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Foto: Monika Rittershaus
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Trance stellt sich nicht ein – „Satyagraha“ von Philip Glass an der Komischen Oper Berlin

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Barrie Kosky scheint wieder einmal ein Coup gelungen zu sein: während die Inszenierungen an der Komischen Oper Berlin, selbst die Operetten, gewöhnlich einen Widerstreit der Meinungen auslösen, erreichte die jüngste, ausnahmsweise an keinem Sonn- sondern bereits an einem Freitag stattgefundene Premiere einhelligen Jubel. Außer durch Gastspiele – etwa die Rekonstruktion von Bob Wilsons „Einstein on the Beach“ im Haus der Berliner Festspiele – war Philip Glass zuvor auf keiner Opernbühne Berlins zu erleben.

Auch der frühe, erste Erfolg dieses Komponisten aus dem Jahre 1980, die dreiaktige Oper „Satyagraha“, ist keine originäre Berliner Produktion, denn sie kam bereits vor einem halben Jahr in Basel heraus und wurde nun mit Solisten und Chor der Komischen Oper Berlin (Leitung: David Cavelius) neu einstudiert. Die Sänger_ innen – Cathrin Lange, Mirka Wagner Karolina Gumos und Tom Erik Lie , sowie Katarzyna Włodarczyk, Samui Taskinen und Timothy Oliver – mühen sich redlich, ihre Opernorgane in weicher schlängelnde Stimmführungen zu modifizieren, und die Chorsolisten müssen sich ungleich genauer als bei anderen Stücken mit ihren individuellen Pausen abstimmen, um einerseits die geforderte Kontinuität in Klang und Lautstärke zu halten und andererseits die durch die permanenten gesanglichen Repetitionen extrem beanspruchten Stimmbänder in Abständen kurz entspannen zu können.

Die Handlung rund um M. K. Gandhi, seine Frau, seine Sekretärin und weitere Mitstreiter_innen spielt in Südafrika, und dazu werden auf die Bildschirme der Sitze des Opernhauses Texte mit Bezug zu Tolstoi projiziert. Das Libretto von Philip Glass und Constance DeJong basiert auf dem hinduistischen Gedicht „Bhagavad Gita“. Doch die in Sanskrit gesungenen Texte stehen nur in losem Zusammenhang mit der Handlung der Stationen aus Mahatma Gandhis frühen Jahren bis 1914. Gandhi, glatzköpfig geschminkt, sieht in der Aufführung aber bereits so aus, wie der Zuschauer ihn aus seinen späten Jahren in Erinnerung hat.

In seinen 25 Bühnenwerken greift Glass gern weltpolitische Themen auf und serviert diese minimalistisch. Würde dieser Tonsetzer auch eine Oper über Chruschtschow schreiben, so würden die Zuschauer verständlicherweise frustriert sein, wenn dessen Schläge mit dem Schuh aufs Rednerpult der UNO nicht vorkämen. Gandhis berühmte Geste, seine Hand voll Reis, fehlt in der Inszenierung des Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui, die sich in endlos kreisenden Schlaufen und Schlangenlinien über ein Podest bewegt, welches an 20 Kettenzügen, bis auf vier davon doppelt ausgelegt, aufgehängt ist.

„Handeln ist weit besser als nichts tun“, ist eine der nachvollziehbaren Botschaften dieser Oper. Und wie Glass mit immer denselben Patterns arbeitet, so auch der Choreograf, ohne dass sein Tanztheater wirklich synchron zur Musik verliefe, etwa mit Tafeln, die beschrieben werden, sich zu immer neuen Carrés fügen oder, mit roter Farbe bemalt, handgreifliche Botschaften sind, an denen sich alle Teilnehmer_innen ihre Hände beflecken können. Am Ende des ersten Teils zündet das gesamte Ensemble Papiere mit Feuerzeugen an und lässt diese in den ausgestreckten Linken verbrennen; wie das endet, erlebt der Zuschauer nicht, da sich die Kurtine wie ein Fallbeil herabsenkt.

