Der frühere Chefdirigent des Südwestfunk-Sinfonieorchesters, Ernest Bour, ist tot. So begann die Meldung, die die Agenturen verbreiteten, sachlich richtig und korrekt. Was dann folgte, war von liebloser, ahnungsloser Dürftigkeit, einfach unzulänglich. Das Schlimmste aber: Viele Zeitungen, auch renommierte, beließen es beim Abdruck dieser Nachricht. In den Feuilletons breitet sich zunehmend der Zeitgeist aus. Erinnerung ist nicht gefragt. Wird man die dabei entstandenen und unablässig wachsenden Defizite eines Tages nicht vielleicht beklagen? Wenn Kunst, Musik aus ihrer Geschichtlichkeit fallen, nur mehr bestenfalls als schnell konsumierbares Tagesereignis dienen?
Der frühere Chefdirigent des Südwestfunk-Sinfonieorchesters, Ernest Bour, ist tot. So begann die Meldung, die die Agenturen verbreiteten, sachlich richtig und korrekt. Was dann folgte, war von liebloser, ahnungsloser Dürftigkeit, einfach unzulänglich. Das Schlimmste aber: Viele Zeitungen, auch renommierte, beließen es beim Abdruck dieser Nachricht. In den Feuilletons breitet sich zunehmend der Zeitgeist aus. Erinnerung ist nicht gefragt. Wird man die dabei entstandenen und unablässig wachsenden Defizite eines Tages nicht vielleicht beklagen? Wenn Kunst, Musik aus ihrer Geschichtlichkeit fallen, nur mehr bestenfalls als schnell konsumierbares Tagesereignis dienen?Ernest Bour, am 20. April 1913 im lothringischen Thionville geboren, war nach Studien am Straßburger Konservatorium Kapellmeister in Genf und Straßburg, nach dem Krieg leitete er zeitweilig das Orchester der Stadt Straßburg. Schon damals setzte er sich vehement für die neue Musik ein. Als das Sinfonieorchester des Südwestfunks Baden-Baden für den verstorbenen Hans Rosbaud einen würdigen Nachfolger suchte, fiel die Wahl fast automatisch auf Ernest Bour.Die Ära Bour sicherte dem Orchester und damit auch den Donaueschinger Musiktagen Kontinuität und hohen Anspruch. Bour hat in Donaueschingen rund sechzig Uraufführungen herausgebracht, und noch einmal so viele andernorts mit anderen Orchestern und Ensembles. Für Ernest Bour bedeutete das unablässige Engagement für die Musik der Gegenwart zugleich ein konsequentes Denken in jener schon erwähnten Geschichtlichkeit. Auch die neue Musik ist in ihr verwurzelt – Reinhold Brinkmann hat bei der Verleihung des Siemens-Musikpreises an ihn vor kurzem nachdrücklich darauf hingewiesen. Ernest Bour formulierte es durch seine Darstellungen der Musik des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. Haydn, Schubert klangen bei ihm unerhört modern, beredt, klanggeschärft. Bei Debussy und Ravel gelangen ihm beispielhafte Interpretationen. Bours Fähigkeit, äußerste Transparenz und intellektuelle Kontrolle für die Darstellung komplexester Partituren der Moderne aufbieten zu können, verdanken Ligeti, Lachenmann, Stockhausen, Berio und Zimmermann, Globokar, der junge Rihm, Sinopoli und Halffter – um nur einige zu nennen – unendlich viel. Ernest Bour war nicht nur der Dirigent, sondern immer auch Mitschöpfer, Mitgestalter für die Komponisten und ihre entstehenden neuen Werke.
Dabei wurde Ernest Bour von manchen Komponisten vorübergehend oft mehr gefürchtet als geliebt. Bours Akribie beim Studieren des Notentextes, sein unbestechlicher Blick für Fehler oder Ungereimtheiten trieben den jungen Komponisten häufig den Angstschweiß auf die Stirn. Bour beharrte unerbittlich auf dem Anspruch des jeweiligen Werkes, jeder Neuheit ließ er die höchste Aufmerksamkeit und Sorgfalt bis in die letzte Note zukommen. Mit pedantischer Trockenheit hat solche Auffassung nichts gemein, im Gegenteil: Wer Ernest Bour als Dirigenten, sei es bei der Avantgarde, sei es im klassisch-romantischen Repertoire, erlebte, war immer wieder überrascht und überwältigt, was für einen hohen Grad an Expression und Emotionalität Ernest Bour zwischen und hinter den exakt gesetzten Noten entdeckte und freisetzte.