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R. FEOLA Foto: © J. Berger ORW-Liège

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In szenischem Pauschalarrangement: Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ in Liège

Vorspann / Teaser

Vincenzo Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vom belächelten Belcanto-Vehikel zum Fast-Repertoirestück für Mitteleuropa gemausert. Etwas besser sah es bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts international aus. Da gehörte die 1830 am Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführte und lange Zeit mit dem Finale aus einer früheren Vertonung von Nicola Vaccai gespielte tragische Oper zum guten Ton für edle Diven der ganz hohen und nicht ganz so hohen Stimmlagen. An der Opéra Royal de Wallonie-Liège kam „I Capuleti e i Montecchi“ nach der letzten Aufführung 2010 in einem musikalisch berührenden wie szenische belanglosen Eigenarrangement Koproduktionspartner heraus. Rosa Feola (Giulietta), Raffaella Lupinacci (Romeo) und Maxim Mironov (Tebaldo) glänzten. 

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Gewiss muss man die Nicht-Shakespeare-Oper über Romeo und Julia, welche Star-Librettist Felice Romani in die Auseinandersetzungen zwischen Guelfen und Ghibellinen um 1300 verlegte, nicht gleich zum dunklen Clan-Thriller aufmöbeln wie Sergio Morabito und Jossi Wieler letztes Jahr in Weimar. Aber „I Capuleti e i Montecchi“ verdient trotzdem größere Nachdenklichkeit und sensiblere Delikatesse als von Regie- und Bühnenbild-Routinier Allex Aguilera investiert – vor allem Zugriffe auf Höhe der kunstvollen und nur scheinbar schlichten Musik Vincenzo Bellinis. Bei den belanglos herumstehenden Herren – von Françoise Raybaud in Biedermeier-Fräcke und Postrokoko-Anzüge gesteckt – konnte Chordirektor Denis Segond trotz hoher Kompetenzen wenig Temperament-Sprit ansetzen. Am Ende geht Giulietta zum Giftselbstmord doch noch übers flache Wasser, dessen Reflexe Luis Perdiguero zu allerlei symbolträchtigen Lichteffekten aufgriff. Das naive Gehüpfe und Necken dreier Tanzpaare zum Chor des ersten Finales war schieres Lückenfüllen. Die Videos von Arnaud Pottier verdoppeln in Projektionen auf eine Raumschachtel der katastrophen-hellsichtigen Giulietta das durch Worte und edelste Töne Gesagte: Leichenzug und fragende Blicke aus Kulleraugen. Nach dem Doppeltod der Liebenden von Verona gibt es ein geköpftes Double der Giulietta-Statue von Verona und – Achtung Aktualitätsbezug! – ein düsteres apokalyptisches Bild zerstörter Landschaften. Zum Schluss großer Jubel für alle musikalischen Kräfte von einem relativ jungen Publikum. 

Für die musikalischen Leistungen lohnt sich die Reise nach Liège immer. Denn das Orchestre de l’Opéra Royal de Wallonie hat die nötige Bellini-Elegie, das singende Schwelgen und die samten-dramatische Attacke in seiner DNA. Spielplan-Höhepunkte der kommenden Spielzeit werden mit Rossinis „Guillaume Tell“, Massenets „Werther“ und Wagners „Tristan und Isolde“ äußerst anspruchsvolle Orchester-Raketen. Man hört in Liège immer den regelmäßig an Verdi und französischem Fach bewährten Qualitätsstandard. Aber Dirigent Maurizio Benini hat minimale Schwierigkeiten beim Switch zwischen den Ebenen Bellinis, der in „Capuleti“ noch etwas häufiger auf kräftige Rossini-Wirkungen setzt als auf Überwältigung durch melodische Zeitlupen. Die Herausforderung von drei solistisch dominierten Szenen bis zum großen Duett und spannend strukturierten ersten Finale nimmt Benini in der ersten Stunde mit hohem Können. Doch das Abheben ins liebliche Vokal-Nirwana ereignet sich an nur wenigen Stellen: Giuliettas beide Arien und die Cabaletta des Liebesduetts waren solche Momente, weniger die Sterbeszene mit ihren langen und deshalb nicht ganz unproblematischen Deklamationsflächen. 

Eine feine und Belcanto-erprobte Besetzung

Intendant Stefano Pace hatte für die fünf Solopartien eine feine und Belcanto-erprobte Besetzung zusammen. Roberto Lorenzi als Giuliettas rabiater Vater Capellio und Adolfo Corrado als Sedativum-erfahrener Lorenzo sind beide blutjung und verfügen über balsamische Gesangsenergie. Maxim Mironov – immer wieder gern gesehen in Liège – singt den heißspornigen Tebaldo mit heller Attacke und glänzenden Spitzentönen, die aufgrund seiner wunderbaren Verve im Gesamtdiadem der Partie kaum auffallen. Bei Mironov hört man, dass der Übergang in die lyrischen Anforderungen für Tenöre erst einige Jahre später erfolgte und Bellini doch noch bei den von Rossini geforderten Höhentorpedos ansetzte. 

Die Stimmen des Mezzos von Raffaella Lupinacci und der Sopranistin Rosa Feola kommen keineswegs nur vom Himmel. Beide haben warme Timbres mit Opulenz, aber auch Bodenhaftung. Bellinis Kantilenen fallen bei ihnen nicht vom Himmel, sondern kommen einer partiellen Schwerkraft-Überwindung gleich. Wenn Lupinacci als Romeo als letzte kommt und demzufolge das meiste Gewicht hat, bestätigt das Beninis doch eher viril-markante Sicht auf Bellinis in den besten Momenten betörendes Melodramma. Feola dagegen akzentuiert, dass Giulietta wissend in die Tragödie schlittert und wie diese junge Frau – aus welchen Gründen immer – die Tragödie von Liebe, Leid und Tod mit bewusstem Edelmut erduldet. In diesem Sinne wurde die Vorstellung dann doch zu einem Abend schönster Vokalgestaltung ohne szenische Ablenkmanöver.

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