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Ensemble © Silke Winkler

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Schwerin: Eine „La Bohème“ in Grautönen

Vorspann / Teaser

Viele Inszenierungen von Giacomo Pucchinis genialer „La Bohème“ gibt es schon. Sie ist nun einmal die überall beim Publikum geliebte Oper, und sie füllt zuverlässig die Häuser. Dass es allerdings im Norden fast auf gleichem Breitengrad und im Tagesabstand gleich zwei Neuinszenierungen zu begutachten gab, ist schon bemerkenswert. Mecklenburg-Vorpommerns Landestheater in Schwerin begann am 8. September 2023, und das Theater Kiel folgte mit seiner Version am Tag danach (Kritik hier). Dass das letzte große Theater im Norden, das in Lübeck, zum Ende der Saison nachzieht, sei vorgemerkt. Es ist zwar kein Landestheater mehr, war aber einst das Theater der Freien und Hansestadt Lübeck, nicht nur deshalb würdiges Mitglied im Terzett der nördlichen Opernbühnen.

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In Schwerin war es die zweite Aufführung, die hier Grundlage des Eindrucks ist. Zu sehen war, als der imposante Schmuckvorhang in die Höhe gezogen war, in der Mitte des Bühnenraums ein schwarzes Gebäude mit dem Charme eines Baustellenbüros, oben mit einem Raum und links davon eine kleine Empore, zu der eine Treppe führt (Bühne: Thilo Ullrich). Von ihr erfolgte der Zugang in das „Gemach“ des Künstlerquartetts. In ihm fiel zunächst das schwarz gähnende Loch im Hintergrund auf. Es hatte im unteren Bereich ein Fensterbrett, immerhin so breit, dass es als Sitzbank dienen konnte und Mimì als Ablage. Von Bett mag man da nicht sprechen. Das entsprach der mehr als spärlichen Möblierung aus zwei dreibeinigen Hockern und einem Bocktisch. Und dann musste noch so etwas wie eine Feuerstelle sein, damit später das „Che gelida manina“ mit den amourösen Folgen geschehen konnte. Hier war es ein veritables altes Ölfass, in dem ein paar Seiten von Rodolfos Romanentwurf verschwanden. Man kennt ja sein Motto aus dem Libretto: „Wir heizen mit Ideen.“ Sonst gab es nichts, nicht einmal die Andeutung von etwas Wohnlichkeit, die der später erscheinenden Mimì hätte wohltun können. Ein einsames Requisit war noch da, lehnte zunächst an der Seitenwand. Es war Marcellos bereits gerahmter Bildentwurf zum „Roten Meer“. Nach der auch hier gut gelungenen Komödie mit Hausbesitzer Benoît trat endlich Mimì auf, Stickerin, manchmal auch leichtes Mädchen, auf jeden Fall herzerwärmend für Rodolfo, der wiederum händewärmend für sie wird. Seine Arie allein hätte durch Puccinis Musik das eiskalte Händchen erwärmt. Und sie singen dann noch im Duett, nachdem sie sich gegenseitig vorgestellt haben. Das alles darf nicht im Zimmer geschehen. Sie gehen raus auf den Balkon, und das wird nun eine andere Balkonszene. Am schönsten dabei: in dieser Inszenierung dürfen sie sich bei „O soave fanciulla“ (Du entzückendes Mädchen) im Mondlicht auch körperlich berühren!

„Immer wieder ist man versucht, die Augen zu schließen und nur der Musik zu folgen.“

Gut, dass die Bühne sich noch weiterdreht! Das, was bisher der Hintergrund war, wird nun von vorne sichtbar. Es ist der Spielort des nächsten Bildes und präsentiert das Café Momus, das sich mit seiner Wellblechoptik als ordinäre Bar entpuppt und dessen Tresen später Musetta als Tanzplatz für ihr Walzerlied „Quando me’n vo“ dient. Da geht sie nicht allein, sondern tanzt allein, ist einfach eine frivole Halbweltdame. Wunderbar ist der Ort zum Singen, aber nicht das zu transportieren, was sie erreichen möchte, Marcellos Aufmerksamkeit. Er liebt sie, immer noch. Er muss erkennen, dass sie zumindest brauchbare Einnahmen hat.

