Ein Pasticcio durch die Operngeschichte ist immer eine heitere, zuweilen auch recht oberflächliche Sache, die zuerst der Unterhaltung dient. Schmankerl werden neben wiederentdeckten Perlen platziert, am Ende kommt sogar noch so etwas wie eine beiläufige Handlung heraus. Doch mit alldem wäre das Projekt „Amopera“ des Klangforum Wien gemeinsam mit der Needcompany überhaupt nicht gegriffen, obwohl auch dieser Ritt durch die letzten 100 Jahre Operngeschichte einiges an Spaß und gar Comedy anbot.

Das Amopera-Projekt im Konzerthaus Wien.
Steiler Ritt durchs Jahrhundert – „Amopera“-Projekt des Klangforum Wien feiert österreichische Premiere
Vor den ersten Tönen an ist man ja skeptisch: Kann das gut gehen, bei so vielen Stilen, Geschichten, Konzeptionen, Meta-Oper in Meta-Ebenen, schon von den Komponisten in teilweise kaum zu fassenden Welten eingebaut, gebastelt, verklausuliert? Es geht mehr als gut, denn Professionalität in der Umsetzung und eine fast kindliche Neugier und Kreativität gehen bei dem während der Corona-Zeit entstandenen und 2022 in Erl erstmals präsentierten Projekt so sehr Hand in Hand, dass man als Zuhörer selbst zum staunenden Kind vor dem sich hier rasant drehenden Menschen- und Klangkarussell wird.
Zirkus- und Jahrmarktassoziationen waren hier auch durchaus erlaubt in den insgesamt dreizehn ineinander verschränkten Werken, und die zum Oval abgesteckte Bühne des Konzerthauses mit dem enormen Instrumentenarsenal des Klangforums mittendrin formte einen halbkonzertanten Rahmen der Aufführung, die in der Regie der belgischen Needcompany um Jan Lauwers einiges an Bewegung erzeugte. Dazu gab es Visuals (Grace Tjang) aus Overheadprojektoren an der Wand, deren Reduktion auf monochrome Farben und Linien wenigstens nicht noch mehr Metaebenen erschuf.
Denn Auge und Ohr hatten in der „Amopera“, die sich – inspiriert von Peter von Matts Literaturgeschichte der Treulosen – den Liebeswirren der Neuzeit widmete, wahrlich genug zu tun. Das Klangforum spielte, rannte, sprang und performte sich durch insgesamt dreizehn Opern- und Kammermusikwerke, und wer jetzt noch glaubte, bei instrumentalem Musiktheater steht man vielleicht mal kurz auf und setzt sich wieder hin, hat leider verpasst, wie der Ensemblecellist von der Fagottistin brutal gemeuchelt wurde. „Drama, Baby!“ hieß es natürlich auch für die beiden vokalen Hauptprotagonisten der Metaoper Sarah Maria Sun und Holger Falk, die sich mal im Monolog (Sciarrino) oder in Dialogen und Duetten von Zemlinsky (der sich übrigens mit „Der Zwerg“ nahtlos einordnete!) über Berg und Britten bis hin zu Peter Maxwell Davis duellierten oder anschmachteten – Liebe, Tod und Wahnsinn stets auf der Spur.
Und obwohl ja mit den dreizehn Werken, ihrer Gruppierung und Anordnung ein bewusster Werkcharakter entstand (etwa im Gegensatz zu Cage „Europeras“, die bis heute eher die Assoziation eines körperlosen Opernhaufens erzeugen), konnte die Sphäre von Freiheit, Kunst und sogar Spaß erhalten bleiben. Manches Mal driftete der Abend in die Clownerie oder Klamotte, das fand aber zumeist von Lauwers inszeniert in den Übergängen und Zwischenspielen statt, so dass für intime Momente etwa in Beat Furrers „die helle Nacht“ oder Rebecca Saunders „O Yes & I“ wieder ein konzentrierter Raum geschaffen wurde.
„Amopera is a catastrophe, a contemporary battle, a dystopic ballad, a passionate dialogue, a healing process, an ode to the voice, to opera, to humanity ; an ode to the richness and versatility of art.“ Jan Lauwers, needcompany
„Amopera“ lebte auch von seinen Verpaarungen der Werke, so waren etwa in Iannis Xenakis „Kassandra“ direkt nach Sara Glojnarics „Artefacts“-Duo mit Stimme und Schlagzeug überraschende ästhetische Nähen auszumachen. Und Meta-Meta-Ebenen taten sich erst recht auf, wenn die präsentierten Werke (Berios „Recital for Cathy“ oder Bernhard Langs „I hate Mozart“) sich ebenfalls in anderen musikalischen Welten aufhielten oder sie sogar regelrecht plünderten. Vokal ging das genussvoll vonstatten, denn die Ausnahmesängerin Sarah Maria Sun bewegte sich hier gleichsam in ihrem zeitgenössischen Wohnzimmer und wechselte souverän zwischen den enorm herausfordernden Handschriften hin und her, ihr Partner Holger Falk tat es ihr von bassiger Liebenswürdigkeit bis hinauf in kastratige Register nach. Derweil hielt Dirigent Tim Anderson die Fäden vom Pult aus zusammen, sah sich dann und wann aber auch selbst verstrickt in die choreografierten Szenerien der Needcompany oder dirigierte auch mal ein Luftorchester.

Das Amopera-Projekt im Konzerthaus Wien. Foto: Carlos Suarez
„Socken aus“ hieß es schon ganz am Beginn – die visuelle Ebene bot jede Menge Unterhaltung in der Bewegung, der Körperannäherung oder -entfremdung, und das Klangforum zog diese Performance mit sichtbarem Genuss am (Amor-)Spiel und an der Übertreibung durch. Bilder und Szenen entstanden, die man mit Liebe in Verbindung sehen konnte, aber nicht musste; und einige inszenierte Körperpulks passten perfekt auf die musikalische Ebene, ohne dass man eine rechte Erklärung dafür fand. So geht Kunst, aber vor allem Theater. Ob Liebe heute noch so viel Drama (bei Michael Wertmüllers „Diodati“ ins überlaute Chaos überhöht) und nicht viel mehr einfache Wahrheit bräuchte, wäre eine Frage ins Offene. Maximal hätte man sich dann doch eine Opernbühne mit etwas mehr technischen Möglichkeiten gewünscht, das Konzerthaus war an der Stelle fast überreizt ausgenutzt. Doch diese bewusst unfertige, bruchstückhafte Anthologie der menschlichen Begegnung war auch in ihrer Unvollkommenheit ein spannender Spiegel der Neuzeit – Prädikat wertvoll.
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