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Der Ring in Sofia. Foto © Kostadin Andreev

Der Ring in Sofia. Foto © Kostadin Andreev

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Technisches Wagner-Märchen mit Sensation Brünnhilde: „Der Ring des Nibelungen“ an der Nationaloper Sofia

Vorspann / Teaser

Neben dem Wagner Festival Budapest brilliert jetzt auch die bulgarische Nationaloper mit einem auf Dauer angelegten Sofia Wagner Opera Festival. Während einer Hochsommer-Woche soll es die bereits zweite Inszenierung des „Ring des Nibelungen“ innerhalb von nur 15 Jahren von Intendant Plamen Kartaloff und eine weitere Wagner-Oper geben – mit überwiegend einheimischem Ensemble. Unter fachkundiger und sehr überlegt herangeholter Anleitung liefert das erste Haus der dicht blühenden bulgarischen Opernlandschaft in „Ring“-Zyklus vom 15. bis 20. Juni eine international gültige Leistung. 

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Bei nur bis Kniehöhe heruntergelassenen Vorhang sieht man in „Die Walküre“ die Beine der Verfolger Siegmunds mit Eilschritten. Auch zu Beginn von „Siegfried“ wird zu Aktion, was in Richard Wagners vierteiligem Bühnenfestspiel in der Regel nur erzählt wird. Sieglinde, die kreißende Zwillingsschwester Siegmunds und Mutter des inzestuös gezeugten Sohns Siegfried, entbindet und stirbt. Der Zwerg Mime nimmt die Stücke des Schwertes an sich. In der „Götterdämmerung“ erscheinen vor dem tiefrot funkelnden Weltenbrand und tiefblau projizierten Wellen die Götter – also jene, die andere in den zum Untergang führenden Schlamassel verstrickten und dabei „so klug sich wähnten“. Auch der Zwerg Alberich ist im Volleinsatz mitsamt seiner traumatisch gesteigerten Gier nach dem Ring und dessen vermeintlicher Macht. Die insgesamt vierzehn Stunden des 1876 in Bayreuth uraufgeführten Musiktheater-Geniestreichs fühlen sich kurzweilig an wie sonst nur selten. Sofias Nationaloper-Intendant Plamen Kartaloff ist ein Kenner und Könner. Bereits von 2010 bis 2013, also Wagners 200. Geburtstag, brachte er im bis dahin eher Wagner-fremdelnden Sofia einen „Ring“ heraus, welcher im Füssener Festspielhaus Neuschwanstein 2015 gastierte. 2023 hat Kartaloff – auch da gab es mit „Die Walküre“ ein Gastspiel in Füssen – seinen „Ring“ verfeinert und mit einer märchenhaft intensiven Ausstattung erneuert. Hans Kudlich hat drei einem Alpha-Zeichen ähnelnde Elemente gebaut, die in Schräg-, Hoch- und Tiefstellung variantenreich bespielbar sind. Dahinter gibt es ein pyramidenartig transparentes Element für Walhall. Ein Bühnenbild also zum visuellen Austoben durch den Lichtmagier Andrej Hajdinjak und mit viel freier Raumluft für das Pantomimen-Ensemble „Talasumche“. In dem sehr auf die szenischen Gegenwartspunkte fokussierten Spiel verkörpert dieses die verschiedenen Wiedergänger als bildstarke Äquivalents zu Wagners die Zeitebenen auflösender und durchdringender Komposition: Beim Gießen des Schwerts Nothung erscheinen Siegfrieds Eltern, bei Waltrautes apokalyptischer Untergangsbeschwörung (packend: Alexandrina Stoyanova-Andreeva) sieht man die Götter. Die gefallenen Helden aus Walhall und „Hellas nächtlichem Heer“ scharen sich zu deren Schlussgesang um Brünnhilde. 

„Der Ring“ ist in Sofia ein technisch prächtiges Märchen mit Gedankenraum fürs Publikum, das Kartaloff in klaren Erzählstrukturen und Erkenntnisangeboten durch Wagners Mythen-Mix geleitet. Der aberwitzig rauschhafte Farb- und Projektionszauber bleibt bis zur rheinischen Flutkatastrophe in Unrast und lenkt trotzdem nicht von der Musik ab (Multimedia: Ivan Lipchev, Elena Shopowa). Dieser „Ring“ ist durch die dem Fantasy-Genre angenäherten Kostüme von Hristiyana Mihaleva-Zorbalieva und zahlreiche tolle Stimmen ein ziemlich aufgelockertes Opernfest. 

Nur sollte man denen, welche diese auf direktes Verständnis setzende Produktion als dekoratives Manifest gegen den „German Trash“ von konzeptionell aktualisierenden „Ring“-Inszenierungen feiern, ein kräftiges „Bullshit“ entgegenschleudern. 

Wiederholungsspirale zur Katastrophe

Denn Kartaloffs „Ring“ ist schärfer als sie auf den ersten Blick wirkt. Das Ende zeigt keine Reinigung, sondern eine neu ansetzende Wiederholungsspirale zur Katastrophe. Unter den als schön empfundenen Bildern setzt auch Kartaloff hässliche Wahrheiten wie Konwitschny & Co. Eines unterscheidet den bulgarischen Opernzaren Kartaloff – der Vergleich mit August Everding früher in Bayern ist naheliegend – allerdings von den wie Pflichtübungen wirkenden Intellekt-Spiralen sogenannter progressiver Bühnen: Er motiviert das Ensemble der Nationaloper zu exzessiver Spiellust, welche der Intensität der Farben in nichts nachsteht und aus dem Orchestergraben teils brillant, teils mit Mut zum Risiko befeuert wird. 