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v.l.n.r. Cornelia Zink, Brian Davis © Silke Winkler

v.l.n.r. Cornelia Zink, Brian Davis © Silke Winkler

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Die israelische Opernregisseurin Noa Naamat hatte ohne Umschweife sich für eine blanke Armutsszenerie entschieden. In einem erläuternden Beitrag der Dramaturgin Saskia Kruse, abgedruckt auf dem ähnlich kargen Programmzettel, wie sie die Szenerie vermittelt, wurde ein Bezug hergestellt zu dem, was den Kunstschaffenden während der Pandemie passiert war: sie hatten keine Einnahmen und verarmten völlig. Damit war die Oper in der Gegenwart gelandet, die sich aber nur mühselig an das Hier und Jetzt heranführen ließ. Immer wieder ist man versucht, die Augen zu schließen und nur der Musik zu folgen. Verzeihung, aber ganz brutal wird es im dritten Akt, wenn das Lokal, in dem Marcello die Wände bemalt, zu einem Tabledance-Etablissement mutiert und ein Zöllner zu einem schmierigen Türsteher. Die Konfrontation der beiden Liebespaare ist auf einem ganz anderen Niveau, als das, was die Inszenierung hier zur Bebilderung heranzieht. Der Rückgriff auf Arnold Hausers „Sozialgeschichte der Kunst“ wirkt aufgesetzt und allein durch Kargheit der Szene. Es wirkt tiefer ein, den gesungenen Differenzen der beiden Paare zu folgen, zumal dies, blendet man den Hintergrund aus, sich nicht nur gut anhört, sondern es auch bühnenwirksam und optisch gut aufbereitet ist.

Sensibles Miteinander

Cornelia Zink als Mimì und Konstantin Lee als Rodolfo, der einzige Gast in Schwerin, können beides, wunderbar singen und darstellen – bis hin zu dem eindringlichen Schluss. Gleiches gilt für das Konterpaar Morgane Heyse und Brian Davis als Musetta und Marcello. Schwerin hat also ein leistungsstarkes Ensemble, auch in Martin Gerke als Schaunard und Young Kwon als Colline, der trotz eines wirklich nichtssagenden Kleidungsstückes seine Gefühle beim Opfergang für den Muff im „Vecchia zimarra, senti“ tiefsinnig artikuliert. Abgesehen von vielen weiteren Veränderungen werden aus dem Muff Armstulpen. Vielleicht wären die wirksamer für Mimì, aber er singt nun mal nicht von ihnen. Das Grau des Anfangs bleibt erhalten, in Kostümen (Charlotte Werkmeister) und der Rückansicht des zentralen Baus auf der Drehbühne. Manchmal mischt sich ein violetter Ton ein, wenn Colline seiner Schnappschussfreude nachgeht. Das ist ein Gag, der für einen sehr kurzen Moment Farbe bringt, aber nicht so eingesetzt ist, dass er die Szene strukturiert.

Die musikalische Leitung liegt bei Levente Török, seit kurzer Zeit 1. Kapellmeister. Mit nur 30 Jahren vermag er das Orchester zumeist in der Lautstärke zurückzuhalten und den Gesang nicht zu  überdecken. Das gelingt bei kleineren Theaterräumen mit großem Graben häufig nicht. Was wichtiger ist, dass er den Sängern zuhört, ihrem eigenen Tempo folgt. So kommt ein sensibles Miteinander zustande.

Erfreulich ist auch, dass hier einmal nicht, alles was geht im zweiten Akt auf die Bühne gebracht wurde und die gut singenden Chöre (Aki Schmitt) sich nicht nur irgendwie bewegten, auch noch eigene Geschichten erzählten wie die von den Helikopter-Müttern.

Fazit

Schwerins überfrachteter Regie gelingt es nicht, so stark zu wirken, dass sie Puccinis Sentiment zerstört. Das Publikum der zweiten Aufführung ließ sich immer mehr bannen und spendete zum Schluss herzlichen Beifall.

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