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N. ALAIMO - E. GALITSKAYA. Foto: © J Berger - ORW

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Sängerisch-orchestrales Dauerhoch: Rossinis „Guillaume Tell“ in Liège

Vorspann / Teaser

Elf Jahre nach den konzertanten Vorstellungen am Brüsseler Théâtre Royal de La Monnaie kommt Gioachino Rossinis letzte und seit der Pariser Uraufführung 1829 als ein Höhepunkt der europäischen Operngeschichte gerühmte Grand opéra nach Friedrich Schillers Schauspiel wieder in Belgien zur Aufführung, diesmal an der Opéra Royal de Wallonie Liège. Die Kollektive vollbrachten überraschende Wundertaten an instrumentalen Feinheiten und drängten sogar den kantigen Übereifer des sich am Ende mit selbstgefälligen Winken zeigenden Dirigenten Stefano Montanari in eine Rossini mehr angemessene Blüten-Passform. In den anspruchsvollen Hauptpartien triumphierten Nicola Alaimo, Salome Jicia und John Osborn.

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Sie schauen alle gut aus. Auch das Wetter, die Atmosphäre und das Licht über dieser Bilderbuch-Schweiz sind paradiesisch. Nur die gezackten blutroten Lettern „Liberté“ auf der hölzernen Rückwand der Scheune, welche sich immer wieder vor zwischen die Menschen und die Schweizer Landschaft furcht, und der Mord am Alten Melchthal durch die berserkernden Österreicher machen deutlich: Es geht um Besatzer und Unterdrückte, aber auch um eine Liebesgeschichte zwischen der Habsburger Edelfrau Mathilde und den tenoral vorbildlich sauberen Edelschweizer Arnold. Chor (Direktor: Denis Segond) und Orchester sind in Liège Rossinis breiten Panoramen vom Heroischen zum Pastoralen in jedem Takt gewachsen. Nach Gounods „Roméo et Juliette“, die Stefano Montanari an der Berliner Lindenoper unpassend vergröberte, und seiner an der Bayerischen Staatsoper rundum geglückten „La fille du régiment“ wirkt Montanaris Begegnung mit dem bei Rossini und Debussy in der Samt- und Seide-Premiumliga spielenden Orchestre de l'Opéra Royal etwas uneinheitlich. Am schönsten kommen die Duett- und Terzett-Inseln innerhalb der riesigen Chorszenen, weil Montanari da die Menschen- und Instrumentenstimmen sich entfalten lässt und er Rossini zuzuhören scheint. Bei dem großen Finale positioniert sich Montanari dagegen als Krawallschläger mit Kunstwillen.

Dabei bringt Jean-Louis Grinda bei seiner Rückkehr an das Haus, dessen Intendant er von 1996 bis 2007 war, „Tell“-Erfahrungen aus seiner Inszenierung vom Festival Chorégies d’Orange 2019 mit, welche sich bestens auf die musikalische Extraklasse des Abends auswirken. Immer wieder stehen die Chöre in voller Bühnenbreite und prachtvoller Stimmfülle da – die österreichischen Soldaten auf der Galerie, die Schweizer zum Spießrutenlauf unten. Für den von Rossini komponierten Apfelschuss vom Kopf seines Sohnes Jemmy gibt es keinen Special Effect, was bei dieser Schlüsselszene besser passt als meist missglückende Tricks. Wenn Grinda ziemlich offensichtlich zu visuellen Mitteln des Tourismusmarketings greift, schmeichelt das auch durch die asymmetrischen Choreographie-Arrangements von Eugénie Andrin. Kinder sind bei den Tänzen im Hochzeitstableau zu den verbliebenen Takten der Ballettmusik dabei und steigern die Stimmung.

Die Premiere am Mittwochabend mit Spieldauer fast bis Mitternacht und Jubel aus allen Altersgruppen war gut gefüllt. Mit hohem Respekt vor Rossinis langen, langen Musiknummern wollte die Leitung trotzdem unter vier Stunden bleiben. Die großen Steigerungen blieben erhalten. Aber man kürzte hie und da an den Cabaletten, verzichtete auf den berühmten Soldatentanz und den Jägerchor ganz. Dafür machten Éric Chevalier mit Fotobildern aus den Schweizer Bergen, Laurent Castaingt mit viel Milchglas- und Nebellicht auf Hybridwetter wie aus dem Bilderbuch. Im Libretto von Étienne de Jouy und Hippolyte Bis singt man von Mittagshitze. Im Bühnenwald dagegen ist goldener Oktober und vorübergehende Schneefälle gibt es zum Aufstand gegen die Österreicher auch. Die Dekoration ist also fast so schön wie die phänomenale Besetzung, und zur langsamen Schlusshymne strahlt die Sonne.

Wie fast immer triumphiert der Sänger des Arnold. John Osborn nimmt Extremhöhen und Tiefen mit atemberaubender Gleichmäßigkeit, macht Arnold zu einem weichen statt heroischem Mittelpunkt. Nicola Alaimo modelliert bereits im ersten Akt und beim Rütlischwur einen mächtigen Titelhelden mit ausdrucksstarken und imponierenden Legati, erhebt die vom Cello begleitete Arie vor dem Apfelschuss zu einem Höhepunkt. Auf lyrischer Grundierung und mit einer Vielzahl von Leuchtfeuern meistert Salome Jicia die Mathilde von der ersten Romanze bis zu den von ihr sensibel gemeisterten Synkopen-Tücken und Stellen, an denen sie wie im wunderschönen Terzett des vierten Aktes im Sinn Rossinis das Primat den Kolleginnen überlässt. Emanuela Pascu hat angenehm üppige Präsenz für Tells Ehefrau Hedwig, die am Ende vom Orchester mit einem „Happy Birthday“ beglückte Elena Galitskaya gestaltet den Sohn Jemmy mit angenehm klarer Jungenhaftigkeit in Stimme und Spiel. Inho Jeong gibt Gessler als scharfen Despoten mit schöner Belcantolinie. Patrick Bolleire als Walter Fürst und Tomislav Lavoie als Leuthold verstärken den guten Eindruck der solistischen Bass-Gruppe. Als Fischer Ruodi wartet Nico Darmanin mit zwei aberwitzig schön gesungenen Romanzen-Strophen auf und legt damit gleich nach der Ouvertüre die hohe stimmlich-instrumentale Qualitätsliga des Abends fest. Über Sänger, Chor und Orchester dieses Abends hätte Rossini sich sicher gefreut.

  • Weitere Vorstellungen: Fr 14.03., 20:00 — So 16.03., 15:00 – Di 18.03., 20:00 – Do 20.03., 20:00 - Premiere: Mi 12.03. - 20:00

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