Hauptbild
Konterkariert mit Nachdruck die schüchterne Sprachwelt Pessoas: Klaus Maria Brandauer. Foto: Nick Mangafas
Konterkariert mit Nachdruck die schüchterne Sprachwelt Pessoas: Klaus Maria Brandauer. Foto: Nick Mangafas
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Unruhe ohne Herd in der Kulturhauptstadt – „Das Buch der Unruhe“ von Michel van der Aa

Publikationsdatum
Body

Linz ist 2009 Kulturhauptstadt Europas. Man wundert sich. Denn trotz Brucknerstadt und Ars Electronica hat der Ort den Ruch des Provinziellen. Hitler hatte einst so manches vor mit der Stadt, die so nahe seinem Geburtsort liegt, aber das kann wohl kaum einen Beweggrund darstellen. Doch Intendant Martin Heller, der die Zügel in diesem Jahr führt, glaubt gerade aus den Defiziten heraus, fast wie Phönix aus der Asche, Mechanismen des Anschubs zu gewinnen.

„Linz bewegt“, „Linz verändert“, die „Hörstadt Linz“ (man denke nur an die von Walter Haupt initiierte, jährlich veranstaltete und über die Stadt schwappende „Linzer Klangwolke“) kämpft gegen den Lärm der Zwangsberieselung, Linz als Basis einer demokratischen Kultur, als Leuchtbild für europäisches Kunstbewusstsein – all dies und noch vieles mehr wird demonstrativ ins öffentliche Bewusstsein geschoben. Und auch die Linzerin oder dier Linzer mögen sich wundern, was ihre Stadt auf einmal so alles hergibt. Das alles ist ambitioniert und wohldurchdacht, wir werden Ende 2009 beurteilen können, wie weit die kulturellen Denkanstöße in die Breite gegangen sind.

Schon mit dem musiktheatralischen Eröffnungsstück in der neu errichteten, sehr respektablen Hafenhalle 09 suchte man Zeichen zu setzen: Ein europäisches Dreieck zwischen Portugal, Holland und Österreich umriss den Rahmen. Der junge niederländische Komponist Michel van der Aa (Musik und Regie) zog für sein zwischen filmischer Fiktionalität und Theaterrealität changierendes Stück (es nennt sich Musiktheater für Schauspieler, Ensemble und Film) Texte des portugiesischen Autors Fernando Pessoa heran, nämlich seine im Nachlass (Pessoa starb 1935) entdeckten, sich zwischen tagebuchartigen Eintragungen und philosophischen Betrachtungen bewegendes „Buch der Unruhe“ heran.

Dieser Näherung wurde die österreichische „Theater- und Filmlegende“ (so in der Ankündigung) Klaus Maria Brandauer und das Bruckner-Orchester unter Dennis Russell Davies beigesellt. Zur Unruhe Pessoas kam donaumonarchische Wucht – und die trat, dies vorweg, den scheuen Notizen schmerzlich auf die Füße. Pessoa hat aus seinen kurzen Beobachtungen, die unmittelbar seiner Umwelt entnommen sind, ein Geflecht gewunden, das sich immer wieder mit einem Hang zum Solipsismus mit der Beziehung des künstlerischen Ich zur Außenwelt beschäftigt (sie sind dem fiktiven Alter Ego von Pessoa, Bernando Soares, in den Mund gelegt). Die Unruhe des Betrachtens, das selbst schöpferisch wird, andere Personen als Verdopplungen der eigenen Identität zu erkennen meint, ist Garant für ein gelebtes Dasein. Zugleich sehnt sie sich nach der Ruhe des einfachen Seins, das als Alternative in Gestalt einer Hüterin eines Rindes aufscheint, die beide im gleichen Schritt gelassen und unerschütterlich über Gräser und Wege schreiten. „Endlich finde ich Ruhe. Ich bin allein und ruhig. Ich fühle mich frei, als hätte ich aufgehört zu existieren und wäre mir dessen bewusst.“ Mit diesem Satz endet das Stück.

