Lydia Steier und Philippe Jordan präsentieren an der Wiener Staatsoper einen neuen Tannhäuser als Venusberg-Show und als intellektuelle Anstrengung einer De- und Rekonstruktion von Bildern und Ebenen.

Tannhäuser an der Wiener Staatsoper 2025. Clay Hilley und Ensemble. © Wiener Staatsoper – Michael Pöhn
Von der Venusberg-Revue zur Backstage-Einsamkeit – „Tannhäuser“ an der Wiener Staatsoper
Wagner meinte ja, er sei der Welt noch einen „Tannhäuser“ schuldig. Die Wiener Staatsoper folgt dem in diesem Ausnahmefall selbstkritischen Komponisten nicht, und präsentiert nach Claus Guths sehr Wienerischer Inszenierung aus dem Jahr 2010 jetzt eine neue Version. Inszeniert von Lydia Steier mit dem scheidenden Musikdirektor des Hauses Philippe Jordan am Pult des Staatsopernorchesters. In einer Wiener Fassung, die – so das Programmheft – nach der Dresdner von 1845 und der Pariser von 1861, 1875 an der Wiener Hofoper das erste Mal erklang.
Für den so wagneraffinen wie -erfahrenen Jordan ein Vergnügen, bei dem ihm die Musiker willig folgten. Hier machte man sich gegenseitig und dem Publikum offensichtlich ein luxuriöses Abschiedsgeschenk, ließ die Leidenschaften wogen, ohne, dass die Sänger überdeckt worden wären. Schon die Ouvertüre war voller Spannung. Imponierend, nicht nur die Blechbläser, sondern vor allem der souverän geschmeidige Wechsel zwischen Klangprachtentfaltung und leisen Tönen. Aber auch die dramatische Aufladung der Romerzählung wirkte schlüssig, weil Clay Hilley schon im ersten Aufzug mit seiner trompetenklaren Stimme die Betriebstemperatur erreicht hatte, die ihn durch die gesamte Partie trug. Auch Günther Groissböck überzeugte in guter Tagesform als Landgraf. Dem für Ludovic Tézier eingesprungenen Martin Gantner fehlte das balsamisch Strömende, das die Auftritte Wolfram von Eschenbach im günstigsten Fall zu einem schwelgerischen, dunkel leuchtenden Genuss machen. Er verwaltete diese Partie immerhin solide. Seine Sängerkollegen (Daniel Jenz als Walther von der Vogelweide, Simon Neal als Biterolf, Lukas Schmidt als Heinrich der Schreiber und Marcus Pelz als Reinmar von Zweter) nahmen durchweg die Chance wahr, ihre kleinen Auftritte zu erkennbaren Rollenprofilen zu weiten. Malin Byström ist als hinreißend selbstbewusste, hell leuchtende und klare Elisabeth ein überzeugender Gegenentwurf zu Ekaterina Gubanovas auf einer Mondsichel einschwebender Venus. Schwindelfrei musste auch Ilia Staple als Hirt sein, der sich hier wie ein barocker Deus ex machina nicht nur vokal in betörender Höhe bewegte. Der von Thomas Lang einstudierte und erweiterte Chor ließ keine Wünsche offen. Musikalisch bleibt hier mithin niemand etwas schuldig.
Was die szenische Verpackung anbetrifft, setzen Steier, Momme Hinrichs (Bühne und Video) und Alfred Mayerhofer (Kostüme) gleich zum Auftakt auf die große Venusberg-Show. Hier tummelt sich ein vergnügungssüchtiges Völkchen irgendwo zwischen Varieté, Bordell und Nachtclub. Es ist der optische Sound der zwanziger Jahre bei dem (laut Programmheft) circa 170 Kostüme exzessiv die Individualität feiern. Es ist ein von Tabatha McFadyen blendend durchchoreografiertes Wogen und ausgelassenes Wuseln bei dem jeder seine Rolle spielt und die auf der Mondsichel einschwebende glamouröse Venus der Clou der Show ist. Tannhäusers Rückkehr in die Wartburgwelt bleibt ein Arrangement an der Rampe vor einer sichtdichten Wand, die nur oben einen Blick auf den singenden Hirten freigibt, der hier freilich aussieht wie ein Barockzitat.

Ekaterina Gubanova und Ensemble. © Wiener Staatsoper – Ashley Taylor
Der riesige, frei bewegliche Portalbogen findet sich auch im zweiten Aufzug. Hier verweist die Architektur insgesamt, laut Programmheft, auf das Ende der Dreißigerjahre. Vielleicht soll die Zügellosigkeit der Zwanzigerjahre durch rigidere Formen und Rituale ausgebremst wirken. Wobei der Landgraf als Gastgeber und sein diensteifriges Personal (im Widerspruch zu dieser Intention) allzu überfordert wirken, weil die Dynamik des ersten Aufzuges noch deutlich brodelt. Dadurch gelingt die wohl beabsichtigte Zeitreise (und ihr Erkenntnisgewinn) nur teilweise. Für den fleißig an seinem Flachmann nippenden Tannhäuser (und uns) schieben sich dabei während des Wettstreits der Sänger in mittelalterlicher Aufmachung immer wieder Gestalten aus dem Venusberg wie Halluzinationen Tannhäusers ins Bild. Mit diesem Wechsel zwischen Realismus und subjektiver Sicht (Tannhäusers) spielt die Inszenierung immer wieder bewusst. Das trägt zwar zur Spannung bei, lässt aber manche Fragen offen.
Vor allem im dritten Aufzug, wenn die Kulisse des zweiten Aktes von ihrer Rückseite als solche ausgestellt wird und eine Marienfigur zu einer Bildschirminstallation mutiert. Es erinnert entfernt an Tobias Kratzers bewegendes Bayreuther Finale, wenn hier Elisabeth plötzlich Wolfram küsst, und der sie von sich stößt, weil er nicht der „Ersatz“ sein will.
Dass er dann aber seinerseits Heinrich küsst, weil er ihn offensichtlich, ob nun vor sich eingestanden oder nicht, liebt, dann bleibt das eine Behauptung, die nicht schlüssig hergeleitet ist. Das Schlussbild schließlich wirkt nach all der intellektuellen Anstrengung mit der De- und Rekonstruktion von Bildern und Ebenen etwas allzu flach. Das sich herabsenkende Prospekte-Laubwerk mag als Reminiszenz ans barocke Theater wie eine Klammer mit dem schwebenden Hirtenknaben angehen. Dass aber dann Elisabeth in strahlendem Weiß die große Freitreppe zu dem zu ihren Füßen liegenden Heinrich schreitet und sich beide in einer himmlischen Erlösung finden ist doch etwas arg.
Angemessener Beifall – ein paar Buhs für die Regie.
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