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Auf einer großen zum Konzertsaal eingerichteten Theaterbühne tummeln sich die zahlreichen Musikerinnen und Musiker für die konzertante Aufführung: Orchester und Chor in schwarzer Kleidung mit weißen Hemden, die Solisten in ebenfalls schwarzen Anzügen, die Solistin in einem gelben Kleid.

(v. l. n. r.) Tassis Christoyannis, Nicole Car, Dirigent Mihhail Gerts, Julien Dran, Ante Jerkunica, das Münchner Rundfunkorchester und der Chor des Bayerischen Rundfunks. Foto: Markus Konvalin/BR

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Späte Wiederbelebung – Marie Clémence de Grandvals Oper „Mazeppa“ in München eingespielt

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Eigentlich ein Termin für alle KulturpolitikerINNEN! Um zu staunen „Das kenn’ ich ja gar nicht!“ und am Ende festzuhalten „Wir müssen die Rundfunkanstalten so neugierig erhalten und dementsprechend ausstatten!“ Denn während das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks sich und seinen gerade 70jährigen Chef Sir Simon Rattle auf Weltniveau feiert, rechtfertigt das benachbarte Münchner Rundfunkorchester seine Existenz, indem es sich dem Unbekannten, Wertvolle und Entdeckenswerten widmet, es erstmals aufnimmt und online stellt: die „Mazeppa“ von Marie Clémence de Grandval.

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Alexandre Dratwicki, Künstlerischer Direktor der Stiftung Palazetto Bru Zane, war angereist und feierte in amüsantem Französisch-Englisch mit: 10 Jahre Kooperation zwischen dem Rundfunkorchester und dem „Zentrum für französische Musik der Romantik“ – greifbar nicht nur in kritischen Editionen bislang in Archiven schlummernder Kompositionen, sondern auch deren Aufführungen und Einspielungen, beginnend mit der unvergesslichen Wiederentdeckung von Gounods „Cinque-Mars“ im Januar 2015 (CD-Buch BruZane 11).

Im Prinzregententheater war diesmal Camille Saint-Saens einleitend zu zitieren: Die Werke seiner Meister-Schülerin „wären sicherlich berühmt, wäre die Autorin nicht eine Frau, was für viele Menschen ein unabänderlicher Fehler ist.“ Und das war von ihm kein Bonmot im Kreis der sich selbst feiernden Pariser Musik-Haute-Volée. Marie-Félice-Clémence de Grandval (1828-1907) hatte zuvor bei Frederic Chopin und Friedrich Flotow studiert und konnte sich erfolgreich etablieren: mit Liedern, Kirchenmusik und Konzertauftritten als Pianistin und Sängerin, wiederholt zusammen etwa mit Georges Bizet, Ambroise Thomas, Daniel-Francois-Esprit Auber, Charles Gounod, Giacomo Meyerbeer, Charles-Marie Widor oder Jules Massenet, Pauline Viardot und und und… kurz: der damaligen Kunst- und Kulturwelt.

Nach zahlreichen Bühnenwerken wurde Grandvals fünfaktige Oper „Mazeppa“ 1892 in Bordeaux uraufgeführt – zwar erfolgreich, doch bevor es zu einer Wiederaufführungsserie kam, starb der dortige Direktor. Und nachdem durch das damalige Subventionssystem „Nur Uraufführungen erhalten einen staatlichen Zuschuss“ kein Pariser Opernhaus mehr mit Geld für „Mazeppa“ rechnen konnte, unterblieb der Ausstrahlungseffekt aus der Metropole. Trotz des Lobs des sonst scharfzüngigen Hector Berlioz und des Urteils im damals wichtigen „Le Ménestrel“: „Mme. de Grandval ist sich treu geblieben, ohne die Übertreibungen der jungen Schule anzunehmen, ohne alte Traditionen zu bewahren, die etwas verstaubten Allüren, mit denen sich der junge Geschmack nicht verträgt. Man findet dort keine Cavatinen und keine Rouladen, keine zu vorhersehbaren Kadenzen. Auf der anderen Seite werden die Regeln der Tonalität beachtet und die Melodien heben sich mit einer Gleichmäßigkeit, einer perfekten Symmetrie und einer großen Intensität ab.“

