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Hamburgische Staatsoper. Foto: Niklas Marc Heinecke

Hamburgische Staatsoper. Foto: Niklas Marc Heinecke

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Schiffbruch mit Leadership?

Untertitel
Von der Kulturpolitik für oder mit Opern
Vorspann / Teaser

Große Tanker nennt man halb verständnisvoll, halb herablassend öfters unsere größten Kulturinstitutionen, ohne jeglichen Bezug auf deren Inhalte und bloß die schwergängige Manövrierfähigkeit der längerfristig disponierenden Opernhäuser im Blick. Denen stellt man andererseits gern die schnellen Einsatzkräfte künstlerischer Projektarbeit gegenüber, zumal wenn die Großwetterlage unübersichtlicher, das Haushaltsklima rauer werden, dann hat man’s gern schlanker, zackiger. Dann auch ist das wie von Zauberhand bewegte, bedächtige institutionelle Funktionieren der Kollektive nicht mehr gefragt, sondern Führung. Und weil die Lage seit geraumer Zeit so ist, schießt seit geraumer Zeit weniger Sach- als Anwendungsorientiertes ins Kraut rund ums Konzept von cultural leadership, dem nicht nur die HfMT Hamburg längst einen eigenen Studiengang widmete, die Kulturpolitische Gesellschaft längst schon eine Nummer ihrer Mitteilungen, und dem der Deutsche Bühnenverein sein Phasenmodell zur Intendanzfindung spendierte. Prozessqualitäten allenthalben, die im Vordergrund stehen, oder wie ein einstiger Politiker von hoher Intelligenz und zwiespältigem Wirken es genannt hätte: Sekundärtugenden…

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Prozessqualitativ weniger bemerkenswert ist dabei die frühsommerliche Leipziger Groteske um die gescheiterte Findung einer geeigneten Opernintendanz vermittels Rollenspiel vor den Mandataren der Kulturpolitik. Bemerkenswerter oder fallweise besorgniserregend ist indessen die Lage an einigen der deutschen Opernhäuser, für die oder mit denen zurzeit Kulturpolitik so gemacht wird.

Elbe

Da könnte die Hamburgische Staatsoper, lange Jahre relativ bedeutungsarm, nun vorab als ein beachtenswertes Vorbild dienen. Vom kulturpolitisch allgegenwärtigen Senator Carsten Brosda, eine Art Oliver Scheytt­ 2.0, sorgsam und von langer Hand geplant, scheint da so etwas wie Oper im 21. Jahrhundert ins Werk gesetzt; ein Vorhaben, das komplexe Genre angesichts steigender Medienfluten und sinkender Bildungschancen den Leuten wieder nahezubringen. Inklusive mutiger Personalentscheidungen, wobei die eine, GMD Omer Meir Wellber, womöglich die mutigere ist, weil er und das Staatsorchester sich nicht kannten. Tobias Kratzer als Regisseur indes geht ein Ruf wie Donnerhall voraus, und als Steigerung wäre ohnehin nur eine Intendanz denkbar gewesen. Nun also Hamburg, und sein gegenwartsorientiertes Denken und Werken füllt bereits das aktuelle Spielzeitheft der Staatsoper beachtlich. Mögen da die Räume sich auch füllen. Indessen sollte bei Hamburg nicht verschwiegen werden, dass Brosdas als Dreierschlag gedachter Plan, Oper, Orchester und Ballett gleichzeitig neu zu bestallen, bei letzterem nicht funktioniert hat und er mit Demis Volpi scheiterte. Aber vielleicht ist das Neumeier-Ballett ohne Neumeier zu denken ähnlich schwer, wie Bayreuth ohne die Wagners.

