Hauptrubrik
Banner Full-Size

Shakespeare im europäischen Kulturdialog

Untertitel
„The Players“ von Juraj Benes in Köln und „Macbeth“ von Salvatore Sciarrino in Schwetzingen
Publikationsdatum
Body

Shakespeares großes Drama sei wie ein Schwamm, meinte der alte Jan Kott, und „Hamlet“ insbesondere „eigenartig eben wegen seiner Porosität, seiner offenen Stellen.“ Das Ganze ist das Dilemma. Auf der Opernbühne erhielt bislang keines der Werke dauerhaftes Bleiberecht, die das Königsdrama in allen oder möglichst vielen seiner Handlungsstränge auf die Bühne bringen wollten. An Anläufen fehlte es gleichwohl seit dem frühen 18. Jahrhundert nicht, diesen Historienstoff, Kriminalroman, philosophischen Exkurs in Musik zu bringen. In Italien versuchten sich an ihm neben Scarlatti, Gasparini, Andreozzi, Mercadante wenigstens ein halbes Dutzend weiterer Komponisten, auch Franco Faccio, dem Verdis Librettist Arrigo Boito die Vorlage lieferte. Giuseppe Verdi selbst verwarf die Idee, einen „Hamlet“ zu komponieren; er glaubte nicht daran, die Partie des räsonierenden Titelhelden hinreichend scharf konturieren zu können. Von 1950 an hatte Boris Blacher mit einem Hamlet-Ballett eine Zeit lang ansehnliche Erfolge. Einzig Wolfgang Rihms „Hamlet-Maschine“ verspricht bislang, den magischen Bann wirklich zu durchbrechen; aber das ist eine andere Geschichte – gestützt auf Heiner Müller und die Folgeerscheinung der „Porosität“ und der blutig „offenen Stellen“.

Shakespeares großes Drama sei wie ein Schwamm, meinte der alte Jan Kott, und „Hamlet“ insbesondere „eigenartig eben wegen seiner Porosität, seiner offenen Stellen.“ Das Ganze ist das Dilemma. Auf der Opernbühne erhielt bislang keines der Werke dauerhaftes Bleiberecht, die das Königsdrama in allen oder möglichst vielen seiner Handlungsstränge auf die Bühne bringen wollten. An Anläufen fehlte es gleichwohl seit dem frühen 18. Jahrhundert nicht, diesen Historienstoff, Kriminalroman, philosophischen Exkurs in Musik zu bringen. In Italien versuchten sich an ihm neben Scarlatti, Gasparini, Andreozzi, Mercadante wenigstens ein halbes Dutzend weiterer Komponisten, auch Franco Faccio, dem Verdis Librettist Arrigo Boito die Vorlage lieferte. Giuseppe Verdi selbst verwarf die Idee, einen „Hamlet“ zu komponieren; er glaubte nicht daran, die Partie des räsonierenden Titelhelden hinreichend scharf konturieren zu können. Von 1950 an hatte Boris Blacher mit einem Hamlet-Ballett eine Zeit lang ansehnliche Erfolge. Einzig Wolfgang Rihms „Hamlet-Maschine“ verspricht bislang, den magischen Bann wirklich zu durchbrechen; aber das ist eine andere Geschichte – gestützt auf Heiner Müller und die Folgeerscheinung der „Porosität“ und der blutig „offenen Stellen“.Juraj Benes, wohl der derzeit interessanteste der slowakischen Komponisten, wagte sich trotz der wenig ermutigenden Vorgeschichte Anfang der 90er-Jahre, gestützt auf einen Auftrag aus London, an die Ausführung eines schon lange gehegten „Hamlet“-Projekts. Das wollte sich durchaus von einigen traditionellen Fesseln der „Literaturoper“ befreien, bleibt dennoch allzeit auf den großen Text verwiesen. Ähnlich dem von Berlioz bei dessen „Damnation de Faust“ angewandten Verfahren richtete Benes sich vierzig nahtlos ineinander übergehende „Hamlet“-Szenen ein, die der Vorlage zwar nicht chronologisch, aber im Schema des Handlungsablaufs folgen. Der Auftritt der Schauspieler rückt – wie von einer Lupe vergrößert – dabei in den Mittelpunkt: im Blick auf diese zweifelhaften Künstler, die in politische Intrigen verstrickt werden, schlagen sich sichtlich und hörbar Erfahrungen des Komponisten in der Endphase des realen Satrapen-Sozialismus nieder.

Das Werk bedient sich einer Polyphonie europäischer Sprachen. Neben dem originalen antiquierten Englisch stehen deutsche, italienische, französische Passagen und das Kirchenlatein der Schlusschöre. Solch programmatischen Vielfalt entspricht die des musikalischen Materials, dessen solide Grundlage eine modifikationsfähige freie Atonalität bildet. Immer wieder wird, das ist der ursprünglichen Auftragslage geschuldet, auf Klangfiguren und Intonationen Benjamin Brittens angespielt. Doch ganz originär entfaltet sich eine höchst differenziert gesetzte Gesangs-Lineatur für die acht singenden Protagonisten. Die musikalische Gemengelage im und über dem auf 16 Spieler reduzierten Orchester ist pfiffig arrangiert und würzig abgeschmeckt. Sie wird von Johannes Stert mit bemerkenswertem Geschick animiert und differenziert: munter und melancholisch, filigran und zupackend musikantisch, manchmal zackig und sogar zickig, absichtsvoll durchmischt auch mit Partikeln italienischer und osteuropäischer Operntradition. Ophelia vornan bedient mit virtuosen Sprüngen und geschmeidiger Linienführung den Gestus großer Arie – die junge Sopranistin Insun Min nutzt sie weidlich. Dem Hamlet-Darsteller wird eine Partie höchster Ansprüche zugemutet: Miljenko Turk schlägt sich bravourös.

