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Ulenspiegel in Linz. Foto: Julia Fuchs
Ulenspiegel in Linz. Foto: Julia Fuchs
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Till als heutiger Freiheitskämpfer – Walter Braunfels’ Frühwerk „Ulenspiegel“ beim Linzer Festival

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Der Raum der ehemaligen Linzer Tabakfabrik, umgestaltet zu einem Auto-Schrottplatz, wirkt wie ein armes Remake der Aufführung von Schrekers „Die Gezeichneten“ im Palladium in Köln. War jene historische Werkhalle das offizielle Ausweichquartier der Kölner Oper, so kämpft in Linz ein freies Festival mutig um sein Überleben: vom großen Bruder Brucknerfest geduldet, aber kaum gefördert, bringt EntArteOpera zum zweiten Mal ein buntes Programm mit Werken verfemter Komponisten zur Aufführung, kombiniert mit einer Ausstellung in ungewöhnlicher Form.

Vor drei Jahren erst war in Gera die Wiederaufführung der frühen Oper „Ulenspiegel“ von Walter Braunfels erfolgt, die nun, 101 Jahre nach der Uraufführung, bei dem im Vorjahr aus dem Boden gestampften, neuen Festival in Linz ihre österreichische Erstaufführung erlebte.

Der österreichische Komponist Werner Steinmetz – im Vorjahr weniger glücklich mit der finanziell gebotenen Reduktion des Klangrauschs bei Franz Schrekers „Der Schatzgräber“ – hat in diesem Jahr Braunfels’ frühe, süffige Partitur mit Geschick auf ein Kammerformat von 33 Instrumentalisten eingedampft und dabei obendrein das eine oder andere Juwel der Oper besonders ziseliert herausgearbeitet. Seine durchaus überzeugende Arbeit ist im Originalverlag von Ries & Erler verlegt; dort wird „Ulenspiegel“ als Studienpartitur erscheinen.

Dirigent Martin Sieghart, neben Ausstatterin Susanne Thomasberger Initiator des Festivals, leitet das hinter der Spielebene positionierte, ausgezeichnet intonierende Israel Chamber Orchestra. Der von einem Suggeritore und diversen Monitoren unterstützte Dirigent hat oft zu rudern, um die weit im Raum verteilten Sängerdarsteller in Takt zu halten – und er lässt Braunfels’ Partitur mit Akribie aufleuchten. 

Weniger exzellent als um den instrumentalen Klang ist es um den vokalen Teil der Aufführung bestellt. Gesangsstudenten teilen sich gleich in mehrere der kleineren Partien.

Seit der Geraer Wiederaufführung hat sich weltpolitisch viel zugespitzt, es brennt an vielen kleinen und größeren, im Detail oft undurchsichtigen Kriegsschauplätzen. Also rückte Regisseur Roland Schwab die Handlung der Freiheitskämpfe zwischen den Geusen und ihren spanischen Besatzern in die Gegenwart. Mit langen Stahlrohren schlagen die spanischen Bluttruppen des Herzog Alba auf eine Wohnwagen-Zuflucht ein, später werden MG-Salven und einzelne Schüsse in den orchestralen Klangablauf integriert.

Der Komponist stützt sich in seinem eigenen Libretto nicht auf das um 1510 in Straßburg erschienene Volksbuch von Hermann Bote, sondern auf Charles de Costers 1867 erschienenen Roman „Thyl Ulenspiegel“, in welchem Ulenspiegels Abenteuer in den Spanisch-Niederländischen Krieg des 16./ 17. Jahrhunderts verlegt wurden. Im Gegensatz zu Richard Strauss’ Symphonischer Dichtung und Emil Nikolaus von Rezniceks tragikomischer Figur in seiner Oper, ist Till bei Charles de Coster (auf den auch Franz Schrekers „Schmied von Gent“ zurückgeht), ein aus seiner Familie ausbrechender, aufmüpfiger Narr, der zum idealistischen Anführer des Widerstands wird.

Regisseur Schwab zeigt Ulenspiegel bereits in den heiter-skurrilen Episoden des ersten Aktes als Aufrührer: Till bewirft die Bürger mit ihren Schuhen, deren einer dann auch bald als brennende Fackel lodert. Und die Ablässe verkaufenden Mönche, sind hier eine Terrororganisation in Ku-Klux-Clan Maskierung, die Till Ulenspiegel dekuvriert und deren gesammeltes Geld er entwendet.

Weitere Zuspitzung dann in den nächsten beiden Akten, insbesondere bei den Kriegsgräueltaten. Zur Massenvergewaltigung werden die verschleppten jungen Frauen in Unterwäsche auf Europaletten gelegt und mit Benzin aus einem Kanister überschüttet – aber kurz vor dem Abfackeln unter Führung Ulenspiegels gerettet. Dann wird Till von einem spanischen Trupp überrumpelt und an langen Bändern aufgeknüpft, während die ihn bewachenden Soldaten es sich an China-Food gütlich tun.

Tills wälsungenhafte Liebe zu seiner Halbschwester Nele (souverän: Christa Ratzenböck) bekommt hier eine sehr nachdrückliche Note. Nachdem sie – wie Elisabeth den Tannhäuser – mit ihrem Leib geschützt und die tödliche Kugel des Gegners Profoss abgefangen hat, findet Till in ihrem Gewand seine bluttriefende Schelmenkappe, die sie als Fetisch auf der Brust getragen hatte.

Im Schlussakt setzt der Regisseur Natriumdampf und Bühnennebel ein, während aus Europaletten gewaltige, bekletterbare Barrikaden gebaut werden. Von deren Höhe verkündet Ulenspiegel seine finale Botschaft, proklamiert einen „heiligen Kampf“.

Mit der Titelpartie steht oder fällt die Aufführung dieser Oper; der blutjunge Marc Horus meistert die extremen, zwischen heldentenoralen und wenigen lyrischen Ansprüchen pendelnde, ausufernde Partie beachtlich. Auch der Wagner-Bariton Joachim Goltz als Profoss und Hans Peter Scheidegger als Klas warten mit beachtlichen Leistungen auf.

Die 25 jungen, von Franz Jochum einstudierten Mitglieder des EntArteOpera Chors werfen sich als Bürger und Soldaten beider Seiten, als Soldatenbräute und Prostituierte, mit Leidenschaft ins Spiel.

Von den 400 Plätzen der drei errichteten Publikums-Stahltribünen waren bei der Premiere nur etwa zwei Drittel besetzt. Alles Neue, das auf Kontinuität angelegt ist, benötigt eben viel Durchhaltevermögen, langen Atem. Der ist den Initiatoren – darunter auch dem als Dramaturg ehrenamtlich arbeitenden Wiener Naturwissenschaftler Volkmar Putz – zu wünschen.

  • Weitere Aufführungen: 12., 14. und 16. September 2014.

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