Thematische Vorgaben haben zweifellos ihren Reiz. Und bergen nicht minder zweifelsfrei Risiken in sich. Sie können einengend, vorurteilsbildend und – in raren Glücksfällen – auch ganz besonders erhellend sein. Manchmal sind sie auch nur beliebig.
Die Dresdner Musikfestspiele 2015 warben mit „Feuer Eis“. Zwei Worte, keine Interpunktion. Zwei Zustände ohne Punkt und Komma. Festspiel-Intendant Jan Vogler, der seinen Vertrag erst kürzlich bis 2021 verlängert bekam, wollte mit dieser Wortwahl das unsägliche „Nord-Süd-Gefälle“ anprangern. Ein Politikerslogan, der in der Kunst nichts zu suchen hat. Wie sehr dieses Thema aber gerade das heutige Dresden trifft, haben nicht zuletzt die freistaatlichen Wutbürger deutlich gemacht. Die Musikfestspiele begegneten deren Ausgrenzungsversuchen mit kostenfreien Konzertangeboten für Asylbewerber. Eine Zeichensetzung zur rechten Zeit.
Ansonsten verfolgte der renommierte Cellist mit seinem Team natürlich das Ziel, Dresden als Festspielstadt zu etablieren und die Musikfestspiele in die erste Liga zumindest der deutschen Festspiellandschaft zu rücken. Das wäre schon aufgrund ihrer Geschichte ein redliches Ziel. Die Vielfalt und Schönheit der Spielstätten sowie dem erlesenen Programm, das wie stets von auswärtigen Stars ebenso wie von ortsansässigen Ensembles bedient wird, unterstreicht dieses Fest der Musik eigenständige Charakteristik.
In enger Vernetzung mit etablierten Kulturinstituten wie Staatskapelle und Philharmonie, Kreuzchor, Kammerensembles und (Hoch-)Schulen werden Jahr um Jahr Stars mit großen Namen und internationaler Ausstrahlung geboten. Dass dabei der künstlerische Nachwuchs und auch das potenzielle Publikum von morgen nicht zu kurz kommen, sind erklärte Ziele, die beispielsweise durch Projekte wie „Bohème 2020“ bedient werden. Diesmal mit einem etwas verstörenden Programm zum Thema Wahnsinn. Auf politische Ratlosigkeit ist mit Vielfalt und Weltoffenheit reagiert worden. Insbesondere der israelische Mandolinenspieler Avi Avital setzte in seinem Programm „Between Worlds“ auf die Verbindung von Welten und präsentierte ein unwiderstehliches Miteinander europäischer Vergangenheit, die es so nicht mehr gibt, und globaler Zukunftshoffnung. Gemeinsam mit dem exzellenten Streichquintett der Kammerakademie Potsdam und dem Perkussionisten Murat Coskun hat Avital Folklore des Balkan aufgeführt, die Béla Bartók und der Georgier Sulkhan Tsintsadze gerade noch rechtzeitig erfasst haben. Im selben Konzert ging es grenzüberschreitend weiter mit dem französischen Akkordeonisten Richard Galliano und dem alles beherrschenden Klarinettisten Giora Feidman, um wahre Weltmusik sowie ein Verschmelzen von Klezmer mit Musik von Louis Armstrong und Astor Piazzolla ertönen zu lassen. Hier wurde deutlich, wie sehr Musik leuchten und zu Herzen gehen kann.
Das unterstrich ähnlich ein Chorkonzert zum 90. Geburtstag von Mikis Theodorakis, dessen Liturgie Nr. 2 „Den Kindern, in Kriegen getötet“ 1983 als Auftragswerk der Dresdner Musikfestspiele uraufgeführt wurde und nun vom Vocal Concert Dresden mit Werken von Orlando di Lasso, Arvo Pärt, Dmitri Schostakowitsch und Peter Tschaikowski sowie einem ergreifenden Filmporträt über den Komponisten kombiniert worden ist (leicht verändert gibt es dieses Konzerts am 23. August nochmal bei den Sommerkonzerten im Brandenburger Dom).
Fruchtbares Sponsoring
Wie fruchtbar sich langfristiges Sponsoring erweisen kann, zeigte die Opernpremiere von Leonard Bernsteins „A Quiet Place“ in der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen unter Leitung von Kent Nagano. Dessen Neufassung des Familienstücks, das in musikalischer Vielfalt ein Begräbnis zum Anlass nimmt, um eine bunte Verwandtschaft aufeinandertreffen (und streiten) zu lassen, kam beim Publikum sehr gut an, was gewiss auch an den herausragenden Protagonisten lag, die für dieses Projekt mit dem Ensemble Modern engagiert worden waren.
Dass musikalische Bestleistungen zu solch einem Festival gehören, versteht sich von selbst. Mit handverlesenen Orchestern – das Schwedische Rundfunk-Sinfonieorchester unter Daniel Harding mit Nikolaj Znaider, das Philadelphia Orchestra unter Yannick Nézet-Séguin mit dem jungen Pianisten Jan Liesiecki und der Geigerin Lisa Batiasvili, die Accademia Nazionale di Santa Cecilia mit Antonio Pappano und dem Intendanten Jan Vogler in seiner Profession als Cellist, das eigens gegründete Festspielorchester mit Ivor Bolton und Isabelle Faust – sowie mit renommierten Solisten und Kammerensembles wurden sie noch und noch unter Beweis gestellt.
Neben „Nord-Süd“-Projekten mit dem finnischen Geiger Pekka Kuusisto, mit Helsinki und Venice Baroque, Al Ayre Espanol und der spanischen Sängerin Raquel Andueza, dem Trio Mediaeval und dem norwegischen Trompeter Arve Henriksen gab es „Feuer Eis“ auch im Zusammenspiel von Hélène Grimaud und Jan Vogler. Just in seinem Konzert mit Santa Cecilia zerbrach ihm beim letzten Ton in Tschaikowskis „Rokoko-Variationen“ der Bogen. So heiß und kalt, wie es ihm da sicherlich unter die Haut ging, war „Feuer Eis“ gar nicht geplant.
Dafür geriet das Abschlusskonzert mit der Fado-Interpretin Mariza vollkommen eisfrei. Sie entfachte das Feuer von Saudade und erhielt für ihre Leistungen den diesjährigen Musikfestspiel-Preis. Auch damit wurde das Motto reizvoll getroffen.