Immer wieder gelingt es dem Deutschen Nationaltheater, überraschende Funken aus dem italienischen Repertoire zu schlagen. Mit Verdis „Un ballo in maschera“ stellt Eva-Maria Höckmayr nach „Madama Butterfly“ ihre zweite Arbeit für Weimar vor. Das Fundament liegt diesmal allerdings in der intelligenten wie emotional dichten musikalischen Leitung von Stefan Lano und dem eindrucksvollen Riccardo von Jaesig Lee.
Unter einem weißen Schleier finden sich die liebenden Körper des amtierenden Herrschers Riccardo und Amelias, Gattin seines treuesten Parteigängers Renato. Dieser Riccardo ist nach Meinung der jungen und in Regiehochburgen wie Freiburg, Frankfurt a. M. und Heidelberg sehr gefragten Eva-Maria Höckmayr manisch-depressiv. Und deshalb holt ihn am Ende die Wahrsagerin Ulrica, die er für die Prophezeiung seines Endes mit einer kleinen Münze abfertigt, wie eine Todesgöttin in ihr außerirdisches Reich.
Bis auf wenige Ausnahmen, wenn Julia Rösler an Amelias dunkeltürkisenem Kleid und der nur einmal grellen Vergnügungsmeute um Riccardo etwas Farbe erlaubt, ist die Welt in Verdis „Maskenball“ für Eva-Maria Höckmayr nur Schwarzweiß. Doch dafür leuchtet es aus dem Orchestergraben und den Stimmen mit dunkler bis flammender Glut. Stefan Lano und die Staatskapelle Weimar zelebrieren ein außergewöhnlich intensives Verdi-Fest.
Es ist ein Abend der starken Kontraste. Hier interessiert nicht, ob man der Schweden-Fassung, in der nach dem Vorbild von Aubers Grande Opéra „Gustav III“ der Königsmord 1792 im originalen Ambiente des Stockholmer Opernhauses stattfindet, folgt, oder der von Verdi nach absurden Zensur-Interventionen zähneknirschend für die Uraufführung im Teatro Apollo in Rom 1859 zugelassene Boston-Fassung. Denn hier geht es vor allem um die metaphorische Ebene: Menschen und ihre Masken, mit denen sie Leidenschaften, Frustrationen und Wünsche vor anderen und von sich selbst abspalten. Diese sozialen Panzer zeigen sich in den Massenszenen mit bestechend ästhetisierter Fassade. Bei den Solisten ist das stellenweise äußerst spannend. Der Opernchor und die Studierenden der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar werden dagegen mit simplen Schritt- und Tanzfiguren abgefertigt, zeigen sich dabei musikalisch in von Markus Oppeneiger und Marianna Voza prächtig gesteigerter Bestform.
Abendkleidung ist angesagt in Volker Thieles Wänden, die mit dem Zerreißen gültiger Lebensregeln immer mehr zerklüften. Wichtigere Blickfänger sind Bahadir Hamdemirs Videos, in denen Riccardo immer wieder die Verschwörung hinter seinem Rücken beobachtet und das ihm geltende Attentat erahnt. Bahadir Hamdemir treibt in seinen Videos Amelia und Ulrica mehrfach durch das große Foyer des DNT. Einige junge Damen mit Kopftüchern verlassen mit stillem Widerstand den Zuschauerraum, als die bloßgestellte Amelia körperlich attackiert wird, nach der Pause ist die ganze Gruppe mit Migrationshintergrund nicht mehr da.
Dabei lässt Eva-Maria Höckmayr Gewalt wirklich nur nach sinnfälliger Begründung eskalieren. Diese Inszenierung nutzt andere Mittel lieber als körperliche Rohheit. Sie beginnt wie ein Kriminal-Hörspiel: Drängendes Atmen, ein lauter Schuss aus dem Off. Erst dann folgen Verdis erste filigrane Streicherakkorde. Lichtschnitte unterbrechen den ersten Akt mehrfach: Im freien Fall zwischen Dies- und Jenseits erinnert sich der tödlich getroffene Riccardo an Momente mit Amelia als ewiger Braut, Ulrica als Engel aus der Tiefe und einer perfekt konfigurierten Musterfrau, zu der hier die Hosenrolle des Pagen Oscar wird. Jaesig Lee opponiert gegen diese Scheinwelt mit einem üppig lyrischen und doch schlank geführten Tenor in Verdis Paraderolle des Riccardo. Morbidität und Dolcezza liegen bei ihm in bestem Einklang, fast schmerzlich schön auf einem berückenden Strom der Töne.
Von den drei Frauenfiguren hat hier Nadine Weissmann die stärkste Faszinationsgewalt und überdies die satten Farben für diese dominierende Episodenfigur (in Weimar singt sie am 16. und 17. Juni auch Saint-Saëns‘ verführerische Dalila). Bipolar dagegen ist Camila Ribero-Souza als Amelia und steht im Zentrum des Widerstreits von Oberflächen und deren Gegenkräften. Ihre imponierend starke und substanzreiche Mittellage durchmustert Camila Ribero-Souza mit kultivierten Schärfen. Und sie flieht von der Familientafel mit dem distinguiertem Gatten und dem verdrückten kleinen Sohn, der einen Papierflieger in das lähmende Schweigen schießt.
Diese Spiele des Verbergens und Demaskierens sagen zu wenig aus über die Gegenseite der Verschwörer und Gegner, Samuel (Daeyoung Kim) und Tom (Andreas Koch) haben kaum Gefährdungspotenzial. Das kommt dem Renato von Alik Abdukayumov zugute. Wie schon beim Schurken Francesco in Verdis „Räubern“ ist er jemand, dem Leid und Racheimpulse mit beeindruckend langsamer Intensität aus den Poren dringen und der nicht die baritonale Keule schwingen muss. Nach dem schnell bezwungenen Aggressionsimpuls an Amelia setzt er zu bezwingender vokaler Diplomatie ein. Seine Szene mit Oscar, dem er die Verkleidung Riccardos ablistet, machen er und Caterina Maier zum Höhepunkt. Sogar da leistet Stefan Lano über den Gassenhauern und Ballrhythmen packende Feinarbeit. Der neue Weimarer Kapellmeister erweist sich als mitdenkender Partner der Regie auch darin, dass er Amelias erste Arie in ein innerlich jubelndes statt beklemmendes Ende überleitet. Aber mehr noch ist er ein kräftiger Komplize Verdis. Wie er und mit ihm das gesamte Ensemble in Millisekunden von buffa-artigem Brio in eine Wiedergabe von seltener Leuchtkraft und zurück wechseln, beflügelt diese Produktion. Das Blendwerk der Masken findet im Orchestergraben seine treibende und kräftigende Erfüllung.
Wieder am 21.06., 29.06., 22.09., 12.10., 26.10., 30.11., 20.12, 28.12.2018 immer 19:30 Uhr (Premiere: 02.06.2018 - Besuchte Vorstellung: 07.06.2018)