„Sofia grüßt Bayreuth“ steht an einer Plakatwand neben der Nationaloper. Es geht bereits um das Wagner Festival 2026, in dem die Bayreuther Festspiele ihr 150-Jahre-Jubiläum aufgrund angespannter Finanzlage mit „nur“ sieben Opern Richard Wagners feiern werden. In Sofia sollen es bei den Wagner-Tagen 2026 dagegen neun werden, obwohl auch dort die Subventionssituation nicht einfach ist. Weil das definitive Placet der staatlichen Geldgeber in Bulgarien relativ spät erfolgt, können Besetzungen, Programm und Marketing nur wenige Monate vor dem Festival fixiert werden. Noch ist man in Sofia unschlüssig, wann zwischen Mai und Juli 2026 das bislang größte Wagner-Event Bulgariens stattfinden wird. Das „Ring“-Finale „Götterdämmerung“ und die „Tannhäuser“-Neuproduktion bestätigen die hohe Qualität der Aufführungen.

Photo: ТАНХОЙЗЕР / TANNHÄUSER Opera by Richard Wagner.
Vorglühen für 2026: Ein neuer „Tannhäuser“ im „Balkan-Bayreuth“ Sofia
Es ist die große Vision des europäisch geprägten Intendanten Plamen Kartaloff, Wagner im Repertoire der bulgarischen Opernhäuser und insbesondere Sofias zu verankern. Einfach ist das nicht, die zu leistende Überzeugungsarbeit im eigenen Land, auf dem internationalen Wagner-Parkett und insbesondere in Deutschland immens. Trotzdem hat Kartaloff am Opernhaus Sofia in nur 15 Jahren eine bemerkenswerte Wagner-Kontinuität mit punktuellen Glanzlichtern und qualitativer Wertbeständigkeit entwickelt. Unter seiner Leitung fanden die Erstaufführungen von „Parsifal“ (2017) und „Tristan und Isolde“ (2015) statt – weit über hundert Jahre nach den Uraufführungen. Die bulgarische Parlamentspräsidentin Natalija Kisselowa besuchte die zweite „Tannhäuser“-Aufführung am 5. Juli und ließ sich auch von internationalen Gästen Rang und Qualität des Festivals erörtern. Die beiden letzten Vorstellungen „Götterdämmerung“ (in einem kompletten „Ring“-Zyklus) und der Neuproduktion „Tannhäuser“ zeugten von hoher Qualität und Ambition.
Kartaloff setzt als künstlerischer Gesamtleiter hohes Vertrauen in seinem Stab. Die Projektionen seiner „Ring“-Inszenierung wurden seit den Vorjahren perfektioniert. Wagners komplizierte Mehrgenerationen-Apokalypse ereignet sich mit klarer Erzählform in einer Ausstattungsästhetik aus Fantasy, Videogame und Märchen. Die Überwältigung mit deutlicher Symbolik und eindrucksvollen Effekten wie den feuerroten und tatsächlich gerittenen Ross-Skulpturen gelingt. Für das mit Wagnerscher Mythen-Länge nicht so vertraute Publikum ist es eine wesentliche Verständnisbrücke, wenn zu Waltrautes langer und von Kennenden gefürchteter Erzählung die Götter in vollem Ornat auftreten. Die prachtvollen Kostüme von Hristiana Michaleva-Zorbalieva und das Bühnenbild von Hans Kudlich, dazu das perfekte Zusammenspiel von Andrej Hajdinjak (Licht) und Elena Shopova (Multimedia) ergaben einen starken Sechs-Stunden-Abend. Evan-Alexis Christ feilte mit dem Orchester der Nationaloper an einem von Wärme und Transparenz getragenen Individualklang. Die Kantabilität der Streicher hat ganz hohes Format, das Blech beeindruckende Kraft.
