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Über das Werdende, die Seele, die Stille

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Das Berliner Festival UltraSchall mit positiv-buntem Panorama
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Auf Bewährtes kann UltraSchall, das von den Berliner Rundfunksendern veranstaltete Festival für neue Musik mit dem kleinen n, im vierten Jahr seines Bestehens zurückgreifen: Seine kontrastreiche Programm-Mischung, zum Etablierten wie zum Experimentellen gleichermaßen offen und in angesagten Locations wie in traditionellen Musentempeln dargeboten, findet zielsicher ihr Publikum. „Musik der Gegenwart”, wie auch der Titel einer langjährigen verdienstvollen Konzertreihe des Senders Freies Berlin lautet, läuft hier zunehmend auf heutzutage real komponierte (improvisierte, gesamplete, installierte) und gehörte Musik hinaus, und sei sie von Gegenwart im utopischen Sinne noch so weit entfernt. Die Welt ist alles, was der Fall ist – und das ist ja auch schon eine ganze Menge.

Auf Bewährtes kann UltraSchall, das von den Berliner Rundfunksendern veranstaltete Festival für neue Musik mit dem kleinen n, im vierten Jahr seines Bestehens zurückgreifen: Seine kontrastreiche Programm-Mischung, zum Etablierten wie zum Experimentellen gleichermaßen offen und in angesagten Locations wie in traditionellen Musentempeln dargeboten, findet zielsicher ihr Publikum. „Musik der Gegenwart”, wie auch der Titel einer langjährigen verdienstvollen Konzertreihe des Senders Freies Berlin lautet, läuft hier zunehmend auf heutzutage real komponierte (improvisierte, gesamplete, installierte) und gehörte Musik hinaus, und sei sie von Gegenwart im utopischen Sinne noch so weit entfernt. Die Welt ist alles, was der Fall ist – und das ist ja auch schon eine ganze Menge. Den Anfang jedoch machte eine Provokation, krasse Negation alles Nachfolgenden. Die Rückkehr der Wirklichkeit – „The Return of the Real” – propagiert der in Schweden lebende Komponist Dror Feiler: die perfekten Klänge und Strukturen von traditioneller, populärer und Neuer Musik haben den Hörer abgestumpft, in Passivität und Konformität gezwungen, einer „Zirkulation der Sauberkeit“ unterworfen, deren „potenziellen Faschismus“ es aufzubrechen gilt durch eine „Demokratie der Klänge“, das unreine, befleckte Geräusch. So erzitterten 50 Minuten lang die Fenster der ehrwürdigen Sophiensäle in ihren eisernen Halterungen vom gigantischen Lärm durch Blechtonnen geschmirgelter Bohrmaschinen, kreischender Saxophone und Maschinengewehr-Samplings. „Politisierung der akustischen Umgebung“, wie Feiler meint, Authentizität oder doch nur Verdoppelung des uns täglich überschwemmenden akustischen Unrats, trotz des großherzigen Angebots von Ohrstöpseln – die Veranstalter lehnten ausdrücklich die Haftung für Hörschäden ab – reine akustische Gewalt? Die Alternative dazu muss ja nicht unbedingt die Hochglanz-Sinfonik eines George Benjamin sein, die zum Festival-Abschluss ebenfalls heftig beklatscht wurde. Für die Qualität seines Gesamtwerks – handwerkliches Können, glänzende Instrumentation, Vielseitigkeit auch als Dirigent und Pianist – verlieh das Deutsche Sinfonie-Orchester Berlin dem 40-jährigen Briten den neu geschaffenen Arnold-Schönberg-Preis. Ein von diesem Klangkörper brillant gespieltes Werk wie „Ringed by the flat Horizon“, von der dramatischen Fotografie eines Gewitters über der Wüste von New Mexiko inspiriert, bedient allerdings derart hemmungslos die Klang- und Bildvorstellungen eines konservativen Publikums, dass einem nicht unbedingt der Name Schönberg dazu einfällt. Benjamins Ausbildung bei Olivier Messiaen schärfte gewiss seinen Sinn für effektvoll ausgehörte Klangfarben, doch das ist alles zu trivial bunt, die Flöten zu süß, die Harfen zu glitzernd – Kaufhausmalerei.

Befremdlicher noch in seiner antimodernen Haltung, wenn auch weniger auf einen vermeintlichen Publikumsgeschmack schielend, der „Sonnengesang des Heiligen Franz von Assisi“ von Sofia Gubaidulina, in Dramaturgie und sensitiver Mikrostruktur zwar ebenfalls „gut gemacht“, doch in gebetsmühlenartiger, nur von den jeweiligen Obertönen „gewürzter“ Dreiklangsstruktur und brünstigem Mönchsgemurmel schlichtweg ein frommer Mummenschanz. Doch Toleranz gegenüber den abstrusesten Gedankenwindungen, solange sie sich nur als „Privatsache“ aufführen, ist das Gebot der Stunde. Sie kann dann auch Wolfgang Rihm beanspruchen, dessen uraufgeführtes Werk „Astralis“ im selben Konzert des Rundfunkchors Berlin bedeutend weniger Zustimmung erntete. Von Zeit zu Zeit verstößt Rihm ja gerne gegen den ihm zugeschriebenen Personalstil – verstörend ist diese Vertonung des Gedichts, das Novalis dem zweiten Teil seines „Heinrich von Ofterdingen“ voranstellte, zweifellos. Sie trifft mit diffusen Reibeklängen der Stimmen, die konventionelle Harmonien immer wieder verunklaren, mit sparsamer Paukengrundierung, die trotzdem einen neuen Klangraum aufspannt, und sehr beredten Einwürfen eines Solocellos dennoch sehr genau den Ton von Verunsicherung, des unter den Füßen schwindenden Bodens, der Entgrenzung von Raum und Zeit, den der Text kaum fassbar benennt.