Das zunächst als ein Ungenügen erscheinende Nebeneinander von Personenführung und Musik ist denn vielleicht doch ein Erfolgsgeheimnis der szenischen Kraft dieses Abends. Gleichwohl gerät der dritte Aufzug überaus redundant: wieder produzieren die Akteure endlose Schlangenlinien, welche durch die aus den Händen tropfende Farbe auf dem Boden des Podestes sichtbar bleiben. Das in unterschiedliche Positionen verfahrene und bisweilen von Technikern in Schwingung von links nach rechts versetzte Spielpodest im leeren, von Henrik Ahr schwarz verkleideten Bühnenraum, bleibt die eigentliche Attraktion: denn hier ist zu erleben, was sicherheitstechnisch verboten ist, das Laufen unter schwebenden, sich bewegenden Lasten, sei es dass die Tänzer_innen darunter wie Würmer übereinander krauchen, sei es, dass das ganze Ensemble darunter mäandert. Das Spielpodest, dessen letztes Segment sich auch separat aufkippen lässt, wartet auf seiner Unterseite mit diversen Lichteffekten auf.

Zu den wenigen abwechslungsreichen Momenten gehört es, wenn die Tänzer_ innen auf ihren nackten (Ober-)Körpern mit schwarzen Schriftzügen ihre ethnische Herkunft oder auch ihre soziale Klassifizierung („Thief“ – „Dieb“) transportieren.

Bereits nach der Pause hatten jene, die geblieben waren (denn in jeder Reihe gab es bei der ausverkauften Premiere nun auch freie Plätze) dem Dirigenten Jonathan Stockhammer und dem Orchester der Komischen Oper Berlin zugejubelt. In der Tat bewundernswert, wie die blech- und schlagwerklosen Instrumentalisten, im Gegensatz zu ihren sonst unterschiedlich schwierigen Parts, sich hier in erster Linie einer präzise gezählten, Monton-Tortur zu unterziehen haben. Die Rhythmik wird vom Dirigenten durchgezogen, die Dynamik allerdings zu wenig differenziert, bei nahezu identischem Lautstärke-Pegel.

Neben den exzessiven Bewegungsabläufen der 11 Tänzerinnen und Tänzer der Antwerpener Eastman-Kompanie verblüfft insbesondere der Sängerdarsteller des Gandhi mit seinem bewundernswert gleichförmigen Singen: egal ob Stefan Cifolelli wie ein Brett seitlich weitergereicht, auf den Kopf gestellt, oder durch die Luft gewirbelt wird. Im Lotussitz auf der Mitte der angehobenen Schräge, verkündet er in seinem Schlussgesang der nun wiederholten Reinkarnations-Botschaft, er kenne den Zeitpunkt der (Nicht –)Wiederkehr eines jeden Einzelnen von uns. Analog den Patterns der Minimal Music werden auch die friedvollen Statements der Gesellschaft und der von Gandhi gebetsmühlenartig immer wieder aufs Neue wiederholt. Gleichwohl stellt sich im Rezipienten die offenbar beabsichtigte Trance bei der „meditativ-minimalistischen Musiktheater-Reflexion im Namen von Frieden und politischer wie spiritueller Versöhnung“ nicht ein.

Statt Tiefenentspannung herrscht am Ende des mit mehr als 3 1/4 Stunden merklich lang geratenen Abends bei dem in dieser Premiere dominanten Tanztheater-Publikum ein geradezu sektiererischer Begeisterungszwang. Offenbar auch Begeisterung darüber, dass es mit „Satyagraha“ eine Oper eines lebenden Zeitgenossen gibt, die einen „Ohrwurm“ produziert: doch der nachgesungene „Ohrwurm“ ist nichts anderes als eine Tonleiter aufwärts.

  • Weitere Aufführungen: 31. Oktober, 2., 5. 10. November, 1., 7., 10., 11., 12., 18. und 26. Dezember 2017.

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