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Musik der Gegenwart. Foto: Hufner
Musik der Gegenwart. Foto: Hufner
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Uraufführungen 2018/12-2019/01

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Kompensation und Zeitdiagnostik
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Aufklärung, Rationalismus und Funktionalismus haben Religion, Kultus, Philosophie und Kunst zunehmend aus unserem Leben verdrängt. An die Stelle existentieller Eingebundenheit in übergeordnete Zusammenhänge, Sinnstiftungen, Welt- und Selbsterklärungsmodelle trat die Kurzatmigkeit des Terminkalenders: Tag für Tag hasten wir am Fließband durch To-do-Listen, Informationshäppchen, Clicks, Likes, Tweets, Mails, Entertainment, Talkrunden, politische Phrasen.

Einst suchten Mythen, Metaphysik, große Erzählungen und gesellschaftspolitische Visionen das komplexe Ganze zu begreifen, überschaubar und dadurch relativier- und bewältigbar zu machen. Sie wurden zerrieben von einem durchökonomisierten Getriebe aus Globalisierung, Digitalisierung, Partikularismus, Multitasking und dem Kleingedruckten juristischer Paragraphen. Kehrseite des verwalteten Lebens in der entgeis­terten Welt sind neben erstarkenden Fundamentalismen und Nationalismen die zahllosen Zauberer, Fabelwesen, Drachen, Helden, Ritter und Hobbits in all den vielen Untergangs- und Weltrettungsszenarien von Computergames, Fernsehserien, Kinospektakeln, Fantasy-Romanen, Mangas. Zwischen Kompensation und Zeitdiagnostik schwankt auch das zeitgenössische Opernschaffen.

Die am 8. Dezember an der Staats­oper Wien uraufgeführte Oper „Die Weiden“ von Johannes Maria Staud auf ein Libretto von Durs Grünbein erzählt in sechs Bildern und vier Passagen samt einem Vor-, Zwischen- und Nachspiel von einer „Reise ‚into the heart of darkness‘ an einem großen Strom in Mitteleuropa heute, den man, wenn man so will, unzweifelhaft als die Donau identifizieren kann“. Zur Personnage der surrealen Liebes- und Reisegeschichte, die das Pandämonium der Gegenwart zu beleuchten sucht, gehören neben den Hauptfiguren auch Oberförster, Flüchtling, Fernsehreporterin, Komponist, Demagoge, Warner und Wasserleiche.

Das Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz präsentiert am 16. Dezember Wilfried Hillers Musiktheater „Momo“ nach dem gleichnamigen Roman von Michael Ende. Das kleine Mädchen Momo nimmt hier den Kampf mit den geheimnisvollen grauen Männern auf, die eines Tages die Menschen in der großen Stadt überreden, Zeit zu sparen, um ihnen in Wirklichkeit Zeit und Leben zu rauben.

Die taT-Studiobühne des Stadttheaters Gießen zeigt am 12. Januar 2019 Paula Fünfecks neues Musiktheater für Kinder zum Mitmachen „Babbel“. Ein König wünscht sich sehnlichst, die Sterne des Himmels zu berühren. Er lässt daher einen wahnsinnig hohen Turm bauen, dessen Spitze dem lieben Gott jedoch in den Allerwertesten ­piekt. Der alte Herr erbost sich darüber so sehr, dass er drunten am Ufer des Euphrat giftigen Sprachensalat wachsen lässt, der die Menschen von Babel in verschiedenen Sprachen babbeln lässt, so dass keiner mehr den anderen versteht. Die Berliner Staatsoper Unter den Linden präsentiert schließlich am 13. Januar „Violetter Schnee“ von Beat Furrer auf einen Text von Händl Klaus. Wie das Publikum im Opernhaus sind auf der Bühne fünf Menschen während eines unaufhörlichen Schneewehens eingeschlossen. Die Zeit scheint stillzustehen. Die Personen werden sich selber und den anderen fremd und verlieren angesichts der drohenden Katastrophe ihre Sprache.

Weitere Uraufführungen:

12.12.: José M. Sánchez-Verdú, White Silence, Konzerthaus Berlin
13.12.: Charlotte Seither, sternLicht für Klavier, Centre Culturel Français Freiburg
16.–20.01.: Festival Ultraschall Berlin mit neuen Werken von Biró, Holz, Mason, Hiendl, Sannicandro, Glojnaric, Zhao, Diels, Mahnkopf, Hirsch
18.01.: Alois Bröder, Rencontres für Trio Comet, Musikhochschule Hannover
19.01.: Thorsten Encke, Artur Kroschel, neue Ensemblewerke, Musik 21 NDR Hannover
20.01.: Matthias Pintscher, NUR für Klavier und Ensemble, Boulez-Saal Berlin
26.01.: Christian Mason, Eternal Return für hr-Sinfonieorchester, Festkonzert 300 Jahre Breitkopf & Härtel, Kurhaus Wiesbaden

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