„FREIHEIT“ an der Universitätsmauer - „Wie kann man einfach stillstehen, wenn alles zerbricht?“ – nein, es geht nicht um den aktuellen Ruin einer benachbarten Demokratie durch eine Horde Polit-Marodeure. Es sind Sätze und Fakten eines mahnenden Lehrstücks unserer eigenen Geschichte, die sich gekonnt und packend speziell an die junge Generation richtet, die derzeit befremdlich „stillsteht“, wählt und kaum grunddemokratische Haltung zeigt.

Die Weiße Rose im Festspielhaus Neuschwanstein. Foto: Jonas Melcher
Von Selbsterhaltung zu Haltung – Die musikdramatische Adaption der „Weißen Rose“ im Festspielhaus Neuschwanstein
Widerstand, der unter dem Fallbeil endet – und darüber ein „Musical“? Da gibt es doch die klassisch seriöse Fassung der „Weißen Rose“ durch Udo Zimmermann … nur muss der Musiktheaterfreund gestehen, dass das Werk halt doch eine Spezialität für Freunde der zeitgenössischen Moderne ist. Und der kaputtgesparte Musikunterricht kann kaum Jugendliche dafür gewinnen.
Jetzt signalisierte nicht nur die sofortige Standing ovation im vollen Festspielhaus Neuschwanstein … auch der historisch fundierte Musiktheaterfreund kann beeindruckt attestieren: Gelungen, packend, fesselnd – mit einem Soundtrack, der nicht nur Jugendliche anspricht!
Voran Autorin und Regisseurin Vera Bolten, Komponist und Songtexter Alex Melcher, dann auch den Ausstattern Franziska Wüst und Marcus Brendel, zusammen mit wirksam dienlichen Hintergrundillustrationen von Jens Han und dem Lichtdesign von Andreas Hönig … letztlich über alle Beteiligten bis hin zum Choreographen Bart De Clerq – ihnen allen ist gelungen, fast „die ganze Geschichte“ um den tödlich endenden Protest der Münchner Studentengruppe zu theatralisieren: auf einer schwarzen Bühne mit vielen kleinen, dauernd fließend umgebauten Kuben, zwei großen, beweglichen Treppen zu einer bühnenbreiten Spieletage, durchweg temporeich, dann aber gut kontrastiert mit ruhigen, einfach gekonnt herausgeleuchteten Innehalt-Momenten für das ja reiche Innenleben der Scholls, Schmorells, Grafs und Probsts. Das mehrfach im grellen Kontrast zu kurz eingespieltem Goebbels-Hymnus-Gekeife, dem eiskalten Verhörtonfall der Gestapo bis hin zu Mini-Imitaten des brutalen Unrechtgebrülls bei den Todesurteilen durch den Blutrichter Roland Freisler: großes Lob an Darsteller Daniel Berger. Da gab es eine Ahnung der Geborgenheit in der Scholl-Familie. Die anfängliche, jugendliche Begeisterung für „HJ“ und „BdM“ wurde nicht verschwiegen und durch Kriegserlebnisse wie erste Meldungen von NS-Verbrechen gewandelt nachvollziehbar. Szenisch bildschön einfach und anrührend gelang etwa der stilisierte Briefwechsel quer über die leere Bühne zwischen Sophie und Hans Graf. Der Wandel bei Professor Kurt Huber, die Sorgen des dreifachen Vaters Probst, wilde Tanzfreude, Flirt und Liebe von Sophie – dies und dann vor allem das anwachsende Entsetzen über den Zusammenbruch von christlicher Zivilisation samt Rechtssystem und daraus erwachsend der jugendliche Elan, „etwas dagegen zu unternehmen“, bis zur gejagten Hetze mit der Flugblatt-Produktion – all das überzeugte und „stieß innerlich an“.

Sophie und Hans in „Die Weiße Rose“ im Festspielhaus Neuschwanstein. Foto: Jonas Melcher
Das war weniger Sven Raffs Sounddesign zu danken – der wie fast alle „Techno-Regler“ mit „Laut gleich Stark“ die Textverständlichkeit beschädigte. Vielmehr spielte die siebenköpfige Live-Band fetzig auf – Lob an Drummer Andreas Kurth – und fand für Sophies Naturschwärmereien wie die klein-großen Liebessehnsüchte auch mal mit Streichersüße ganz ins private Lebensmaß zurück. Damit machten die anfangs mädchenhafte, dann selbstbewusste Sophie von Frederike Zeidler und der zunehmend entschiedene Hans Scholl von Jonathan Guth wie letztlich alle übrigen Solisten um die differenzierte Traute von Tamara Köhn in Doppelrollen eine fesselnde Geschichte lebendig: wie aus besorgter Selbsterhaltung angesichts zunehmender Bedrohung schließlich hoffnungsvolle Haltung erwächst, hin zu Kampf und Widerstand bis zur Annahme des eigenen Todes. Textzitate der Gedichte und Briefe, knappe, pointierte Dialoge und dann packender Power-Sound: diese „Weiße-Rose-Mahnung“ wirkte „ins Heute mitnehmend“ wie im zentralen Song „Heut und in Ewigkeit“. Fazit: diese technisch gut mobil wirkende, perfekt rollendeckend besetzte und rundum überzeugend gestaltete Neufassung ist nicht nette Musical-Unterhaltung, sondern mitreißendes Musiktheater! Die Produktion muss über das Gastspiel in Münchens Deutschem Theater eine lange, lange Gastspielreise antreten – nahezu alle Theater und viele Stadt- oder Mehrzweckhallen sollten sofort „buchen“: Denn ja, so können ganze Schuljahrgänge etwa in Vormittagsvorstellungen aus der eigenen Geschichte mitgerissen lernen – und derzeit fehlende „Haltung“ einnehmen und praktizieren!
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