Ruhr

Zu Zeiten Oliver Scheytts als Essener Kulturdezernent war die dortige Aalto-Oper nicht nur ein architektonischer Leuchtturm, sondern vor allem auch einer des Musiktheaters dank des ebenso macht- wie hingebungsvoll agierenden Stefan Soltesz als (von Ersterem bestallter) GMD und Intendant. Konwitschny und Kosky kamen gern, Hilsdorf hielt er die Treue, und sein Strauss war zumindest detailreicher und bewegender als der Thielemanns. Oper des Jahres 2008, Orchester des Jahres 2003 und 2008… Die Aalto-Oper war eine sichere Bank. Seitdem sind die Jahre ins Land und Stefan Soltesz leider von uns gegangen, Jahre, denen man im Nachhinein durchaus einen Schwund an kulturpolitischer und künstlerischer Sorgsamkeit wird nachsagen können. Tomáš Netopil und Hein Mulders machten ab 2013 respektabel weiter, konnten aber letztlich nicht ausfüllen, was da gewesen ist. Erst recht nicht deren Nachfolger Andrea Sanguineti und Merle Fahrholz. Ersterer am Verfahren vorbei vom Orchester selbst aufs Chefdirigentenpult durchgesetzt, erwies sich bald als wenig kollektivtaugliche und musikalisch schmalspurige Personalie, während die ehemalige Dortmunder Dramaturgin, die keiner auf dem Zettel hatte, vom Mael­strom eines mittlerweile vernachlässigten Betriebs verschluckt wurde. Wer da prozessqualitativ nach Verantwortung für die Lage sucht, landet alsbald bei einem kulturell führerscheinlosen Aufsichtsrat, der durchdrückte, verschwieg oder wegbügelte, so etwa die immer zahlreicher werdenden Beschwerden aus dem Ensemble über Mobbing und andere Regelwidrigkeiten, und der sich selbst dann einen schlanken Fuß machte, da ihm sein ganzes Personalmanagement um die Ohren geflogen ist: Die verbliebene Zeit mit Sanguineti und Fahrholz mögen Ensemble und Orchester, so die Aufsichtsratsvorsitzende, „professionell“ über die Bühne bringen. Unterdessen blutet das Haus aus, und der neue Intendant, den man gegenwärtig zu finden glaubt, wird es noch vernachlässigter vorfinden, um dann, vermutlich, Führungsqualitäten beweisen zu müssen.

Spree

An der bundesrepublikanisch ruhmreichen Deutschen Oper Berlin, zumal man in Aviel Cahn einen Intendanten hat, der im Herbst kommenden Jahres tatsächlich sein Amt antritt, steht man vor derartigen „Herausforderungen“ nicht. Dafür vor ortsspezifischen, als da wären, die Konkurrenz zu einem profilierten und zu einem höher subventionierten Haus, beide Ost-konnotiert, sowie vor einer Kulturpolitik, die sich von der Großsprecherei und dem Spargehorsam Joe Chialos immer noch nicht erholt hat. Ob sie das unter dem Senat des gegenwärtig Regierenden (Kassiererinnen gehen nicht in die Oper!) jemals tun wird, ist fraglich. Chialos Nachfolgerin Sarah Wedl-Wilson, konzilianter und kunstnäher als dieser, wird auch nichts übrig bleiben, als die weiteren Kürzungen im hauptstädtischen Kulturetat durchzureichen: Waren es 2025 noch 130 Millio­nen, im aktuellen Doppelhaushalt 2026/27 dann nur 110 Millionen jeweils. Ob es allerdings angesichts solch andauernd rauen Haushaltsklimas selbst im Sinne von Prozessqualität oder wenigstens kulturpolitischer Klugheit nach geraten erscheint, die Deutsche Oper auf eine mehrjährige Entdeckungsreise zu schicken, scheint fragwürdig, vielleicht fahrlässig. Denn was die Kultursenatorin als „bahnbrechendes Modell“ anpries, als Aviel Cahn vor rund vier Wochen seine Pläne für die künftige vorläufige (!) musikalische Leitung des Hauses vorstellte, kann unter den gegenwärtigen Bedingungen leicht den Schiffbruch bedeuten. „Für die ersten zwei oder drei Spielzeiten“, das heißt womöglich bis 2029 und nach dem kommenden Doppelhaushalt, will er mit zwei Ersten Gast- (Maxime Pascal und Michele Spotti) und einem Residenzdirigenten (Titus Engel) eine „inspirierende, spannende Team-Lösung“ erproben, bis sich Intendant und Orchester auf eine:n Generalmusikdirektor:in für den ein Jahr früher scheidenden Donald Runnicles geeinigt haben werden, was sie in den vergangenen zwei Jahren nicht haben tun können. In Rede steht, müßig daran zu erinnern, die musikalische Leitung eines der größten Repertoirehäuser Europas. Diesem „Ansprüche“, „Visionen“, „Ideen“, „innovative Opernprojekte“ und wovon noch die Rede ging zu versagen, das wäre das kulturpolitisch letzte. Das allererste aber wäre, diesen Prozess mehr als bisher nachdrücklich zu begleiten und planvoll abzusichern, für die Oper und ihre Menschen. Sonst bleibt es, ob nun anspruchsvoll, visionär oder innovativ, auch nur bei den Sekundärtugenden.

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