„Als Beaumarchais‘ „Figaro“ gespielt wurde, war die Revolution auf dem Marsch“ – so ähnlich soll Napoleon die Rolle des Stoffes charakterisiert haben. Mozart und Rossini haben die Figuren musikdramatisch unsterblich gemacht. Legendäre Filme wie von Marcel Bluwal und Schauspiel-Interpretationen füllen seitenlange Aufzählungen. 1971 hat der kantige Autor Peter Turrini (*1944) eine Fortspinnung des Stoffes geschrieben, deren Vertonung durch Johanna Doderer (*1969) jetzt erstmals gespielt wurde.

Turrinis Tollster Tag: Daniel Gutman und Anna-Katharina Tonauer
Verfall deutlich, Revolution undeutlich – Uraufführung von Doderer-Turrinis „Der tollste Tag“ am Münchner Gärtnerplatztheater
Das weniger Erfreuliche zuerst: die Uraufführung am Gärtnerplatz war seit langem terminiert und bekannt; doch die benachbart große Staatsoper setzt jetzt parallel zur Uraufführung als konzertante Aufführung Mozarts „Figaro“ an… da wird anscheinend wenig oder gar nicht miteinander geredet… ein breites „Figaro“-Projekt mit Filmhochschule und Museen wäre doch was…
Im Gärtnerplatztheater waren zur Einstimmung auf dem schwarzen Zwischenvorhang etliche kernige Sätze des die Handlung ja etwas fortspinnenden Turrini-Librettos zu lesen – etwa Cherubins Grundeinsicht „In der Komödie ist alles möglich, besonders das Gegenteil. Die Armen werden reich, die Reichen werden betrogen, die Unglücklichen werden glücklich, etcetera, etcetera…“ – oder Figaros „Herr Graf, das Recht ist so sehr auf Eurer Seite wie die Macht. Also habt Ihr die Macht, recht zu haben.“ Und Turrini streut auch ordinäre Deftigkeiten und sexuell handfeste Realitäten ein.
Zu Beginn ertönte jetzt im dunklen Theater ein Kanonenschuss-artiges Tutti. Dann fuhr der schwarze Zwischenvorhang hoch. Heiko Pfützners Bühne zeigte ein halboffenes Geviert aus farblich verblichenen Stofftapetenwänden. Regisseur Joseph Köpplinger und Mitarbeiterin Ricarda Ludigkeit ließen dann in der Mitte eine kleine Drehbühne aufsteigen, auf der ein wüst erscheinendes, aber raffiniert ausgeklügeltes Gewirr aus alten Bettkästen, Truhen, Matratzen und Wohnmöbeln kreiste. Das „Türen-Problem“ der Handlung war gelöst, eine Endzeit der Aristokratie sichtbar. Dazu standen dann Birte Wallbaums mal grotesk, mal absurd überdrehte grellfarbige Kostüme quer – über das dramaturgische Ziel „historische Überzeichnung“ war zu rätseln… die mehrfach betonten männlichen Geschlechtsteile bis zum fülligen Nackt-Po des Grafen (mit markantem Tenor Daniel Schliewa) eher verzichtbar.
Positiv wirkte dagegen auf dieser Turn-Szenerie die feine Personenführung der Regie – viele Wechselbäder der Gefühle wurden sichtbar. Cherubin ist ja zu einem handfesten jungen Mann gereift, was Paul Clementi darstellerisch wie vokal gut gelang. Der Figaro von Daniel Gutmann überzeugte als der bei Beauchmarchais durch X Berufserfahrungen gewiefte, aber emotional auch überschäumende „3.Stand“ der kommenden Revolution mit schönem Bariton. Gräfin und Susanne waren durch Réka Kristóf und Anna-Katherina Tonauer reizvoll anzuschauen und verströmten Sopran-Süße. Ein neuer Akzent der Partitur war die ausführliche Klage-Arie „Ich habe nichts, was ihr nicht habt“, mit der sich Marzelline direkt ans Publikum wandte – was Mezzosopranistin Anna Agathonos zu einem eindringlichen Ruhepunkt der Handlung machte. Dergleichen gelang Komponistin Doderer aber für Susannas Liebesreflexion und Cherubins Kriegstod-Beschwörung nicht. Sie hat zwar alle Stimmen „sanglich“, ohne modernistisch-modische Diskant-Dissonanz-Anti-Betonungen geführt. Aber fesselnde Höhepunkte erklangen nicht, auch wenn Dirigent Eduardo Browne mit dem konzentriert aufspielenden Orchester Blech-Fanfaren, düsteres Klanggrummeln und melodiös schwebende Holzbläser-Linien herausarbeitete.
Leider fesselte auch das Finale nicht. Figaro erwürgt ja den Grafen und flieht mit Susanne. Der eingefügte Intrigant „Bazillus“ von Juan Carlos Falcón steht an der Leiche, brüllt „Mord! Totschlag! Revolution!“ und fügt dann ein zweifelndes leises „Revolution?“ an – Vorhang. Da war von Turrini wie von Doderer viel, viel mehr zu erwarten – wird aus Figaro nicht ein Carlo Gérard wie in „Andrea Chénier“? Anfangs der Haushofmeister, der in einer grandiosen Szene die Hungernden des 3.Standes in die höfische Ball-Szene hereinführt mit dem fulminanten „Sua Grandezza – la Miseria!“ – und dann eben zum Revolutionsführer mutiert, der Todesurteile unterschreibt mit der bewegenden Reflexion „Un di m’era di gioia“? Ein derartiges „Fetz-Peng!“ fehlt diesem „Tag“, der eben nicht zum „tollsten“ wird.
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