Ludwig Obst und Hannah Hupfauer. Foto: © René Jungnickel
Stumm durch Gewalttrauma: Carl Maria von Webers Ritteroper „Silvana“ in Radebeul
„Der Freischütz“ ist europäisches Stammgut, „Euryanthe“ in strichloser Form ein dramaturgisch sperriger Brocken und die für London entstandene Extravaganz „Oberon“ durch packende Schaueffekte viel zu anspruchsvoll. Auch der Einakter „Abu Hassan“ und die Komödie „Die drei Pintos“ (in der Mahler-Bearbeitung vor wenigen Jahren im Gewandhaus zu Leipzig) kamen nicht infrage. Blieb also für die erst vor wenigen Spielzeiten mit Heinrich Marschners „Der Vampyr“ erfolgreichen Landesbühnen naheliegenderweise die aus Webers erstem Singspiel „Das stumme Waldmädchen“ für das Theater Freiberg hervorgegangene romantische Oper „Silvana“ auf das Textbuch von Franz Carl Hiemer. Gute, witzige und aufschlussreiche Wahl – mit Erkenntnisgewinn.
Eindeutig fußt das 1810 bei der Uraufführung in Frankfurt am Main gewiss originelle Werk im literarischen Ritter-, Geister- und Räubergenre, in dem zum Beispiel der in Freiberg geborene Christian Heinrich Spieß unter Pseudonym Bestseller-Triumphe wie das sprichwörtliche „Petermännchen“ feierte. Für die ironische Spielanleitung hatte man den bereits durch Massenets „Esclarmonde“ in Dessau und Händels „Amadigi“ in Meiningen mit phantastischen Ritteropern bestens vertrauten Hinrich Horstkotte geholt. Dieser zeigte für Regie, Bühne und Kostüme ein liebevolles, ironisches, süffisantes Verantwortungsbewusstsein: Man sah Chorfrauen als Ritterdamen mit hohen Spitzhüten und zugespitzten Nasen, Chormänner als Ritter aus echtem Schrot und Korn und eine primadonnenhafte Protagonistin Mechtilde mit der richtigen Liebe für den in der feudalen Heiratspolitik falschen Ritter Albert von Cleeburg. Das ist zumindest die Ansicht von Mechtildes toxischem und jähzornigem Vater, Graf Adelhart. Wenn die Kulissen sich in Horstkottes liebevoll ironischer Deutung von gefährlicher Waldeinsamkeit umkehren, hinter der Burg eine milde Obstgegend sichtbar wird und wenn dann das mittelalterliche Herrenpersonal mit Helm und Zylinder, Schwert und Parapluie antritt, ist das romantische Opernmaß noch immer nicht voll. Ganze Arbeit leisten Chordirektor Daniele Pilato und Solo-Cellist Norbert Schröter.
Koloraturen, Höhentorpedos, Erregungstirade
Für die meisten, auch in Dialogen massiv geforderten Partien gibt es Doppelbesetzungen. In der Premiere sangen Anna Erxleben (Mechtilde) und Ludwig Obst (Rudolph von Helfenstein). Man staunt, was da an kleineren Theatern um 1800 den oft in Schauspiel und Musiktheater gleichermaßen eingesetzten Ensemblemitgliedern alles abverlangt wurde: Koloraturen, Höhentorpedos und laute Expression in zahlreichen hier satt gemeisterten Erregungstiraden. Ein steiler Autoritätsschurke ist überdies Ensemblesäule Paul Gukhoe Song als Graf Adelhart mit fast Wagner-mächtigem Charakterbariton. Auch die anderen Partien ließen sich von Horstkottes Enthusiasmus anstecken: Kay Frenzel als Mechthildes Wunschritter Albert, Stephanie Atanasov als notorisch neugierige Zofe Klara, Reuben Scott als Fust von Grimmbach, Andreas Petzoldt als im Ritterschauspiel wichtiger Informant. Authentisch präsentiert sich die Elbland Philharmonie Sachsen ohne Originalklang-Ambition. Hans-Peter Preu ergänzte mit sensibler Wahrnehmung von Webers frühromantischen Besonderheiten einige musikalische Sätze für die nicht singende und nur wenige Silben sprechende Titelfigur Silvana. Auch der Landesbühnen-Kapellmeister gewinnt den turbodramatischen Szenen auf der Burg mehr ab als den experimentell eigentlich weitaus spannenderen Waldszenen.
Der erste Aufzug im finsteren Tann plätschert eher dahin. Trotzdem beeindruckt hier – schon 11 Jahre vor „Der Freischütz“ – Webers instrumentaler Innovationsschub: Man hört interessante Bratsche-Cello-Farben, die Webers spätere Verve ahnen lassenden Jägerchöre und musikdramatisch schmiegsame Wechsel zwischen Dialog, Melodram und Melos. „Silvana“ erklärt, wie das „Freischütz“-Wunder entstehen konnte, und wirkt an vielen Punkten wie das erste Erproben von Unbekanntem. Hannah Hupfauer tritt als Silvana pantomimisch und vor allem mit schreckgepeitschten Augen auf, zieht alle Blicke auf sich, auch durch Webers düster-suggestive Akkorde und Preus zu Webers Komposition stilistisch täuschend ähnlichen Zusätzen. Dem nach einem Tötungsversuch an dem traumatisch verstummten Waldmädchen wird ihr übel mitgespielt. Horstkotte verstärkt, dass das Genesen vom Schock durch die Wiederholung von Silvanas Todesschrecken aus existentieller Not möglich wird. Der Bariton-Knappe Krips (Dániel Foki) mit roten, zu Teufelshörnchen modellierten Haarschöpfchen und frechem Lied-Gestus hüpft mit schon koboldhaftem Witz durch das Geschehen. Am Ende riesiger Applaus. Das Premierenpublikum ließ sich von Horstkottes komödiantisch-heroischer Direktheit gern mitnehmen. Zu häufigeren Aufführungen wird es nach dieser Neuproduktion wahrscheinlich trotzdem nicht kommen. Aber man hört, wie Weber seine Stärken zielorientiert ausbaute.
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