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Lucrezia / Der Mond | Premiere am 24. April 2024 | Musikalische Leitung: Ustina Dubitsky. © Wilfried Hösl

Lucrezia / Der Mond | Premiere am 24. April 2024 | Musikalische Leitung: Ustina Dubitsky. © Wilfried Hösl

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Vokales vor allem Anderen – Respighis „Lucrezia“ und Orffs „Mond“ im Münchner Cuvilliéstheater

Vorspann / Teaser

Es gehört zur gewachsenen Spielplanstruktur der Bayerischen Staatsoper, eine voll gültige Produktion des eigenen Opernstudios zu präsentieren. Dieses Mal kam hinzu, dass mit Ustina Dubitsky eine junge Dirigentin vom Kölner Gürzenich-Orchester eingeladen wurde. Auch die szenische Realisierung gab Intendant Dorny in weibliche Hände: das Bühnenbild war Linda Sollacher, die Kostüme Eva-Maria Uhlig anvertraut; als Regisseurin wurde die bis 2011 am Kiewer Left Bank Theater tätige Ukrainerin Tamara Trunova engagiert.

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Das Erfreulichste und der zurecht mit einhelligem Beifall gefeierte Gewinn des Abends waren die zwölf Stimmen der Opernstudio-Mitglieder. Da spannte sich vom füllig strömenden Mezzo für „La Voce“ von Natalie Lewis über alle Sopran-, Tenor- und Bariton-Töne bis hin zu Daniel Noyolas Petrus-Bass ein vokaler Bogen ohne Schwächen. Ihnen allen ist zu attestieren, die insgesamt sechzehn Rollen in beiden Werken vokal überzeugend belebt zu haben.

Darüber hinaus beeindruckte der Abend zu wenig. Ottorino Respighis „Lucrezia“ und Carl Orffs „Der Mond“ erklangen aus dem zwar vergrößerten Orchestergraben des Cuvilliéstheaters, aber in den reduzierten Fassungen von Richard Wilds und Takénori Némoto – außer Instrumentenaufzählung kein Wort dazu im fingerdicken Programmbuch. Zu hören war, dass die von Respighis Witwe Elsa und Enno Portino komplettierte „Lucrezia“-Partitur voller dramatischer Raffinessen steckt, über den volltönenden Verismo-Klangrausch der Vergewaltigung bis hin zum Selbstmord-Verlöschen der Titelfigur durchweg beeindruckende, klangsinnliche Opernmusik enthält. Nur verfiel Dirigentin Dubitsky in die klassischen Gastspielfehler: unerfahren mit dem begrenzten Raum des Rokoko-Theaters hat sie anscheinend-hörend zu wenig an ihre Assistenten übergeben und sich in die hinterste Parkettreihe gesetzt, um zu hören „Alles viel zu laut“ – und dann noch Premierenanspannung und die Intention, als Frau am Pult zu beeindrucken – einen fortissimo am Bühnenrand singenden, stattlichen Jungbass komplett unhörbar zu machen und orchestral zu übertönen, ist ihr leider, leider, leider nicht nur in dem einen Beispiel gelungen. 

Dass in der „Orff-Stadt“ München, wo das mehrdeutige Diebstahl-Märchen „Der Mond“ 1939 im Nationaltheater uraufgeführt wurde, die Maßstäbe hoch liegen, ist klar. Dubitskys Staccato, den Orffschen Wiederholungen und dann dem Kontrast zu ausholenden Melodien fehlten Biss und Spannweite. Beeindruckend an der Orff-Realisierung war vielmehr das klare Artikulieren des deutschen Textes durch die ja durchweg ausländischen Solisten.

Leider versuchte dann Regisseurin Trunova die beiden Werke zusammen mit ihren Ausstatterinnen zu verbinden. Also stand in einem kleinen Glasschaukasten während der ganzen „Lucrezia“-Handlung ein wie eine gezackte Krone wirkendes Gebilde: es war das Modell des stilisierten Gebirgswaldes für die anschließende „Mond“-Szene. Die Militärs um Lucrezia traten in grauen Anzügen und grauen Melonen auf – doch ebenso dann auch die Wanderburschen und Bauern im „Mond“, auch der Erzähler und – bis in den grauen Gelehrtenbart zum Verwechseln ähnlich – auch die finale Autorität des unchristlichen Petrus – alle durchweg wie die Zeitdiebe in „Momo“? Durch die munter bewegte Burschen-und-Bauern-Gesellschaft zogen dann Lucrezia und ihre zwei Gefährtinnen einmal hindurch – dramaturgisch sinnfrei … sinnfrei wie ein vom Vergewaltiger Tarquinio herein gerollter, mit Geschenkschlaufe verpackter Kühlschrank mit befremdlichem Inhalt – und ob Regisseurin Trunova den von Tarquinio mehrfach benutzten Elektroquirl als Vergewaltigungsinstrument verstanden wissen wollte? Eine Anspielung auf grausige Horrorberichte aus dem Ukraine-Krieg? So nebenbei in diesem Werk bitte nicht! 

Ihre Vorab-Äußerung „Der Selbstmord von Lucrezia ist das Gericht, das sie selbst initiiert – ihr Den Haag … Die Tat einer Frau, die andere dazu ermutigt, für sich selbst einzustehen. Das Verbrechen als Wendepunkt, der schließlich zur Gründung eines neuen politischen Systems führt“ – das wäre eine Ebene für eine akzeptable „politische Inszenierung“ gewesen.

Auch dass die ganze „Mond“-Gesellschaft in einem Zwischenspiel dasitzt und auf einem Zwischenvorhang zahlreiche Gemälde-Projektionen von halbnackten Selbstmörderinnen mit Dolch oder ähnlichem in der Hand anglotzt, blieb wiederum dramaturgisch sinnfrei – und natürlich kein Wort zu den benutzten Gemälden im Programmbuch … dafür zeitgenössische Nackedei-„Kunschd“ und acht farbige Mondfotos. 

Das Zusammenwirken von Regisseurin, Dirigentin und zwei promovierten Dramaturg:innen – von Klang über Szene bis zum Programmbuch – all das blieb deutlich hinter Produktionen der Münchner Theaterakademie zurück und der unüberhörbare Buh-Ruf für das Produktionsteam war mehr als angebracht. Doch der Beifall für die zwölf Solisten blieb als Positiv-Eindruck des Abends.

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