Für die einheimischen Sängerinnen und Sänger kommt das im zweiten Jahr dieser Inszenierung einer musikdramatischen Lockerungsübung gleich. Besonders zeichnen sich im insgesamt hochklassigen Ensemble besonders Krassimir Dinev (Mime), der von Fafner zu einem packend nachtschwarzen Hagen aufschießende Petar Buchkov und der kernig verbitterte Alberich von Plamen Dimitroff aus. Die Reihe der idiomatischen bis überraschenden Besetzungslösungen lässt sich ohne Zögern und problemlos fortsetzen, nicht Genannte eingeschlossen: Tsvetana Bandalovska ist nach ihrer bravourösen Sieglinde eine höhenorientierte Gutrune. Der bestechend und fast tenorale Atanas Mladenov klingt für Gäste aus der mitteleuropäischen Wagner-Mitte als Gunther zwar ungewohnt, damit aber äußerst stimmig im Kontrast zum kraftvoll konditionierten „Götterdämmerung“-Siegfried von Martin Iliev. Dieser laviert im Schlussstück um einige von Wagner fies gesetzte hohe Töne geschickt herum, nachdem er als Siegmund einen großen Abend hatte. Noch immer etwas matt an Kräften nach dem Gewaltmarsch durch die „Lohengrin“-Proben mit Premiere wirkte Kostadin Andreev als junger Siegfried. 

Knappe drei Monate Probenarbeitszeit hatte Evan-Alexis Christ mit Orchester und dem zu machtvoller Massierung zusammengedrängten Mannenchor (Direktion: Violeta Dimitrova). Evan-Alexis Christ baut hier mit umfangreichen Erfahrungen aus dem Umgang mit mitteleuropäischen Orchestern im langen Schatten Bayreuths auf. Von diesen bringt er Kompetenz mit und hat auch durch vorherige Strauss-Einstudierungen in Sofia gute Erfahrungen aus Heimspielen mit dem Orchester der Nationaloper. 

Gute Mischung

Die tieferen Blechstimmen sind im bulgarischen Klangkörper nicht das klangliche Zentrum wie in Mitteleuropa. Dort steht dafür die unerhört satte, profunde und die Sänger tragende Streichergruppe. Deren Dominanz wird allenfalls in den beiden letzten „Götterdämmerung“-Akten gebrochen. Im Saal der Nationaloper bleiben die Stimmen in allen Dynamikregionen immer knapp in Führung vor dem Orchester. Es gelingt ein selten schlanker, fast immer singender Gestus bis in die kammermusikalischen Feinheiten und voluminösen Panzerungen. Dem Ensemble zeigt ebenfalls eine sehr kantable Grundhaltung mit satter Expression. Kraftanstrengungen ergeben sich nur selten aus dem dramatischen Nichts, sind immer in die Gesamtlinien verwoben. Als Stil-Coach haben die frühere Sopran-Heroine Anna Tomowa-Sintow in zahlreichen Zoom-Meetings für alle Solist:innen und Korrepetitionskoryphäe Richard Trimborn Immenses geleistet. Das hört man. Als Gast ergänzte der zum deutsch-italienischen Heldenbariton gereifte Aris Argiris in „Die Walküre“ die beiden Wotane Veselin Mihaylov („Rheingold“) und Krisztián Cser („Siegfried“). Betreffend Souveränität und szenischer Präsenz hat Argiris den Vorteil eines in Sachen Wagner-Kompetenz unbestechlichen Erfahrungsspektrums. 

Weniger dogmatisch als pragmatisch

Kartaloff schreitet weniger dogmatisch als pragmatisch seinen Wagner-Weg aus: „Ich habe ein Ensemble mit seit Jahrzehnten international gerühmten Können für italienische und slawische Oper. Mit diesen Voraussetzungen bewältigen wir auch Wagner.“ sagt er gerne. Für alle drei Brünnhilden gilt das ebenfalls. Erst recht hört man das nach Gergana Rusekova (Brünnhilde in „Die Walküre“) und Radostina Nikolaeva (Brünnhilde in „Siegfried“) in „Götterdämmerung“ von der neben internationaler Präsenz ihre Aufenthalte zwischen Sofia und dem Anhaltischen Theater Dessau teilenden Iordanka Derilova. Sie kann und schafft schlichtweg alles: Egal, ob es sich um eine packende, gar nicht langweilende Agathe im „Freischütz“ geht, sie Verdis Lady Macbeth in die Dimensionen eines gehärteten Belcanto-Thrillers katapultiert oder einer mondänen wie eiskalten Emilia Marty in „Die Sache Makropulos“ Herz gibt. Von Iordanka Derilova hört man in der Tour de Force keinen einzigen müden oder sich schonenden Ton. Das Eingeständnis, wie lange, schwer und in jeder Hinsicht an die Grenzen gehend die „Götterdämmerung“-Brünnhilde ist, gibt es von ihr auch nicht, vom gleißenden Forti gleitet sie konkurrenzlos und mit Leichtigkeit in betörende wie ausdrucksvolle Piani. Intensiv und dabei mühelos meistert Derilova alle Höhenhürden, Emotionsextreme und macht Eindruck durch menschlich bewegendes Spiel. Diese „Götterdämmerung“-Brünnhilde ist Höhepunkt des „Rings“ in Sofia. Das Publikum feierte sie und alle mit Enthusiasmus. 

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