Mitunter scheint Kultur ja Nötiges lange vorher zu ahnen. Bedenkt man die lange Vorplanungszeit im Opernbereich, dann hat die Staatsoper in München sehr zutreffend „vorausgeahnt“ – und sehr zielgenau das kleine „Mai-Festival“ für 2025 mit dem überschrieben, was Kunst positiv wie negativ beschwören darf: „Illusionen“.

Matsukaze | Ja, Mai Festival 2025 | Premiere am 03.05.2025.
In westlicher Hose – Toshio Hosokawas „Matsukaze“ im Münchner Mai-Festival der Bayerischen Staatsoper
Zwei kleinere Produktionen bilden neben Filmen und Lesungen das theatralische Zentrum des dem Zeitgenössischen gewidmeten Festivals – diesmal fernöstlich orientiert. Neben der auf japanisches Kulturgut zurückgreifenden Kammeroper „Das Jagdgewehr“ des österreichischen Komponisten Thomas Larcher (vgl. nmz-online vom 16.08.2018) forderte „Matsukaze“ von Toshio Hosokawa (*1955; vgl. nmz-online vom 06.05.2011) eigentlich ein ausgiebiges Vorstudium zu den weitverzweigten Zügen der Handlung: Ein besinnlich wandernder Mönch findet an einer alten Strand-Kiefer die Namen der Schwestern „Matsukaze-Kiefernwind“ und „Murasame-Herbstregen“; ein Fischer erzählt ihm von der einst brennenden Liebe der Schwestern zum Dichter Yukihira, der in die große Stadt geht und dort stirbt; ihre unerfüllte Liebe lässt die erzwungen Salz sammelnden Schwestern seit Jahrhunderten nicht sterben; beide erscheinen dem Mönch im Traum und bitten ihn in ihr Salzhaus; er weist ihnen einen Weg, erlöst zu sterben; in einem ekstatischen Tanz gelingt ihnen dies, während der Mönch am Morgen weiter wandert.
Den zarten Zauber, die anrührende Melancholie hat Hosokawa nun mit Zügen des japanischen Nō-Theaters gestaltet, also den vier Gesangssolisten und dem personalisierten Baum je einen Performer beigeordnet. Er hat – aus seiner Ausbildung in Berlin, Freiburg, Darmstadt und England heraus - eine zeitgenössische Partitur für Kammerorchester geschrieben, angereichert mit einem Schlagwerk von 4 Fūrin, Große Trommel, 4 Tom-Toms, 4 Bongos, Maracas, Glockenstab, Güiro, Marimba, Crotales, Tam-Tam, 4 Rins auf der Pauke, 3 Triangel, Holzblock und Peitsche. Hosokawa sagt dazu selbst: „Es handelt sich damit um ein Theater, das in einer vom westlichen modernen Theater verschiedenen Dimension spielt.“
Statt sich darum zu bemühen, setzte die Staatsoper auf so etwas wie „moderne Kunst-Installation“: sie ließ von der in der Kunst-Avantgarde sehr eigenwillig angekommenen Alicia Kwade im weiten Raum der als Theaterraum oft genutzten ehemaligen Reithalle einen mit Spiegelflächen mehrfach verwinkelten „Wald“ aus Stahlstreben bauen, dazu Bodenbecken mit weißem Salz und schwarzem Wasser; darin bewegten sich die fernöstlichen Performerinnen mit der hermetisch wirkenden Körper-Gestik des Nō-Theaters in entsprechend typischen Kostümen, spielten mit Wasser und Salz - in das sich der halbnackte Mönch-Performer, der Münchner Schauspieler Thomas Schmauser in westlicher Hose legen durfte; die Gesangssolisten ließ Annika Lu in heutiger Alltagskleidung umhergehen, was sie vom – ausdrücklich dazu aufgeforderten – gleichfalls umhergehenden Publikum fast ununterscheidbar machte; als achtstimmiger Chor waren an einer Wand die Stuttgarter VOCES aufgereiht und klangen mehrfach atmosphärisch ausmalend in den Raum; all das und das im Zentrum sitzende Münchener Kammerorchester leitete Dirigent Alexandre Bloch mit sicherer, weit ausgreifender Gestik – auf zahlreichen Videoschirme im ganzen Saal damit Sicherheit verbreitend; nach einem von der hyper-japanisch gestylten „Soundartistin“ Mieko Suzuki am Laptop geleiteten 30-minütigen „Vorspiel“ aus dumpfem Rauschen und Instrumentalsplittern, prompt schlicht nur „lang“ wirkend, sollte „Klangregisseur“ Thomas Wegner dann die zahlreichen Orchester-Mikrofone und Solisten-Mikroports zusammenführen, doch blieben die Texte Viel zu oft unverständlich; der Instrumentalklang, ohne charakterisierende, beim Hören sofort eingängige Themen oder Motive, blieb eher typisch zeitgenössisch westlich, kaum fernöstlich; erfreulich dazu kontrastierte dann ein zartes Cello-Solo zum Wort „Frieden“, doch selbst ein sphärischer Ausklang rettete musikdramatisch zu wenig – speziell, da der ausdrücklich als „Szene“ betitelte, ja als „Erlösung“ wichtige „ekstatische Tanz“ ausblieb … der Musikfreund dachte enttäuscht an Chatchaturian und Salome … Zusätzlich klangen etliche Musikpassagen durch die Trittgeräusche des interessiert durch den Raum schreitenden Publikums gestört. All dieses überwiegend austauschbare „Raum-Arrangement“ wurde von den Inszenatoren Lotte van den Berg und Tobias Staab verantwortet.
Einen Gutteil der Werk-Fremdheit versucht das Programmbuch mit ausführlicher Zeittafel zur japanischen Kulturgeschichte, Produktionsgesprächen und Aufsätzen bis hin zu sieben Seiten Glossar zur japanischen Theater- und Musikkultur zu überwinden. Da finden sich dann so kulturell reizvolle Aussagen zur fernöstlichen Kultur, die „den ausgezeichneten Darsteller mit dem Begriff der Blüte (hana) zu erfassen versucht. Die Blüte ist schön, gerade weil sie flüchtig ist und schnell vergeht; ihr Aufblühen vollzieht sich vor dem Hintergrund der Vergänglichkeit. Es ist ein Gleichnis für das Leben, das ebenfalls rasch vergeht. Geburt und Tod sind im tiefsten Grund dem Inneren eines jeden Menschen eingewoben, und gerade weil das Leben zeitlich begrenzt ist, kann es als schön begriffen werden.“ Davon war fast nichts zu erleben. Dieses äußerlich aufwändige, aber innerlich maßstabslose Kunst-Multi-Kulti ließ den erfahren-neugierigen Musiktheaterfreund mit der Frage zurück, ob das nun das musikalische Theater der Zukunft ist – und ließ ihn entgegen dem Festivaltitel zurück: illusionslos.
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