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Ekaterina Semenchuk als Didon in Berlioz’ „Les Troyens“ an der Bayerischen Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl
Ekaterina Semenchuk als Didon in Berlioz’ „Les Troyens“ an der Bayerischen Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl
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Sternstunde des Ensemblegesangs: Hector Berlioz’ „Les Troyens“ an der Bayerischen Staatsoper

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Es muss schon viel passieren, um einem eine nahezu ungekürzte Premiere von Berlioz’ grandioser Trojaner-Oper zu vermiesen. Regisseur Christophe Honoré hat sich an der Bayerischen Staatsoper alle Mühe gegeben, es bleibt aber beim Versuch.

Strategie Nummer eins: Langeweile. In Akt I und II bringt Honoré das Bühnengeschehen beinahe zum Erliegen. Als einzige nennenswerte Regie-Idee präsentiert er über geborstenem Marmorboden und Meerblickwerbetafel in zittrigen weißen Neonlettern die Botschaft „Das Pferd“. Dieses bringt bekanntlich nichts Gutes und so leuchten die Buchstaben schließlich rot.

Strategie Nummer zwei: Provokation. Die Karthago-Akte finden in einer Beton-Poollandschaft mit Meerblick statt, in der Männer der Freikörperkultur frönen. Zur „Chasse Royale“ am Beginn des vierten Aktes flimmert angedeuteter Gay-Porn über zwei Bildschirme. Ein Teil des Publikums fällt drauf rein und buht brav.

Zur Einordnung seiner Regie ist im Programm dankenswerterweise der „Brief an die Sänger:innen“ abgedruckt, den Christophe Honoré vor Beginn der Probenarbeit verfasste. Darin bezieht er sich auf Vergils Beschreibung der Begegnung von Dido und Aeneas im Totenreich. Das Schweigen Didos angesichts der Entschuldigungsversuche des einst treulos Abgereisten solle über diese Produktion der „Troyens“ herrschen, lässt Honoré wissen.

Dem schließen wir uns in Sachen Inszenierung gerne an, womit wir bei der Musik wären. Ohne rhythmisch halbherzig vorzugehen, legt Dirigent Daniele Rustioni mit dem hervorragenden Staatsorchester den Schwerpunkt auf jenen romantischen Klassizismus, der dem Gluck-Jünger Berlioz bei diesem Stoff vorschwebte. Die atemberaubenden Farbmischungen und Instrumentaleffekte setzt er gerade so dosiert ein, dass sie zu theatralen Gesten, nicht aber zur Orchestrierungs-Freakshow werden. Man könnte sich das durchaus zugespitzter vorstellen, in Rustionis Tempowahl, die die Nummernfolge in stetem Fluss hält, und seiner Betonung der als Pendant zur Bühne gleichsam mitsingenden Orchestermelodie ist das aber zu jeder Zeit schlüssig und mitreißend.

Die Sänger danken ihm diese auch in Sachen Lautstärke etwas zurückgenommene Gangart; immer wieder können sie sich in nach innen gewandte Piano-Bereich zurückziehen, um dann umso expressiver auszubrechen. Marie-Nicole Lemieux als Cassandre und Stéphane Degout als Chorèbe bestätigten ihre Leistungen aus der hervorragenden CD-Produktion von 2017 (unter Dirigent John Nelson) mit packender sängerischer Präsenz.

Angeführt vom mal strahlenden, mal in nachdenkliche Mezza-Voce-Bereiche ausweichenden Gregory Kunde als Enée und der einerseits sonor selbstbewussten, andererseits erstaunlich zerbrechlichen Ekaterina Semenchuk als Didon entwickelte sich das Ende des vierten Aktes zu einer Sternstunde des Ensemblegesangs, gekrönt vom Duett „Nuit d’ivresse“. Am Gelingen von Quintett und Septett beteiligt: Lindsay Ammann (Anna), Martin Mitterrutzner (Iopas), Bálint Szábo (Narbal), Eve-Maud Hubeaux (Ascagne), Sam Carl (Panthée) und der exquisite, von Stellario Fagone einstudierte Staatsopernchor. Berlioz lebt.

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