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Barbara Zechmeister (Das Fräulein), und Alexander Mayr (Der Student Arkenholz). Foto: Wolfgang Runkel
Barbara Zechmeister (Das Fräulein), und Alexander Mayr (Der Student Arkenholz). Foto: Wolfgang Runkel
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Untote im weiten Raum – Abgründige Psychostudien in Aribert Reimanns „Gespenstersonate“ an der Frankfurter Oper

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Wolf-Dieter Peter besuchte die in Frankfurt die Premiere von Aribert Reimanns Kammeroper „Gespenstersonate“ aus dem Jahr 1984. In dieser Frankfurter Fassung wirkte sie aber doch müde und kraftlos in Szene gesetzt, ein bisschen wie „Moderne von Gestern“ mittlerweile die Musik; Freude bereiteten jedoch die Gesangssolisten. [MH]

Das Personal in Strindbergs wie Reimanns „Gespenstersonate“ grenzt an ein Horrorkabinett. Fast alle sind, jenseits ihrer gediegenen gesellschaftlichen Stellung und ihres mehr oder minder gepflegten Äußeren, durch Macht- und Geldgier, durch verdrückt heimliche Sexualität und eine Fülle ungelebten Lebens rachsüchtig mit- und gegeneinander verstrickt. In der Mehrzahl - voran der noch agile Oberst und der extrem intrigante Direktor Hummel, die zur „Mumie“ regredierte Frau Oberst und Ex-Geliebte Hummels, dazu die „dunkle Dame“, die Köchin, der Konsul, ein Baron Skanskrog, die Verlobte Direktor Hummels - wirken sie wie lebende Zombies, übergipfelt von einem toten Milchmädchen, das Hummel einst wegen ihres Wissens um seine Machenschaften ertränkte, das aber speziell für einen jungen Studenten - als „Sonntagskind“ halb übersinnlich begabt - mehrfach sichtbar wird. „Wir sind nicht die wir scheinen“ singt die Mumie. Strindbergs Kammerspiel hat Reimann 1984 in eine Kammeroper mit zwölf Instrumentalsolisten verwandelt. All das deutet eigentlich auf klaustrophobische Räume und fast surreale Situationen hin. Doch das Frankfurter Team um Dirigent Karsten Januschke, Regisseur Walter Sutcliffe und Ausstatter Kaspar Glarner stellten sich der Herausforderung des Hallenraumes im Bockenheimer Depot.

Links und rechts von einem leicht diagonal gesetzten, breiten Bühnenpodest sitzt auch das Publikum in angeschrägten Tribünen; dahinter wölben sich zwei Horizont-Halbrunde mit wechselnden Wolkenstimmungen, erst später mit den dringend benötigten Übertiteln; das Kammerorchester klebt an einem Podestrand; auf dem Podest kreist zunächst das hüfthohe, detailreich gebaute Modell einer herrschaftlichen Villa, fährt geisterhaft auf und ab, teilt sich und eine Hälfte verwandelt sich in einen liegenden Schrank (aus dem Mumie papageienhaft irre singend steigt); für einige Zeit fährt eine Skulptur - die jugendliche Mumie als weiblicher Akt - empor und versinkt wieder; auch eine Couch und Ledersessel fahren ins Zentrum der Spielfläche und später ab – Raum, Zeit, Wirklichkeit scheinen aufgehoben. Insoweit ist dem Team ein Inszenierungsansatz gelungen. Doch im weiten Hallenraum verfliegt auch einige Wirkung, speziell die Auftritte des toten Milchmädchens verpuffen. Der in Sätzen wie „Sie sollen mir gehorchen, dann geht es Ihnen gut“, „Jede Hilfe ist demütigend“ oder „Dienen Sie mir und Sie sollen herrschen“ sich aussprechende kapitalistisch-neoliberale Rigorismus wurde nicht interpretatorisch und inszenatorisch aufgegriffen – wären die Parallelen zwischen „1900“ und unseren Tagen nicht ebenso gespenstisch reizvoll?

So blieb die Freude an typengerecht feinsinnig konstrastierenden Gesangssolisten, voran Bassbariton Dietrich Volle, dessen an einen Rollstuhl gefesselter Machtmensch Hummel expressiver Mittelpunkt war. Daneben blieb der mal angepasste, mal um Hummels verschwiegene Tochter ansatzweise werbende, dann aber doch sein Heil außerhalb dieser Zombiewelt suchende Student von Alexander Mayr passend wenig „persönlich“. Die halb irren, halb entlarvend realistischen Auftritte der Mumie sind eine Paraderolle für reife Diven mit ungebrochener Bühnenpräsenz. Anja Silja ließ sich dafür aus Hamburg anlocken, nutzte ihre Szenen aber nicht zu eitlen „Star-Auftritten“, sondern war „nur“ eine besondere lebende Tote. Aribert Reimanns sehr atmosphärische Klangwirkungen wurden von Karsten Januschke und den zwölf Instrumentalsolisten mehrfach reizvoll umgesetzt. Einiges wirkte aber auch im großen Raum verloren, charakterisierte folglich zu wenig und führte nicht zu musikdramatischen Verdichtungen. Auch aus dem für die 1980er Jahre typischen Diskantsprüngen, dem Sprechgesang und insgesamt wenig sanglichen Phrasen erwuchs kaum Spannung – alles erklang auf hohem Niveau, aber auch ein wenig wie „Moderne von Gestern“. Am Ende aber ungetrübter Beifall für den angereisten Aribert Reimann und das gesamte Team, einschließlich der unter dem Podest unsichtbar alle Bühnenbauten „fahrenden“ Techniker.

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