Ungleich frischer und plastischer allerdings Rihms frühes „Klavierstück 7“, in seiner zornigen Beethoven-Attitüde einer der originellsten Beiträge zur schon klassischen „Langen Nacht des Klaviers“. Die gab sich gerade in „Novitäten“ von Rebecca Saunders, Karin Haußmann, Charlotte Seithers, Harald Münz ein wenig blass. Dass Klang nicht alles ist, um den man sich hier mit archaisierenden Floskeln ebenso wie mithilfe raffiniert verfremdender Zuspiel-CDs bemühte, zeigte auch das Porträtkonzert für Rebecca Saunders: Gerade weil die junge Engländerin so farbenprächtige, kraftvolle, geradezu rollenhaft dramatisierende Klangkombinationen findet wie in ihrem Quartett für Klarinette, Akkordeon, Kontrabass und Klavier von 1998, ermüden immer gleiche Abläufe fulminant-komplex einsetzender, danach sich auffächernder und zerfallender Gesten. Auch ihr Spieluhr-Tick, so märchenhafte Atmosphäre er zu zaubern vermag, nutzt sich langsam ab. Wirkt die Musik von Fabien Lévy authentischer und unverbrauchter, weil man sie überhaupt nicht kennt, oder doch durch ihren anderen geistigen Zugriff? Auch der 32-jährige Franzose, zurzeit Stipendiat des DAAD in Berlin, gibt sich keineswegs ungefällig, zumal in „Hérédo-Ribotes“ für Solobratsche und 51 Orchestermusiker, von Barbara Maurer und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Fabrice Bollon uraufgeführt. Diese filigran gearbeitete Partitur gewinnt auch rhythmisch-motorische Brisanz, angeregt von außereuropäischer Musik. Ethnologie, so gab der ehemalige Schüler von Gérard Grisey in einem weiteren Porträtkonzert über sich Auskunft, sei wesentliche Quelle zur „Entwicklung einer neuen musikalischen Grammatik“, welche das strukturalistische Parameter-Denken überwindet, zugleich aber auch einer politischen, die „dissidence“ zur eigenen Gesellschaft integrierenden Kunst. „Doppelleben“ wird so zum kreativen Begriff, in zwei so betitelten Stücken als Montage heterogener Klang- und Spielebenen von orientalisch angehauchten Saxophon-Melismen, einem brodelnden, Straßenszenen mit Kirchenglocken entnommenen Untergrund, Vexierspielen zwischen Fagottist und Sänger.

Wenig „Ultraschall“-Vorstöße in Innenwelten wie ins Grenzenlose – bot das einst aus einem „ex negativo“ hervorgegangene Festival, eher ein realistisches Panorama des Gegebenen. Alles wird gut, selbst für die Neue Musik auf dem wackeligen CD-Markt, solange es so engagierte Labels wie Kairos Records gibt. Das vermittelte zumindest eine Podiumsdiskussion, auf der Barbara Fränzen (Kairos), Eleonore Büning („FAZ“), Dirk Hühner (SFB) und Peter Hirsch (Dirigent) die chaotische Unbeeinflussbarkeit einer Verbreitung des Unpopulären konstatierten. Mal klappt es, mal nicht.

Dazu gehörte die Präsentation scheinbar unverwüstlicher traditioneller Gattungen bis hin zum Klarinettenquintett, besonders überzeugend beim „Lied des 21. Jahrhunderts“: Claudia Barainsky und Salome Kammer standen jeweils für ungebrochenen Stimmausdruck und sprachorientiertes Experiment ein, letztere mit dem köstlichen, sich um die Börsenkurse sorgenden „Zwischen Blick Hinter Grund“ des Eisler-haft zur Popularmusik he-rüberzwinkernden Rudi Spring. Im Übrigen waren die tiefgreifendsten Erlebnisse bei den „Klassikern“ zu haben: Helmut Lachenmanns in wohltuendem Schwarzweiß schraffiertes Orchesterstück „Klangschatten – mein Saitenspiel“, Giacinto Scelsis den Einzelton aufbohrende Streichquartette, Salvatore Sciarrino mit der zerbrechlich überwältigenden Schönheit seiner „Aspern Suite“ und diverser „Notturni“ und „Polveri laterati“ für Klavier, begeistert begeisternd vorgetragen von Marino Fomenti und gestreut zwischen Texte Platons, über das Werdende, die Seele, die Stille.

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