Große Musik, fehlende Wucht im Libretto und in der Besetzung

Das war jetzt auch im Prinzregententheater zu hören. Der junge estnische Dirigent Mihhail Gerts traf mit dem bis zu Tam-Tam und Tamburin großbesetzten Rundfunkorchester die das Werk kennzeichnende Mischung aus viril deftiger Militär-Marsch-Kampfes-Welt und idyllisch emotionaler, oft auch klang-zarter Natur-Land-Liebes-Expression. Zum Höhepunkt von Mazeppas Herrschaft und Liebesglück hat Grandval auch eine fünfteilige Ballett-Musik komponiert, die kleine folkloristische Anklänge enthält. Im Mittelpunkt steht zwar der historische kosakische „Hetman“ Mazeppa, der Teile der Ukraine aus russischer Zaren-Herrschaft befreite, sich dann aber mit Schweden verbündete, 1709 in der Schlacht bei Poltawa mit zu den Besiegten gehörte und ins Ausland fliehen musste. Doch Victor Hugos Gedichtzeile „Er rast, er fliegt, er fällt und steht als König wieder auf“ haben die Librettisten Charles Grandmougin und Georges Hartmann nicht angemessen geschrieben und Grandval dann leider auch nicht komponiert: ihrem Mazeppa fehlen packende Szenen des politischen Verführers, des brutalen Machtmenschen und dann auch des beeindruckend Scheiternden.

Ein wuchtiger Bariton-Kerl mit einer „Prügel-Stimme“ hätte wohl einiges retten können, doch Tassis Christoyannis schien sich am von ihm gepflegten französischen Lied zu orientieren. Gut gelangen dadurch nur seine feinen Liebes- und finalen Leidensszenen mit der schönen Matréna, der Tochter des alten Kosakenführers. Folglich rückte Matrénas Schicksal in den Mittelpunkt. Ihre Szenen und auch die Trennung von ihrer Jugendliebe Iskra sind lyrisch bis halb-dramatisch eindringlich komponiert; Matrénas Ende in Wahnsinn und Zusammenbruch kann sich neben den anderen großen Frauenopfern behaupten. Das war auch das Verdienst der sich emotional in ihre Rolle werfenden Nicole Car: da war von lyrischem Träumen und schwelgerischem Liebesgeständnis bis hin zu weiblicher Selbstbehauptung, Angst um den Vater, verzweifeltem Schrei und tödlichem Verlöschen eine große Palette an Soprangesang zu erleben. Tenor-Partner Julien Dran konnte als Iskra mit dem typischen „lyrisme français“ weitgehend schön, in der schwierigen Rollenanlage mit seinem heldischen Part als Widerpart Mazeppas aber nicht ganz mithalten. Bass Ante Jerkunica überzeugte als Vater Kotchoubey und Bass-Bariton Pawel Trojak als Priestermönch sowie Zaristischer Botschafter. Und mit lyrischen Natur-Vokalisen, fröhlichem Mädchengesang, Männer-Militär-Aufgetrumpfe und wankelmütigen Volks-Urteilen mal pro mal contra Mazeppa, zeigte der von Stellario Fagone einstudierte Chor des Bayerischen Rundfunks sein ganzes Können.

Bühnenaufführung angekündigt

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Insgesamt stellte sich der Eindruck ein, dass das Werk – wie Tschaikowskys gleichnamige Oper - die Bühnen-Aktion braucht. Dann können expressive Sängerdarsteller wohl noch deutlicher überzeugen – und das Urteil des damaligen belgischen Musikwissenschaftlers François-Joseph Fétis über Clémence de Grandval bestätigen: „dass man ihr ohne Galanterie den Titel einer Künstlerin verleihen kann.“ 

Einhelliger Beifall am Ende und Brava-Rufe für Nicole Car –zuvor hatte Alexandre Dratwicki nachdrücklich dem Bayerischen Rundfunk für das andauernde Engagement gedankt, eine kommende Bühnenaufführung an einem deutschen Opernhaus angekündigt, die aber noch bis zu den Spielplankonferenzen „secret“ bleiben muss. Abschließend hatte er dem „Musikland Deutschland“ nochmals ausdrücklich seinen Dank ausgesprochen – was den Kulturpolitikern und ihren derzeitigen Finanzplanungen weitergesagt werden muss.

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