Michel van der Aa arbeitet immer wieder mit solchen Verdopplungen oder Vervielfachungen. In seinen Musiktheaterstücken „One“ oder der Oper „After Life“ hat er eindrucksvoll demonstriert, wie nachhaltig spannend er diese gebrochenen Identitäten musikalisch zu zeichnen versteht. Die genau diese Aufspaltung in die verschiedenen Realitäten zwischen Traum, Wahnbild und Realität fixierenden Notate von Pessoa müssen ihn deshalb sofort fasziniert haben. Die Überlagerungen verschiedener Darstellungsebenen (Textlesung, Theater, Film) können eine faszinierende Verbindung mit der Musik eingehen, die wie keine andere Kunstform in der Lage ist, die unterschiedlichen Realitätsschichten gleichzeitig zu spiegeln. Überlagerungen von Tempi und von divergierenden Zeitverläufen, von Stilformen, von Farbwerten und vieles mehr stehen der Musik zur Verfügung, und van der Aa verstand es vortrefflich, mit diesen heterogenen, sich dialektisch beleuchtenden Mitteln umzugehen.

Und dennoch ging es hier nicht auf. Klaus Maria Brandauer war wieder einmal mittelmäßig mit freilich enormem Nachdruck. Gerade aber die große Sprachgeste, als würde zu einem hochdramatischen Monolog angehoben, konterkarierte die schüchterne Sprachwelt Pessoas, dessen Tentakeln in die Welt hinaus spüren, um sich der subjektiven Identität des Autors zu versichern. Hier wurde mehr zertreten als ans Licht geholt. Und Michel van der Aa scheint angesichts der Präsenz Brandauers in Ehrfurcht erstarrt zu sein. Denn musikalisch hielt sich die Partitur immer wieder zurück, schuf nicht ein sich gegenseitig beleuchtendes und akzentuierend widersprüchliches Gegenbild zur Szene, sondern dekorierte sie im Wesentlichen. Tempi des Geschehens auf der Bühne und in den filmischen Sequenzen wurden fast direkt übernommen, aber damit blieb die Musik nur Hintergrundlandschaft. Eine eigene Kontur, gar einen reflektierenden Widerpart vermochten die oft repetitiven Klangstrukturen nicht herzustellen.

Überhaupt spielte das Dekorative immer wieder eine maßgebliche Rolle (aus Unterschätzung des Linzer Publikums heraus?). So ließ die Kuhhirtin, die wie aus einem Werbeprospekt für den entspannten „Urlaub auf dem Lande – mit den rassigen portugiesischen Melkerinnen auf Du und Du“ daherzukommen schien (auch für den Film zeichnet Michel van der Aa verantwortlich), zweimal Teile eines volkstümlichen portugiesischen Fados hören, und van der Aa scheute sich auch nicht, der mittlerweile recht kommerzialisierten Gesangsform durchaus Genüge zu tun. Dieses Geschönte in Bild und Ton mag vielleicht von Werbedesignern als Ausdruck der Ruhe missverstanden werden, die Ruhe, die Bernando Soares alias Fernando Pessoa meinte, wurde meilenweit verfehlt.

So blieb ein fader Nachgeschmack, der nicht unwesentlich vom schlechten oder in die Irre gegangenen Geschmack des Duos Brandauer/van der Aa herrührte. Dabei hatte das Projekt durchaus seine vielversprechenden Seiten. Aber man kann nun einmal nicht die enorme Fallhöhe der Texte Pessoas auf ein schmuckes und apartes Ambiente herunterholen. Dies aber widerfuhr der Linzer Aufführung. Ein leichter Fehlstart von Europas Kulturhauptstadt, ein schwererer, wenn man das Ergebnis mit den Vorgaben der Veranstalter vergleicht.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!