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Foto: Ray Behringer
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Three Ladies und ein Mann: Die flotten Weiber von Halberstadt

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Spieloper ist heutzutage ein schwieriges Genre. Das Nordharzer Städtebundtheater revidiert bei der Premiere von Otto Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“ nach Shakespeares Komödie einige Vorurteile gegenüber der komisch-phantastischen Oper auf den Text Salomon Mosenthals für die Berliner Hofoper 1849. Dabei zeigt es kräftige Komödiantik und bietet eindrucksvoll passgenaue Besetzungen.

Zu den originellen Spielstätten im deutschen Sprachraum gehört das 1949 eröffnete Theatergebäude in Halberstadt. Das Hauptfoyer auf der Garderoben-Ebene und der Zuschauerraum mit den ansteigenden Sitzreihen beeindrucken durch die glasierten, ornamentierten Klinkerwände. Hygienebedingungen erfordern derzeit auch dort besondere Maßnahmen. Hier sind es einerseits die um den kleinen, sehr tiefen Orchestergraben die auf Bühnenhöhe um diesen platzierten Bläser. Zwischen Graben und Spielfläche gesetzte Brüstungen verhindern ungebremstes Schwirren von Aerosolen. Das ideale Einvernehmen zwischen dem Publikum und der Musiktheater-Sparte des Nordharzer Städtebundtheaters bestätigt herzlicher Applaus.

Das dürfte auch am Premieren-Double zu Beginn der Corona-Spielzeit liegen. Noch vor 50 Jahren war in Ost und West die Kombination von Lortzings im 21. Jahrhundert fast verschwundener Dialogoper „Zar und Zimmermann“ und „Die lustigen Weiber von Windsor“ voll normal. Letztere, die man wegen Otto Nicolais mit Italianità gesättigter Musik gerne öfter hören würde und wegen gefürchteter Biederkeit lieber meidet, braucht allerdings von Darstellern die Kardinal-Kompetenz der perfekten Verblendung von Szene, Sprache und Sangbarkeit. Diese seltene Tugend demonstrierten glanzvoll die drei Titelpartien und der nicht minder exzellente, weil mit leichtem Ernst profilierte Galan Sir John Falstaff. Dieses Quartett hat Rasse und Klasse, gerade weil die bodenständige Pikanterie der aufgebotenen Protagonistinnen weitaus besser in die Region des Mittellandkanals als in die distinguierten Quartiere des britischen Mittelstands passt.

Frau Fluth und Frau Reich: Langjährige Nachbarinnen, die trotz aufrecht erhaltener „Sie“-Anrede alle Ehe- und Quartierkonflikte vertrauensvoll wie unkompliziert händeln und meistens auch lösen. Beide haben an Lebenserfahrung gewonnen, aber ihre Attraktivität noch lange nicht geopfert. Bei Frau Fluth (Bettina Pierags) und Frau Reich (KS Gerlind Schröder) klingen die Sektgläser, wenn die Männer malochen. Trotzdem ist der Haushalt tiptop in Schuss wie beider textiles und vokales Outfit. Da sitzt jeder Ton, jede Silbe und jede Attitüde, mit der sie die Herren Gatten mit „Witz“ und „heitrer Laune“ in Schach halten. Das sind turmhohe Herausforderungen beim staubtrockenen Bürohengst Fluth (Juha Koskela), dem jeden Abend eine neue Haustyrann-Schoten einfällt, und dem etwas besseren Herrn Reich (Gijs Nijkamp), der die Tricks seiner Angetrauten immerhin erkennt, aber noch lange nicht durchschaut. Die beiden Königinnen der besseren Reihenhaussiedlungen singen nicht nur perfekt, sondern wären auch ideal, um der müden Talk-Kultur des absterbenden Fernsehens auf die Sprünge zu helfen. Und die junge Anna (Bénédicte Hilbert) ist nur scheinbar durch Scrollen abgelenkt. Sie vermeidet also die Partnerwahl-Fehler ihrer Eltern und angelt sich mit Fenton (Max An) einen lyrischen Tenor der jungen Schule, der es an ihrer Seite sicher nicht einfach haben wird.

Mit einem Wort: Diese drei Ladys schmeißen den Halberstädter Laden und machen sogar da das Beste aus dem Abend, wo in den nächsten Vorstellungen noch etwas nachgebessert werden könnte. Erstaunlich, wie die (wegen Corona) mit wenig Sensibilität für Nicolais feine Modulationen gestrichene Partitur, durch das von Florian Kießling, Heejin Kim und Violetta Kollar perfekt einstudierte Ensemble zur flotten szenischen Spielwiese wird. Fabrice Parmentier am Pult und mit ihm die Harzer Sinfoniker geraten durch das ihnen entgegenschlagende Energiepotenzial in leichte Atemnot. Demzufolge passt die instrumentale Begleitung tatsächlich besser zu der #MeToo-Demonstration, die durch den Park von Windsor rammelt, als zu Nicolais Reminiszenzen an Mendelssohns „Sommernachtstraum“-Musik.

Oliver Klöter zeigt in seiner Regie Delikatesse, indem er Sir John Falstaff weder zum Kandidaten für Weight Watchers noch zum Wolf der Schafe in Andrea Kaempfs sauberer Wohnsiedlung macht. Den Sir John Falstaff, der gern im Pub der Spelunken-Jenny von Windsor (Darstellerin im Programmheft verschwiegen) verkehrt, hat‘s aus Ray Cooneys Boulevard-Klassiker „Außer Kontrolle“ herein geweht: Klaus-Uwe Rein gibt den Gentleman, der auch bei seinen erotischen Dates eine für jede Corona-Kontrolle stichfeste Korrektheit walten lässt. Ihn macht das erfolgte Schuldgeständnis erotischer Wilderei in Nachbars Garten noch interessanter. Die Sekt-Einladung der lustigen Weiber im Finale ist also ernstgemeint. So werden die Halberstädter „Lustigen Weiber“ am Ende doch noch zum akzentuiert versöhnlichen Spaß.


  • Premiere: Sa 10.10., 19.30 Uhr Halberstadt (besuchte Vorstellung) - Fr 23.10., 19.30 Uhr Quedlinburg - Fr 27.11., 19.30 Uhr Quedlinburg - So 07.02.2021, 16.00 Uhr Carl-Maria-von-Weber-Theater Bernburg - So, 07.03., 15.00 Uhr Quedlinburg - Sa, 17.04., 19.30 Uhr Halberstadt - Sa 15.05., 19.30 Uhr Lutherstadt Eisleben 

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