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„Hoffmanns Erzählungen“ in Düsseldorf. Elena Sancho Pereg (Olympia) und Ovidiu Purcel (Hoffmann). Foto: Barbara Aumüller

„Hoffmanns Erzählungen“ in Düsseldorf. Elena Sancho Pereg (Olympia) und Ovidiu Purcel (Hoffmann). Foto: Barbara Aumüller

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Theatrale Strukturanalyse zu Offenbachs Geniestück – Die Deutsche Oper am Rhein übernimmt „Hoffmanns Erzählungen“ aus Graz

Vorspann / Teaser

Form, Inhalt, Fülle und Verdichtung sind in keinem anderen Musiktheater-Stück des 19. Jahrhunderts so schwer zu bewältigen wie bei Jacques Offenbachs unvollendetem Werktorso „Les contes d'Hoffmann“. Seit Verfügbarkeit der Hybrid-Edition von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck steigt der Ehrgeiz von Inszenierungen zur nicht nur inhaltlichen, sondern auch intertextuellen und semantischen Meisterung. Im Frühjahr bringt die Deutsche Oper am Rhein seit 13. April ihre Koproduktion des faszinierenden Werks mit der Oper Graz, ab 26. April folgt jene des Staatstheaters Saarbrücken mit der Oper Göteborg. Beide Inszenierungen werfen interessante Aspekte auf: An der Rheinoper gibt es für fünf Akte vier Regieführende und vier Arten von Theater. Frédéric Chaslin und die Düsseldorfer Symphoniker gestalten brillant. 

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Es soll sich nicht zusammenfügen: Michel Carré und Jules Barbier verbanden in ihrem Pariser Erfolgsstück mehrere Texte des als Alkoholiker, Psychopath und Skeptiker zur Legende gewordenen Ernst Theodor Amadeus Hoffmann zu einer Revue des Scheiterns am lebenslangen „Cherchez la femme!“. Jacques Offenbach machte sich nach Erfolgskette bis zum Deutsch-Französischen Krieg und Karrierekrisen später an die Vertonung. Durch die Rezeptions- und Fassungsgeschichte wurde genialisch bis ratlos an dem 1881 an der Pariser Opéra-Comique mit großen Lücken uraufgeführten Stück gebastelt, amputiert und restauriert. Novum ist an der Oper Graz und an der Deutschen Oper am Rhein nicht nur die Beschäftigung eines multiplen Regieteams, sondern auch der Switch in vier diverse Theatergattungen.

Für die Rahmenakte entwickelte Thomas Ribitzki einen symbolischen ‚Normal-Realismus‘ im schwarzen Raum vor einem blutrot verheißungsvollen Theatervorhang. Das Performance- und Animationen-Kollektiv „1927“ machte sich an eine Frauen-, Sex- und Frust-Vision des burlesken Olympia-Aktes, in dem die Sängerin Elena Sancho Pereg für die von ihr bemerkenswert warm gesungene Arie und die Hirngespinste unter Hoffmanns Cyberbrille nur den Kopf für die Dekoration hinhalten muss, aber kaum spielt. Im Antonia-Akt umgibt Neville Tranter die ohne Hysterie oder Karrieresucht charakterisierte Sängerin Antonia und Hoffmann mit einer Schar von je einem Interpreten der jeweiligen Partien und einem Statisten geführten Klappmaulpuppen. Klare Message: Antonia und Hoffmann sind – mit Ausnahme der erfundenen Puppenfigur Min – die einzigen Fühlenden in einem bizarren Puppenheim mit nüchternem Spielraum. In dem durch das dämonische Thriller-Kolorit, aber auch kompositorisch aufgeheizten Giulietta- und Venedig-Akt zeigt sich eine artifiziell imposante Gesamtleistung des Chors (Leitung: Gerhard Michalski). Die Choreografin Nanine Linning kreierte mit dem dafür eigentlich nicht hinreichend qualifizierten Musiktheater-Ensemble ein beeindruckendes Tanztheaterstück über Wellen des Meeres und der Leidenschaften. Der immanente Horror des Schattenraubs und dazugehörigem Femme-fatale-Dramoletts bleibt bei Linning auf der Strecke. Aber der davor durch viele Striche etwas ausgebremste Bogdan Taloș, Sänger der ‚Schurkenfiguren‘ Lindorf, Coppelius, Mirakel und hier Dappertutto, erhielt wirkungsvollen Spielraum wie ein ‚richtiger‘ Tänzer. Für den Bühnenbildner Stefan Rieckhoff mit den Kostümdesignerinnen Silke Fischer und Irina Shaposhnikova wurde der Abend eher zur exzellent erfüllten Koordinationsaufgabe als eine echt kreative Eigenleistung.

