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Transatlantische Diskurse

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Debussy, Strauss, Varèse und Ives beim Musikfest Berlin 2007
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Das Martyrium des heiligen Sebastian bildete den Ausgangspunkt. Als Simon Rattle 2006 mitteilte, er wolle das selten zu hörende Debussy-Werk im folgenden Jahr zum Saisonbeginn der Philharmoniker aufführen, bot dies für Winrich Hopp, den neuen Künstlerischen Leiter des Musikfests Berlin, einen willkommenen Anlass, nach programmatischen Querverbindungen zu suchen. So stieß er auf Edgard Varèse, der 1907 von Paris nach Berlin übersiedelte, wo er Richard Strauss begegnete, bevor er ab 1915 in New York lebte. Dies ergab die Idee zu einem Klangporträt der Städte Paris, Berlin und New York um 1910, zentriert um Werke von Debussy, Strauss, Varèse und Ives.

Mehrere Weltorchester konnte Hopp für dieses anregende Konzept gewinnen. So stellte beim Eröffnungskonzert Bernard Haitink mit dem Concertgebouworkest Amsterdam den „Nocturnes“ und den „Six épigraphes antiques“ von Debussy Auszüge aus „Parsifal“ und „Tristan und Isolde“ gegenüber. Immerhin hatte der Wagnerisme Debussy entscheidend geprägt. Sein „Le Martyr de Saint Sébastien“ wäre ohne „Parsifal“ nicht zu denken. Während Debussy aber auf Naturbilder zurückgriff – etwa in „La Mer“ (vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Mariss Jansons mit großer Finesse gespielt) auf das Element des Wassers –, sollte sich Varèse überwiegend für Großstadtklänge und -geräusche interessieren.

Eine Vermittlungsinstanz bedeutete Richard Strauss, der Varèse in Berlin förderte und aufführte. Bei Musikfest-Konzerten in der Philharmonie konnte man die oft übersehene Verwandtschaft zwischen beiden Komponisten, die schon Romain Rolland in seinem Musikerroman „Jean Christophe“ aufgegriffen hatte, sinnlich erleben. Aufregend war es, mit dem Deutschen Sinfonieorchester unter Ingo Metzmacher direkt nacheinander die Tondichtung „Ein Heldenleben“ und das gigantische New York-Porträt „Amériques“ zu hören. Metzmacher hob besonders die Vielstimmigkeit und das konfliktreiche Nebeneinander verschiedenster Charaktere bei Strauss hervor und öffnete damit die Ohren für die Ausweitung der Klangpalette bis ins Geräuschhafte bei Varèse. Nicht ganz so überzeugend gelang es Fabio Luisi und der Staatskapelle Dresden, strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen der „Alpensymphonie“ und dem zehn Jahre später entstandenen Orchesterwerk „Arcana“ aufzuzeigen.

Zum New York-Porträt gehörten neben Dvoráks „Neuer Welt“-Symphonie, neben „Amériques“ und Bartóks „Konzert für Orchester“ vor allem Werke von Charles Ives: „Three Places in New England“, die Symphonie Nr. 3, „Holidays Symphony“ und „Robert Browning Ouvertüre“ (mit Boston Symphony Orchestra, San Francisco Symphony, Konzerthausorchester und Staatskapelle Berlin). Da die Konzertplanungen relativ kurzfristig begonnen wurden, waren andere Werke weniger zwingend ins Konzept eingebunden. Bartóks „Wunderbarer Mandarin“, von den Philharmonikern unter Rattle rhythmisch intensiv gespielt, war immerhin eine grandiose Großstadtmusik. So kompetent die Orchester aus Amsterdam, Berlin, Boston und London die französischen Werke darboten, so bedauerte man doch, sie nicht auch mit einem Pariser Orchester erleben zu können.

Debussys Tanzpoem „Khamma“ hatte in der Wiedergabe mit dem Rundfunksinfonieorchester Berlin nicht ganz überzeugt. Zum Höhepunkt entwickelte sich dagegen „Le Martyr de Saint Sébastien“ mit Rattle und den Philharmonikern, ergänzt durch Strawinskys „Roi des Étoiles“ und die Fünfte von Sibelius.

Trotz der dekadenten Verbindung von religiöser und erotischer Ekstase in Gabriele d’Annunzios Text (von Sophie Marceau ausdrucksstark vorgetragen), erwuchs bei Debussy die musikalische Raffinesse aus einfachen, experimentell konfrontierten Akkorden. In ihrer exquisiten Klangregie gerade im Pianobereich, der nuancierten Abstufung von Rundfunkchor, Orchester und Solisten, setzte die Aufführung Maßstäbe. Nicht nur im Programmprofil, sondern auch in der Publikumsresonanz bedeutete dieses Musikfest eine deutliche Verbesserung gegenüber früheren Jahrgängen.

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