Das „Camembert-Diagramm“ unbekannt? Auch das „Pain Égalité“ nicht geläufig – trotz häufiger „Nutzung“? Darüber klärt Nadia Pantels gleichnamiges Büchlein höchst unterhaltsam auf. Dem könnte nun in der Münchner Festspielzeit vom anderen Staatstheater das „Omlette-Quartett“ hinzugefügt werden – und damit muss der frugale wie der abstinente Musikfreund bei …

Anna Tetruashvili (Veronika), Jeremy Boulton (Der Bürgermeister), Mina Yu (Lauretta), Jacob Romero Kressin (Silvio). © Anna Schnauss
Schräge Ideen vor Witz – In der Studiobühne des Münchner Gärtnerplatztheaters wird „Doktor Mirakel“ genullt
… Georges Bizet 1857 nachschlagen. Denn in Frankreich hat einfach alles - von der sich auch durch opulente Diners inszenierenden Staatspolitik bis hin zur wirklichen Theaterbühne - mit dem Essen zu tun. Da schrieb doch kein Geringerer als Jacques Offenbach einen kleinen Wettbewerb für einen Einakter auf seinem „Théâtre des Bouffes-Parisiens“ aus. Der junge Charles Lecocq (1832-1918) und der 18-jährige Georges Bizet bewarben sich und vertonten das gleiche Libretto, das Könner wie Léon Battu und Ludovic Halévy entworfen hatten. Beide Jungkomponisten wollten das „genre primitif et gai“ beleben und auf hohes Niveau heben; beide gewannen den ersten Preis; beide Werke wurden im Wechsel über zehnmal gespielt – und fielen ins Schatten-Repertoire.
Der orchestral klein besetzbare „Docteur Miracle“ ist für junge Sänger, diesmal vier Solisten aus dem Opernstudio des Gärtnerplatztheaters, eine reizvolle Gelegenheit, sich einmal „leichtfüßig“ zu zeigen. Denn der fesche Offizier Pasquin ist dem selbstgefälligen Bürgermeister für seine bildhübsche Tochter Laurette nicht gut genug. Die hat sich aber längst sterblich in Pasquin verliebt. Also packt dieser den Vater bei seiner Schwäche: als Koch Silvio verkleidet bereitet er dem Schlemmer ein opulentes Omlette – das als Höhepunkt des Werkes in einem Quartett besungen wird – angesichts französischer „Haute cuisine“-Überlegenheit natürlich spöttisch als Imitat „in italienischer Manier“, also gegen das anhaltende Rossini-Fieber. Doch die Eierspeis hat „Silvio“ gezielt so schwer verdaulich zubereitet, dass der Vater nach einem Arzt rufen muss – und nun tritt der pfiffige Pasquin als „Docteur Miracle“ auf. Für seine schnell wirkende Heilmethode verlangt er als Lohn: Laurettas Hand und Herz … die Heilung gelingt … und das Liebespaar ist vereint.
Wenn der deutsche Opernfreund dies für eine „petitesse négligeable“ hält: von Mozarts Don Giovanni bis zum „4. Musketier“, zu Alexandre Dumas’ „Le Grand dictionnaire de cuisine“ mit seinen 17 Omelette-Varianten (Neuauflage 2019!) spielt die Kochkunst auch jenseits der Küche mit.
Da wäre also viel spielerischer Un-Sinn vorhanden, um den vier jungen Solisten eine Spielwiese zu bereiten. Doch leider durften Jungregisseur Florian Hackspiel und Dramaturgin Karin Bohnert Bizet und Halévy „verbessern“. Also tritt Offizier Pasquin als verdreckter Schornsteinfeger in schwarzer Arbeitskluft auf, wird als Diener-Koch engagiert, bereitet kein Omelette zu, sondern bäckt einen viereckigen Kuchen, aus dem giftige Seifenblasen (!) aufsteigen; final kommt er als weißgewandeter Wunderarzt – heilt – und fertig ist die szenisch-dramaturgische Nullität. Dafür hatte Altmeister Rainer Sinell eine bonbon-bunte, fließende Zucker-Lasuren imitierende Spiellandschaft mit Pralinen-Sitzen und einem sargähnlichen Eclair gebaut – doch nutzte die Regie ein Versteckspiel der Liebenden nur zum banal eindeutigen Beischlafimitat; zum Zuckerbäcker-Stil der Kostüme kontrastierte das Handy von Laurette befremdlich - und die drei Kuchenesser dann ausgiebig „Erbrechen“ vorführen zu lassen: an der benachbarten Theaterakademie hätte dies nicht zum Bestehen der Regie-Prüfung gereicht …
So blieb nur andere Freude: einmal an der munteren Musik Bizets, am Vogelgezwitscher der Flöte für Laurette, am Marsch-Staccato für Pasquin, am kleinen Liebesduett, an der ironischen Fanfare für den Mirakel-Auftritt – all das dirigierte der musikalische Opernstudio-Leiter Peter Foggitt, ohne seine Solisten im kleinen Raum zu übertönen. Und da begann die zweite Freude: der australische Bariton Jeremy Boulton füllte die Bürgermeister-Eitelkeit nicht nur im aufgeblähten Kostüm, sondern auch mit hellen Tönen. Die Koreanerin Mina Yu verströmte die Sopran-Süße, die Laurette so „lecker“ macht. Jacob Romero Kressin trat mit schon fast typischem Tenor-Selbstbewusstsein „from California“ auf und ließ viril strahlendes Material hören. Das Sahne-Häubchen über dem Kostüm der Mutter Veronika von Anna Tetruashvili lockte: eine blendende Bühnenerscheinung und ein runder Mezzosopran aus Tiflis – da hätte sich wohl jeder Vokalfreund gerne von ihrem Puderzucker-Töpfchen bestäuben lassen. Dieses Quartett hätte einen besseren „Kuchen“ verdient – wohl doch das originale „Omelette“.
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