Juraj Benes nahm es, was derzeit nicht im Trend mittel- und westeuropäischer Klassiker-Bewältigung liegt, auf seine Weise mit Shakespeare genau, wollte nicht in irgendeiner platten Weise „aktualisieren“. Freilich zielten seine musikalisierten Text-Fragmente durchaus auch auf etwas Heutiges: auf Probleme des Theatermachens. Das Mosaik seiner „Hamlet“-Szenen bildet die Basis für ein Theater-Spiel: Einzeln oder in Gruppen treten die Solisten aus dem Kollektiv, das immer wieder zum chorischen Gesang zusammenfindet. Sie stellen – mitunter in verschiedenen Rollen – etwas dar und stellen sich dar. Der Regisseur der Kölner Uraufführung, Christian Schuller, pointierte den Werkstatt-Charakter der Komposition. Er ließ die Zuschauer in einen Theaterraum kommen, in dem ein „Casting“ bereits in vollem Gang ist: Schauspieler werden an der Bühnenrampe für eine Hamlet-Aufführung getestet und Volker Niederfahrenhorst moderiert auch den nahtlosen Übergang zu einer Klavierprobe, welche die (vielleicht nicht allen Operngängern geläufigen) Handlungskonturen der Mordsgeschichte von König Claudius zu Helsingör in Erinnerung ruft. Indem die Protagonisten dann mit Probe-Kostümen ausgestattet, schließlich in die „richtigen“ gepellt werden, gleitet die Szenenfolge hinüber in die eigentliche Opernaufführung, in der jener herrische „Spielleiter“ zunehmend überflüssig wird (und tatsächlich bis zur Schluss-Szene verschwindet). Kunst will, indem sie durchaus Gesellschaftliches und politische Intrige reflektiert, sich hier noch einmal ganz in die Kunstsphäre hinausspielen.

Der Werkstattcharakter der „Players“, die ganze Intention dieses Projekts erscheint vor osteuropäischem Erfahrungs-Hintergrund ungleich plau-sibler als angesichts saturierter westlicher Erwartungshaltung. Nicht zuletzt aber ging es um europäischen Kultur-Dialog mit dieser nach Köln gezogenen Produktion: dass auch im Westen wahrgenommen werden kann, wie anders weiter östlich heute über und in Theater-Kunst gedacht wird. Und wenn Juraj Benes nicht mehr bewirkt hätte, als dass „Hamlet“ als zentraler Text des europäischen Bildungskanons wieder, ernsthaft gelesen, auf dem Theater fokussiert wird, hätte er bereits eine Menge geleistet in dekonstruktionslüsternen Zeiten. Dass dieser Komponist, 1947 im armen Trnava geboren und dort auch aufgewachsen, und der aus Siebenbürgen stammende Regisseur mit allen ästhetischen Mitteln so ökonomisch umgingen, sollte man ihnen nicht verübeln: sie sorgten für ein bewegliches, agiles Theater, in dem der Geist nicht nur mit Stablampen auf die Zuschauer leuchtet.

Krass hingegen trat bei dem wenige Tage später im Schwetzinger Rokoko-Theater vorgestellten „Macbeth“ von Salvatore Sciarrino eine Diskrepanz zutage zwischen dem Resultat und dem Anspruch, just den sozialen Charakter dieser von Anfang an eher unsozial gestimmten Kunstform herauszuprozessieren. Giuseppe Verdis von Risorgimento-Sozialität erfüllter, gleichwohl aus naiv patriotischen Einverständnis-Strömen ausbrechendem „Macbeth“ setzte Sciarrino seine Episoden-Arbeit entgegen, fixiert auf die dunkelsten Aspekte einiger psychoanalytisch markierter Individuen des Shakespeare-Stücks. Entsprechend schwarz geriet Achim Freyers Bühne. Kreide-Lineatur deutete Palasttüren, sich überlagernde Herrschaftsarchitektur an.

Damit waren die Verweise aufs Gesellschaftliche aber bereits erschöpft. Waagerecht aus dem Finsteren kommend, schwebt Macbeth zum Mord an Duncan herab. Es war, als wäre die Wirklichkeit um 90 Grad gekippt – verrückt, die Gesetze der Schwerkraft aufgehoben. Die Gesetze des musikalischen Fortschritts sucht Sciarrino auszuhebeln: strukturell schreibt er Musik nach barocken Regeln und Affekten, freilich mit technizistisch neuer Intervall- und Konsonanz-Behandlung. Der neue „Macbeth“ – ein nicht nur leise restauratives Stück mit allzu heftigem Mundgeruch eines hoffentlich überwundenen 20. Jahrhunderts. Das gesteckte Ziel, „soziales Gewissen“ zu werden, wurde mit Sciarrinos hochwohlkopfgeborenem Kammermusiktheater meilenweit verfehlt.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!