Auf der Bühne steht eine Fünf-Sterne-Brünnhilde de luxe: Iordanka Derilova. Durch die kommende Spielzeit wieder als Isolde in Dessau zu hörende Sopranistin werden der zweite und dritte Akt zur Sternstunde. Derilovas Flüche sind ein imponierend höhensicherer Pfeilhagel. Die introvertierten Piani singt sie auf Weltklasse-Niveau und trotzdem der Story angemessen schrecklich. Mit intelligent gesteuerter Energie schwebt dieser italienisch geführte Sopran souverän und emotional über Wagners Klang- und Schicksalsgewalten. Einziges Handicap des ohne internationale Gäste auskommenden Ensembles ist die in „Götterdämmerung“ eigenartigerweise noch ausbaufähige deutsche Diktion. Packendste Leistung neben Derilova zeigen der hier gar nicht schwächliche Gunther durch den lyrischen Bariton Atanas Mladenov und der ausdrucksstarke Alberich von Plamen Dimitrov. Petar Buchkov gibt Hagen und den Landgraf in „Tannhäuser“ mit markantem Heldenbass. Kostadin Andreev singt Siegfried in den leisen und introvertierten Passagen überzeugend, setzt sich in den großen Ausbrüchen dagegen unnötig unter Druck.
Es lag gewiss auch am frühen Beginn an einem Donnerstagabend, dass „Götterdämmerung“ nicht so gut besucht war wie „Tannhäuser“ am späten Samstagnachmittag. Die kompakte Dresdner Fassung wurde auch bei offener Szene reichlich bejubelt. Constantin Trinks setzte unter Mithilfe durch die von Violeta Dimitrova glänzend präparierten Chöre ein ideales „Tannhäuser“-Statement aus opulentem Samt und dramatischer Elastizität. In den knapp bemessenen Minuten für die Venusberg-Orgie spult Maria Ilievas Choreographie ein ganzes Arsenal eindeutiger arkadischer Visionen ab. Darüber tönt und thront Radostina Nikolaeva – sie ist eher eine monarchische als erotische Liebesgöttin mit üppigem Mezzomaterial. Neben Venus' erotischer Entourage gibt es bei Plamen Kartaloff drei wesentliche, auch hier von Hristiana Michaleva-Zorbalieva prächtig kostümierte Gruppen um den unangepassten Minnesänger Tannhäuser: Harsche Mannen im Wartburg-Milieu, pittoreske Pilger in Mänteln wie von El Greco und Frauen, deren wallendes Schleiergewirk dem Weiß des Venusbergs bedenklich ähnelt. Im dritten Akt fehlt neben der Madonnen-Statue die zuerst daneben stehende Venus-Statue mit Füllhorn. Nach Elisabeths Opfertod löst sich Tannhäuser aus der martialischen Männer-Gruppe und kommt zu den Frauen. Er stirbt also nicht und findet Erlösung in einem hierarchiefreien Nirwana. Mit Martin Iliev hat die Oper Sofia einen imponierenden Tannhäuser aus dem eigenen Ensemble. Iliev erfüllt alle heroischen und lyrischen Ansprüche dieser schwierigen Partie mit sympathisch direkter Sensibilität. Neben ihm dominiert Eleonora Djodjoska-Mladenova als intensiv empathische Elisabeth. Sie überzeugt mit schönen Tönen und hellem Timbre, bis sie sich im zweiten Finale mit einem riskanten Forte überfordert. Spannend für deutsche Wagner-Ohren ist, dass sie die in der Tradition eliminierten Vokalverzierungen deutlich aussingt. Ventseslav Anastasov gestaltet Wolfram mit der in dieser Partie seltenen Markanz eines gereiften Charakterbaritons. Im Wartburg-Quartett der hochmittelalterlichen Liedermacher beeindruckt Emil Pavlov als Walter von der Vogelweide mit bemerkenswertem Belcanto-Tenor. Großer Jubel für ein beglückendes Ereignis und szenisch sein Ziel vollauf erreichendes Festspielabenteuer.
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