Er hat Sternkarten, Holzmaserungen, Unregelmäßigkeiten im Papier oder Lotmaße von Punkten auf Linien in Klang übersetzt. Auch Zufallsergebnisse nach Würfel- oder Münzwürfen und den 64 Schafgarbenstängelchen des altchinesischen Orakelbuchs „I Ging“ verwandeltete er in Musik. Seit John Cage kann alles, was zunächst nicht Musik war, zu Musik werden. Als „Sonifikation“ ist dieses Verfahren längst allgemeine Praxis geworden, ohne noch mit Cage in Verbindung gebracht zu werden. Heute lässt sich jegliche analog oder digital erfasste Information mit Hilfe verschiedenster Soundprogramme in Musik übersetzen. Eines der faszinierendsten Beispiele unserer Tage ist der „G-Player“ von Jens Brand.
Unser Globus wird hier gewissermaßen wieder zur Scheibe, deren topographische Daten von Gebirgen, Meeren, Tälern und Ebenen Satelliten erfassen und wie der Saphir eine Schallplatte abspielen. Nach solcher klanglichen Vermessung der äußeren Welt ist jetzt der innere Kosmos unseres nächtlichen Seelenlebens an die Reihe.
Statt wie sonst üblich Tiefschlaf- und Traumphasen graphisch zu veranschaulichen, entwickelten Informatiker der Universität Helsinki jetzt ein Programm, das vielstündige Schlafprotokolle stark komprimiert als kleine Klavierstückchen wiedergibt. Mit Sensoren gemessene Körperfunktionen von Schlafenden werden automatisch in musikalische Eigenschaften übersetzt: Herzfrequenz wird zum Tempo, Motorik zur Dynamik. Nackte Traumdaten sollen so wieder zu Gefühlen und persönlichen Erlebnissen werden, die sie für die Schläfer zuvor waren. Je aufgewühlter der Traum, desto unruhiger die Musik, kaum anders als in Schumanns „Traumeswirren“. Doch was für ein Unterschied! Die Resultate auf der Homepage http://sleepmusicalization.net lassen alles Traumhafte vermissen. Zu hören sind nur simple Minimal-Music-Stückchen in hellwachem Digital-Piano-Sound, deren stocknüchtern-diatonisches Normalmaß sich kaum von den weißen auf die schwarzen Tasten traut. Das Andere, Obsessive, Trunkene, Phantastische, Wilde, Hochfliegende, Surreale, Bizarre, Groteske, Verzerrte … bleibt offenbar bis auf weiteres Privileg lebendiger Geister.
Gleich auf's große Ganze zielt Fazil Say in seiner 3. Symphonie „Universe“, die am 7. Oktober im Großen Festspielhaus Salzburg uraufgeführt wird. Nach Franz Kafkas Erzählung von der Mäusesängerin „Josephine“ komponierte Sagardía seine am 13. Oktober vom Theater Krefeld-Mönchengladbach erstmals herausgebrachte Oper. Am selben Abend wird in der Meis-
tersingerhalle Nürnberg Willi Vogels „MP3-Player“ uraufgeführt, eine auf der Grundlage des bekannten Kodierungverfahrens von Audiosignalen entstandene „Visualized Symphony“. Mit dem ältesten geplatzten Menschheitstraum des Turmbaus zu Babel beschäftigt sich Jörg Widmanns Oper „Babylon“ in sieben Bildern nach einem Libretto von Peter Sloterdijk, deren Premiere am 27. Oktober am Nationaltheater in München zu erleben ist.
Weitere Uraufführungen
- 6.10.: Friedrich Cerha, Skizzen für Orchester, Grafenegg, Niederösterreich
- 6.–13.10.: 56. Festival Internazionale di Musica Contemporanea der Biennale di Venezia, etwa 25 neue Werke überwiegend italienischer Komponisten, aber auch von Carola Bauckholt, Alvin Lucier, Johannes Schöllhorn und Bernhard Gander
- 7.10.: Samir Odeh-Tamimi und Niklas Seidl, neue Orgelwerke, Festival Orgel-Mixturen in der Kunst-Station Sankt Peter Köln
- 19.–21.10.: Donaueschinger Musiktage mit über 20 neuen Werken
- 25.10.–4.11.: Transit Festival Leuven und World Music Days in Belgien, zahlreiche neue Werke internationaler Komponisten
- 26.10.: Wolfgang Rihm, Sextett für Klarinette, Horn und Streichquartett, Festival Alpenklassik, Bad Reichenhall