Premiere beim diesjährigen Mozartfest in Würzburg: Erstmals trafen sich Musiker drei Tage lang in einem „MozartLabor“, um gemeinsam zu experimentieren. Das Publikum durfte sich jederzeit dazugesellen und an den Experimenten teilhaben. Motor des von Intendantin Evelyn Meining angeregten Projekts war Jörg Widmann. „Ich wollte mich beim MozartLabor im Wortsinne an-greifbar machen“, so der Münchner Komponist. Das gelang und war eine gute Erfahrung. Aber, so sein Fazit: „Auch extrem anstrengend.“
Im Konzertsaal ist Silentium Pflicht. Jeder hat einen bestimmten Platz. Da ist das Publikum. Da das Orchester. Hier der Dirigent. „Beim MozartLabor waren Besucher und Musiker nicht durch eine Bühne voneinander getrennt“, so Frank Maier vom Zentrum für Mediendidaktik der Uni Würzburg. Das war für ihn das Grandiose an der neuen Idee. Aber auch zeitliche und örtliche Grenzen wurden aufgehoben. So sorgte Maier zusammen mit seinen Studierenden für einen audiovisuellen Online-Livestream des gefeierten Abschlusskonzerts am 4. Juni.
Ist Mozart das, was der Blechbläser vor Augen hat, wenn er das „Rondo alla turca“ spielt? Was spiegelt das Denkmal auf dem Salzburger Mozartplatz? Und worauf spielte Luciano Cas-telli an, als er 1985 zur Selbstinszenierung sein transvestitenhaftes Mozartbild schuf? Das MozartLabor startete mit dem Nachdenken darüber, welche Mozartbilder es seit Mozart bis in unsere Tage hinein gab und gibt. Mit dieser Frage hatten sich im Vorfeld Studierende des Würzburger Musikforschers Hansjörg Ewert in einem Seminar intensiv beschäftigt.
Da gibt es die sattsam bekannten Mozartklischees – die weiße Perücke, der rote Rock. Es gibt unzählige Mythen und höchst ungewöhnliche Blicke auf Mozart und sein Werk. Im bildnerischen Bereich wäre das Otto Herbert Hajeks „Gedanken an...“, im kompositorischen Jörg Widmanns Quintett. Das MozartLabor, so Ewert, bot seinen Studierenden eine tolle Gelegenheit, sich interdisziplinär mit Mozart auseinanderzusetzen und dabei so spannende Musikkünstler wie Jörg Widmann oder Christof Weiß, Komponist des Auftragswerks „Gespräch unter Freunden“, hautnah kennenzulernen. Und es war eine einmalige Chance, Anfragen an Mozart zu stellen.
Würde Mozart, lebte er heute, ein Tablet und einen MP3-Player haben? Würde er digitale Medien nutzen? „Ganz sicher!“, ist Elena Ungeheuer überzeugt. Unter Regie der Würzburger Professorin für Musik der Gegenwart entstand hinter dem „Garten der Stille“ auf dem Gelände des Exerzitienhauses Himmelspforten, wo das MozartLabor eingerichtet war, eine aufregende Klanginstallation der Komponisten Julia Mihály und Felix Leuschner. Wem das akusmatische Theater namens „Sarastros Pforten“ als Mumpitz erschien, durfte seine Zweifel äußern. Man war ja schließlich im Labor. Wer wollte, bekam erklärt, wie die bei den Laborveranstaltungen erzeugten Klänge eingefangen, digital aufbereitet und, sehr subtil unterlegt mit Mozart, wiedergegeben wurden.
Mit dem MozartLabor hatten die Fes-tivalmacher das Ohr am Puls der Zeit. „Tolle Idee“, lautete denn auch das Fazit von Felix Leuschner. Vielleicht, so der Komponist, wäre hier und da noch etwas mehr Konsequenz bei der Umsetzung des Laborgedankens wünschenswert gewesen. Stark vermisst hatte er den beim Podium mit Wolfgang Rihm. Da sei mit Blick auf Mozart nur wenig „laboriert“ worden. Umso stärkeren Laborcharakter hatten die öffentlichen Proben. Auch bei der Podiumsdiskussion mit nmz-Chefredakteur Andreas Kolb wurde tiefsinnig „laboriert“ – über digitale und analoge Medien, die Zukunft von Konzerten und über Mozart als „Meister der Dissonanzen“.
Das MozartLabor verdeutlichte gleichzeitig, was heute alles mit digitalen Medien möglich ist. Und es warf viele Fragen die Digitalisierung unserer Zeit betreffend auf. Da ist die Tatsache, dass YouTube und Co. Zugänge zu klassischer Musik eröffnen können. Und das Faktum, dass vieles, was digital publiziert wird, sei es von Usern oder Journalisten, den Geschwindigkeitsgeboten gehorchend oft viel zu schnell ins Netz gestellt wird.
Man scheint an einem Kreuzweg zu stehen. Wohin führen die Neuen Medien? Da sind die bekannten Schattenseiten: Sich auf Musik, etwa ein Mozart-Konzert oder eine Operninszenierung zu konzentrieren, das Gehörte und Gesehene intensiv zu durchdenken, scheint durch digital getriebenen Tempozwang auf der Strecke zu bleiben. Sowie etwas geschieht, muss stante pede darüber getwittert werden. Der Livestream des Konzerts ermöglicht es andererseits all denen, die sich mangels Mittel nicht in Konzertgala werfen können, am Kulturleben teilzuhaben.
Wer sich noch immer in den Konzertsaal begibt und dort ein tolles Opus hört, ahnt allenfalls, wie viel Arbeit dahintersteckt, bis die Interpreten sämtliche Raffinessen des Werks beherrschen. So richtig weiß man jedoch darum nicht. Die öffentlichen Proben von Jörg Widmann und Christof Weiß gaben einen Einblick in die mühsame Probenarbeit. „Schön, dass auf diese Weise außerdem schon beim Proben ein Stück Konzertatmosphäre entsteht“, so der Fagottist Jakob Fliedl.
Komponist Jörg Widmann lüftete im Labor gern Geheimnisse seines Schaffens. Hier und da wandte er sich während der öffentlichen Proben direkt an die Zuhörer, um Diffiziles zu erklären oder auch kurz von eigenen Nöten während der Arbeit am Quintett zu berichten. Auch die begeisterte Schlussbemerkung nach einer der Proben war ans Publikum gerichtet: „Solche Musiker sind für einen Komponisten einfach nur ein großes Glück!“
Im MozartLabor trafen Digital Natives auf Menschen, die gerade die ers-ten Gehschritte im Internet hinter sich gebracht haben. Es stießen praktizierende Musiker auf Musiktheoretiker. Und Komponisten auf Interpreten.
Puristen begegneten jungen Wilden, denen kein Mix zu abenteuerlich ist. Und „ganz normale“ Menschen setzten sich mit Philosophen auseinander. Allerdings: Peter Sloterdijk kam nicht zum anberaumten Podium „Musik und Heimat“. Eine Enttäuschung für viele, die ihn am Abschlusstag unbedingt hatten hören wollen. Darunter die Würzburger Philosophin Gerda Pagel. Der gefiel das Format „Labor“ ansonsten sehr gut: „Das wäre auch was für andere Kunstrichtungen. Und nicht zuletzt für die Politik.“