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„Hoffmanns Erzählungen“ in Düsseldorf. Darija Auguštan (Antonia), Bogdan Taloș (Dr. Miracle), Statisterie der Deutschen Oper am Rhein (Puppenspieler*innen). Foto: Barbara Aumüller

„Hoffmanns Erzählungen“ in Düsseldorf. Darija Auguštan (Antonia), Bogdan Taloș (Dr. Miracle), Statisterie der Deutschen Oper am Rhein (Puppenspieler*innen). Foto: Barbara Aumüller

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Etwas ins Hintertreffen geriet ungerechterweise die überragend singende Maria Kataeva als Muse. Denn diese Figur passt nicht so recht in die smarten Formelaborate der Mittelakte und wurde da deshalb gegen ihre fundamentale Bedeutung für die Handlung vernachlässigt. Darija Auguštan gab eine schöne Antonia und Sarah Ferede eine ikonische Giulietta mit stimmlichen Brüchen, weil jede noch so gute Mezzosopranistin mit den Sopranhöhen der in den letzten Jahrzehnten stark erweiterten Partie zwangsläufig Schwierigkeiten haben muss.

Trotz solcher Einschränkungen treten die Kategorien des Grotesken, des Sentimentalen und des Monströsen in dieser Produktion deutlich heraus und reiben sich an Ribitzkis Rahmenhandlung. „Fast etwas altertümlich und langweilig“ raunt ein Sitznachbar und spricht damit der Tendenz zu noch mehr Bebilderung und Beschleunigung in der gegenwärtigen Musiktheaterregie zu. Ein Hoffmann nur mit Weinflasche, Kerze und Papier am Holztisch im fast leeren Raum bewegt heute fast niemanden mehr.

„Fast etwas altertümlich und langweilig“

In dieser zentralen Partie hat Ovidiu Purcel die genau richtigen Offenbach-Farben. Er ist kein ausladend lyrischer Tenor, kommt mit Strahl durch die lange Partie und tendiert in der hier gespielten Kompilation mit Rezitativen statt Dialogen zu gutturalen Einfärbungen, mit denen Purcel die sonst kaum sichtbare Gebrochenheit der Figur intensiviert. Thorsten Grümbel (Lutter / Crespel), Florian Simson (Nathanaël / Spalanzani), Jake Muffett (Schlémihl) und Katarzyna Kuncio (als Stimme von Antonias Mutter leider unnötig verstärkt) zeigen die Qualitäten des Rheinoper-Ensembles. Andrés Sulbarán ist eine leichtgewichtig luxuriöse Besetzung für die zweiten Tenorpartien Andrès, Cochenille, Franz und Pitichinaccio.

Frédéric Chaslin setzt mit den Düsseldorfer Symphonikern einen überaus farbig gemeißelten Offenbach. Chaslin tendiert zu drastischen Tempounterschieden und scharfer Rhythmisierung. Durch die Bank kommen alle Instrumentalsoli und Klangeffekte betörend. Das macht mit Intelligenz und hörbarer Liebe zur Partitur deutlich, dass Offenbach  selbst auch in dieser kreativen Formstudie noch immer der beste Konstrukteur von Hoffmanns kläglich gegen die Wand fahrenden Frauengeschichten ist. Seit der deutschen Romantik und der französischen Belle Epoque wird es also immer noch schwieriger mit der dummen Liebe.

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