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Mike Svoboda. Foto: privat
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Temperamente: Carl Nielsen umrahmt Uraufführungen von Nicolaou und Svoboda in Cottbus

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Sinfoniekonzerte mit Uraufführung? Für die meisten Orchester ein Wagnis. Das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus brachte in seinem vorletzten Konzert der Saison gleich zwei neue Werke heraus! „Wechselströme“ von Vassos Nicolaou und ein Tripelkonzert für Trompete, Posaune, Tuba und Orchester von Mike Svoboda.

Das klassische Schema eines Sinfoniekonzerts ist landauf, landab nahezu gleich: Ouvertüre, Solokonzert, Orchesterstück. Das alles meist aus dem 17., 18. oder 19. Jahrhundert, jüngere Werke sind oft schon ein Wagnis. Uraufführungen gar? Höchstes Risiko! Da verhalten sich Abonnenten wie Aktienkurse und schmelzen laufend davon.

Im Staatstheater Cottbus hingegen ist es eine schöne Tradition, die Konzerte des Philharmonischen Orchesters mit Neuer Musik zu würzen. Gleich mehrere Dutzend Uraufführungen hat der seit 2008 von Evan Christ geleitete Klangkörper in den vergangenen Jahren realisiert! Diese Tatsache war dem Deutschen Musikverlegerverband bereits 2011 eine Ehrung des Klangkörpers als Orchester mit dem innovativsten Konzertprogramm Deutschlands wert. Auch das Publikum scheint am Neuen offenbar höchst interessiert zu sein. Der eindrucksvoll kontrastreiche Theaterbau aus dem Jahr 1908 war jedenfalls gut besucht, als nun zum 7. Philharmonischen Konzert gleich zwei Uraufführungen anstanden.

Die eine hat das Staatstheater Cottbus dem 1971 auf Zypern geborenen Komponisten Vassos Nicolaou als Auftragswerk selbst erteilt und erhielt mit dessen Stück „Wechselströme“ ein groß besetztes Orchesterstück, das voll von tönenden Reibungen steckt, die einzelnen Passagen ausströmt wie ein wabernder Fluss, von Strom und Gegenstrom getrieben ist und mit heftiger Bläserlast in einen Klangwald treibt, dessen ufernah umspülte Oasen von gespensterhaftem Wind durchzogen scheinen. Ströme, die in einer Stille münden, und von einem bestens präparierten Ensemble vorgetragen worden sind.

Dasselbe lässt sich auch von der anderen Uraufführung sagen, die das Cottbuser Theater gemeinsam mit dem Internationalen Aeolus Bläserwettbewerb Düsseldorf in Auftrag gegeben hat und die von der Sieghardt-Rometsch-Stiftung ermöglicht worden ist. Anlässlich des zehnjährigen Bestehens dieses Wettbewerbs, das sich im jährlichen Wechsel ausgewählten Holz- und Blechblasinstrumenten widmet, hat deren Initiator Sieghardt Rometsch ein Stück für die Preisträger von 2013 schreiben lassen. Entstanden ist so das Tripelkonzert für Trompete, Posaune, Tuba und Orchester von Mike Svoboda, der ja als Posaunist um die Spielmöglichkeiten dieses Instrumentariums weiß und es beständig an seine Grenzen oder gar darüber hinaus führen will.

Mit seinem höchst eigen besetzten Tripelkonzert beweist der 1960 auf der Pazifikinsel Guam geborene, in den USA aufgewachsene und heute in der Schweiz lebende Komponist, wie sehr Neue Musik auch Spaß machen kann, ohne gleich anbiedernd zu sein. Die Aeolus-Preisträger Tom Poulson (Trompete), Sebastiaan Kemner (Posaune) und Rubén Durá de Lamo (Tuba) haben zwar sichtlich auch Freude an diesem Unterfangen gehabt, mussten dafür aber erst einmal komplizierte Parts einstudieren und diese sowohl miteinander als auch mit dem stark geforderten Orchester in Übereinstimmung bringen. Unter GMD Evan Christ ist den Beteiligten in ihrer Gesamtheit ein perkussiv begleitetes Stück gelungen, das von Dialog und Herausforderung lebt und nach knapp einer halben Stunde Spieldauer enthusiastischen Beifall hervorrief.

Eingerahmt waren diese beiden Novitäten nun nicht etwa in klassisch-romantischen Hits aus dem Wunschkonzert-Repertoire, sondern durchaus originell mit zwei Werken des Dänen Carl Nielsen (1865-1931). Schon dessen Ouvertüre zur Nationaloper „Maskerade“ eröffnete den von Deutschem Musikrat nebst der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) unterstützten und von DeutschlandRadio Kultur aufgezeichneten Abend (Ausstrahlung am 30. April ab 20.03 Uhr) recht schwungvoll mit hierzulande keineswegs populärer Melodik. Zum Ausklang präsentierte Evan Christ mit seinem Orchester die 2. Sinfonie Nielsens, in der er musikalisch den vier Temperamenten nachspürte. Cholerisch, phlegmatisch, melancholisch und sanguinisch deutelten die vier Allegro-Sätze (!) diese menschlichen Eigenschaften.

Ein ebenso überraschender wie überzeugender Konzertabend, der auch zugereister Hörerschaft eindrucksvoll die Potenz dieses Orchesters unter Beweis stellte und durchaus Lust auf ein Wiederhören verschaffte.

Eine ausführliche Besprechung dieses Konzerts erscheint in den nächsten Ausgabe der neuen musikzeitung

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