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Noah Schaul (Tristan), Evmorfia Metaxaki (Isôt die Blonde). Foto: Olaf Malzahn

Noah Schaul (Tristan), Evmorfia Metaxaki (Isôt die Blonde). Foto: Olaf Malzahn

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Unaufdringlich spannend – Frank Martins „Der Zaubertrank“ in Lübeck

Vorspann / Teaser

Vor eineinhalb Monaten hatte das Theater Lübeck mit einer neuen Sicht auf Richard Wagners „Tristan und Isolde“ einen großen Erfolg. Jetzt wurde aus der mittelalterlichen Geschichte von der stürmischen Liebschaft des irischen Helden Tristan und der Cornwall-Prinzessin Isolde (auch Iseut oder Isôt) ein spannendes Bühnen-Experiment, indem dem expansiven romantischen Musikdrama ein weltliches Oratorium des 20. Jahrhunderts entgegengestellt wurde. Es ist des in Genf geborenen Frank Martins (1890-1974) wenig bekanntes „Le vin herbé“, auf deutschsprachigen Bühnen „Der Zaubertrank“ genannt.

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Die variantenreiche Erzählung von einer tragischen Liebe war im Mittelalter weitverbreitet, wobei Wagners Version vor allem auf Gottfried von Straßburgs Versroman „Tristan“ aus dem Beginn des 13. Jahrhunderts fußte, während Frank Martin für seine Lesart Joseph Bédiers „Le roman de Tristan et Iseut“ (1900) nutzte. Dieses Werk des französischen Romanisten basierte wiederum auf noch früheren Quellen, teils noch aus Versionen des 12. Jahrhunderts, etwa der von Béroul, eines altfranzösischen Dichters. So sind weder die Protagonisten noch die Nebenfiguren in Handlung und Charakterisierung zu vergleichen. Gleich sind allenfalls ein paar der wesentlichen Handlungsstränge und etliche der Motive wie zum Beispiel das wichtige des Zaubertranks. Dennoch, nimmt man das Theater ernst, ergibt sich sicher aus der zeitgleich engen Verbindung im Spielplan die Absicht, das Publikum zu einem Vergleich aufzufordern.

Eine andere Fassung

Auch die Musik geht sehr unterschiedliche Wege. Wagners Oper, 1865 in München uraufgeführt, ist rauschhaft, passend zu dem Handeln der Protagonisten in ihrem psychedelischen Zustand, den die Lübecker Inszenierung in den Mittelpunkt stellt. Man ist versucht, das Klanggeschehen orgiastisch zu nennen. Fast fünf Stunden ist das Publikum ihm ausgesetzt, es bannt offensichtlich aber auch intensiv die Sänger, denn nur so lässt sich verstehen, dass sie sich immer wieder die enorm fordernden Partien aneignen. Dem stellte nun das Theater (Premiere: 15. März 2025) die andere Version des Liebesdramas in einem Raum gegenüber, der sonst dem Schauspiel vorbehalten ist. Denn diese Komposition, als Oratorium bezeichnet, verzichtet auf jede Opulenz, benötigt nur zwölf Stimmen, sieben Streicher und einen Pianisten. So erfolgte die Uraufführung in Zürich 1942 lediglich konzertant, erst die zweite, sechs Jahre spätere in Salzburg, war szenisch.

Dennoch ist der Handlungsablauf voller Spannung, obwohl die einzelnen Sänger durchaus unterschiedliche Perspektiven einnehmen. Sie gehören alle dem Chor an, treten als Individuen auf oder kommentierend, auch erläuternd aus ihm heraus. Anfangs und zum Schluss weisen alle Sänger gemeinsam wie ein Maître de Plaisir auf das zu Erwartende hin oder legen im Prolog die „Moral der Geschichte“ klar. Merkwürdig faszinierend ist das in Jennifer Toelstedes szenischer Einrichtung, die sich zwar streng an die Szenenfolge Martins hält, aber in ihrer Personenführung eine unaufdringliche Spannung aufbaut, der der Zuschauer aufmerksam folgt. Dabei helfen die Bühnenelemente, die Kostüme und Videos von Iris Braun, die klar strukturieren, die alles auch dem Vorläufigen unterwerfen. Gleich anfangs hat der Zuschauer den Eindruck, einer Probe beizuwohnen. Die Akteure laufen in Alltagskleidung umher, streifen erst spät ihre Rollenkostüme über.

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Delia Bacher (Isôt die Weißhändige), Noah Schaul (Tristan), Evmorfia Metaxaki (Isôt die Blonde), Viktor Aksentijević (Bass). Foto: Olaf Malzahn

Delia Bacher (Isôt die Weißhändige), Noah Schaul (Tristan), Evmorfia Metaxaki (Isôt die Blonde), Viktor Aksentijević (Bass). Foto: Olaf Malzahn

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Gestaltung

Jeweils vier Frauen- wie Männerstimmen sind dabei mit festen Charakteren verbunden. Tristan (stimmlich überzeugend mit seinem wendigen Tenor Noah Schaul) zählt dazu, wie natürlich Isolde, Evmorfia Metaxaki gestaltet sie mit Präzision und ihrem feinen Sopran. Wichtig ist vor allem die Brangäne, der Andrea Stadel wie oft schon mit Sprachverständlichkeit und absolut sicherer Gesangstechnik eine zentrale Bedeutung gibt.

Neben König Marke, gesungen von dem versierten Bariton Jacob Scharfmann, gibt es in Martins Version einige Personen, die gegenüber dem Wagnertext neu sind. Die Mutter Isoldes (hier Isôt die Blonde genannt) gehört dazu (mit ihrem klangschönen Mezzo Frederike Schulten). Warum sie aber als Rote-Kreuz-Schwester gekennzeichnet ist, bleibt unerfindlich. Und auch Tristan verbindet sich in kühler Ehe mit einer zweiten Isolde, genannt Isôt, die Weißhändige. Delia Bachers warmer Alt, zugleich klar und intensiv passt wunderbar zu dem schwierigen Charakter der Frau, der hier aus Eifersucht Tristans und schließlich auch Isoldes Tod herbeiführt.

Fazit

Bearbeitung ist jeder Text, der Wagners wie der Martins. Aber gerade die Versionen machen den Reiz aus, den die musikalische Gestaltung erzeugt. Wagners berauschender Klang wurde schon angesprochen, aber auch Martins Musik hört man mit großer Aufmerksamkeit in ihrer sublimen Gestaltung zu. Seine instrumentalen wie vokalen Linien, die wenig aufdringlich Schönbergs Dodekaphonie verpflichtet sind, sind dicht, dann wieder in Linien sehr ausdrucksvoll. Sie fügen sich eng dem Geschehen an. Nathan Bas, der Zweite Kapellmeister, leitete vom Klavier aus und erreichte mit den Streichern des Philharmonischen Orchesters Lübeck eine Aufführung, die den großen Beifall verdiente.

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