtner dar.