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KS Iordanka Derilova (als Desdemona), KS Ulf Paulsen (als Jago). Foto: © Claudia Heysel.
KS Iordanka Derilova (als Desdemona), KS Ulf Paulsen (als Jago). Foto: © Claudia Heysel.
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Sängerfest in Schwarzweiß: Verdis „Otello“ in Dessau

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Seit Jahren wahrt das Anhaltische Theater Dessau hinweg über Intendanten-Perioden im Musiktheater ein bemerkenswert sattes musikalisches Format. Auch die aktuelle Verdi-Produktion zur Eröffnung der 223. Spielzeit reiht sich in diese Kette erstklassiger Produktionen, zu denen neben Bussen aus der Region sich auch viele Stammbesucher aus Berlin und ganz Mitteldeutschland einfinden. Der Premierenapplaus hatte enthusiastische Wärme.

Es muss nicht immer der große Regiewurf sein, der bewegendes Musiktheater garantiert. Hermann Feuchter und die Kostümgestalterin Judith Fischer versetzen Verdis zweite Shakespeare-Oper in sich drehende stählerne Raumschalen mit Gerüsten und Stangen. Weiß, Schwarz, Anthrazit und Desdemonas goldblondes Har sind die Farben im markant symbolkräftigen Spiel. Am Ende wischt ein breiter Pinsel auf dem Portalschleier die Fläche vor dem toten Paar so tiefschwarz wie die Hautfarbe des Mohren von Venedig. Zu Beginn, im Sturm und dem Huldigungschor der Kinder, glänzt fast alles weiß. Doch wird das auf den Kostümen und im Dekor gebrochen mit schwarzen Linienspuren, die den Rassenkonflikt in ein allgemeineres Spiel zwischen den das Leben beglückenden und vernichtenden Polen verlagert. Regisseur Roman Hovenbitzer stellt den Intriganten Jago so messerscharf in den Mittelpunkt, dass man in diesem „dämonischen Cherub“ denjenigen sehen könnte, aus dessen Inneren sich Desdemona und Otello, sie die helle und er die düstere Urtiefe der menschlichen Psyche, herausfräsen. Gemeint ist mehr als schwarzweißer Dualismus, nämlich existentielle Kontrastschärfe. Dieser Jago ist Otello und seiner hier alles andere als passiv-larmoyanten Desdemona mit intimer, schmerzender Nähe verbunden. Verdammt sind die Drei wahrscheinlich zusammen bis in alle Ewigkeit.

Nicht immer wird dieses Licht- und Fast-Mysterienspiel ganz plausibel. Doch höchst eindrucksvoll packende Episoden gelingen in der Auseinandersetzung Otellos und Desdemonas um das Taschentuch (hier Brautschleier, Laken, Totentuch) und Otellos Mord an Desdemona in Anwesenheit des am Ende fast zum mystischen Jenseitsboten gesteigerten Jago.

Intonationsrein, präzise und in der größten Fülle homogen sind die von Sebastian Kennerknecht und Dorislava Kuntscheva einstudierten Gruppen des Opern-, Extra- und Kinderchors. Auch Generalmusikdirektor Markus L. Frank wird gefeiert. Mit der glänzend disponierten Anhaltischen Philharmonie hat die Ankunft Otellos auf Zypern trotz Bühnensturm nicht gerade rasanten Wind in den orchestralen Segeln. Doch diese Bedachtsamkeit entfaltet später eine Dichtheit des Klangs und aufblühender Instrumentalsoli, als ob Verdi Brahms geliebt hätte. Daraus entsteht der rote Teppich für die Solisten: Alle mit Ausnahme des hier nur aufgrund der ihn umgebenden Luxusqualität etwas benachteiligten, doch feintimbrierten Kwonsoo Jeon als Cassio gehören zum hauseigenen Ensemble. Dessau, eine vokale Schatztruhe.

Es schmälert die Leistungen der expressiven Rita Kapfhammer (Elvira), des seinen Minipart aufwertenden David Ameln (Rodrigo), des von Verdi zu kurz gehaltenen Michael Tews (Lodovico) und des nach Dessau zurückgekommenen Kostadin Argirov (Montano) nicht, wenn sie sich vom Spitzentrio der drei Protagonisten überstrahlen lassen müssen. Da kann es letztlich nur subjektive Vorliebe sein, wem man die Palme reicht: Zwei starke Männer und eine mindestens genauso starke Frau zerschellen aneinander.

Ray M. Wade, jr. ist kein dunkel bronzener „Baritenore“, sondern erobert sich den Otello von seinen metallischen Höhen nach unten in die gut konditionierte Tiefe. Er hat Fülle für „Addio per sempre“ und den Racheschwur, auch den langen Atem für den Monolog. Dazu hält er in den allerkleinsten und, wenn man den Part genau nimmt, recht schweren Satzpartikeln immer den differenzierten Trompetenton. Er braucht keine Ökonomie, um durch die Partie zu kommen, weil er und seine Partner den für späten Verdi genau richtigen Energiehaushalt einsetzen können.

Bei den beiden anderen ist der musikdramatische Wandlungs- und Gestaltungsreichtum phänomenal. Ulf Paulsen baut seinen zu Ray M. Wade, jr. kontrastierenden gleißenden Höhenkern aus der Mittellage auf und hat eine derart perfekte Diktion, dass er bei aller Wortschärfe kein einziges Mal vom Kantabile in deklamierendes Parlando wechseln muss. Ein Jago, der „singt und nur singt,“ wie Verdi von Interpretinnen der Desdemona fordert.

Und das hier natürlich auch bekommt: Es war klar, dass Iordanka Derilova die großen Bögen Desdemonas bravourös meistern würde. Doch sie hat noch weitere Trümpfe in der Kehle. Kaum jemand hätte gedacht, dass sie nach allen Brünnhilden und „Der feurige Engel“ gleich mit dem allerersten Ton derart runde, substanz-und farbreiche Piani formen würde. Bis in die längsten Phrasen hat das Timbre einen natürlichen dunklen Schimmer. Ganz ohne Manierismen hört man von Iordanka Derilova farbintensive Vokallinien auf der Basis einer souverän beherrschten und emotional veredelten Belcantogrammatik. Zweifellos: Der Abend hatte sängerische Größe.


OTELLO – Anhaltisches Theater Dessau

Mit Jay M. Wade (Otello), Iordanka Derilova (Desdemona), Ulf Paulsen (Jago) u. a. – Musikalische Leitung: Markus L. Frank

  • Termine: Sa 23.09./17:00, So 08.10./17:00, Fr 10.11./19:30, So 26.11./16:00, Di 26.12./17:00

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