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Wie klingt das neue Neue?

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Zu den Donaueschinger Musiktagen 2001
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Was ist überhaupt noch neu an der Neuen Musik? Diese Frage stellten sich der Festivalleiter der Donaueschinger Musiktage Armin Köhler und Boris Groys in einem im Programmheft abgedruckten Gespräch. Und sie muss auch anhand der diesjährigen Ergebnisse, die Köhler ja schon in der Vorbereitungsphase zumindest zum Teil bekannt waren, in besonderem Maße gestellt werden. Denn es scheint so, dass sich die Neue Musik gegenwärtig in einer Konsolidierungsphase befindet. Die zermürbenden Grabenkämpfe um Fort- und Rückschritt haben sich geglättet, Aufräumarbeit steht an. Viele Komponisten wagen es in dieser Situation nicht, sich aus dem Fenster zu lehnen. So hörte man viel solide Komponiertes, Mainstreamiges mit einigen unterspülten Uferregionen, kaum eine Arbeit aber trat mit öffnenden, gar visionären Aspekten aus der Reihe hervor. Freilich: Auch eine solche Bestandsaufnahme muss Aufgabe der Musiktage sein, die wie kaum ein weiteres Festival den Status quo zu dokumentieren suchen.

Was ist überhaupt noch neu an der Neuen Musik? Diese Frage stellten sich der Festivalleiter der Donaueschinger Musiktage Armin Köhler und Boris Groys in einem im Programmheft abgedruckten Gespräch. Und sie muss auch anhand der diesjährigen Ergebnisse, die Köhler ja schon in der Vorbereitungsphase zumindest zum Teil bekannt waren, in besonderem Maße gestellt werden. Denn es scheint so, dass sich die Neue Musik gegenwärtig in einer Konsolidierungsphase befindet. Die zermürbenden Grabenkämpfe um Fort- und Rückschritt haben sich geglättet, Aufräumarbeit steht an. Viele Komponisten wagen es in dieser Situation nicht, sich aus dem Fenster zu lehnen. So hörte man viel solide Komponiertes, Mainstreamiges mit einigen unterspülten Uferregionen, kaum eine Arbeit aber trat mit öffnenden, gar visionären Aspekten aus der Reihe hervor. Freilich: Auch eine solche Bestandsaufnahme muss Aufgabe der Musiktage sein, die wie kaum ein weiteres Festival den Status quo zu dokumentieren suchen.Dennoch ist der Anspruch des Publikums ein höherer, man erwartet Akzentsetzungen und Ausblicke. Der gegenwärtige Stand des Komponierens aber scheint verunsichert, der Schock eines „Anything goes“, das Postmoderne ebenso wie auch John Cage postuliert (wenn auch mit unterschiedlichen Akzentsetzungen), sitzt immer noch tief. Was soll man tun, wenn alles möglich sein soll. So begeben sich viele auf den Rückmarsch, sie versichern sich der kompositorischen Technik, werden profund darin, und liefern aus dieser Position heraus Werke ab, an denen es nach herkömmlichen Qualitätskriterien wenig zu bemängeln gibt. Kunst aber sollte mehr als nur Mängelvermeidung betreiben.

So gab etwa Wolfgang Mitterers Eröffnungsstück so etwas wie eine Parole aus: „Ein Feld bereiten“ war sein Klavierkonzert überschrieben und die Kreisbewegungen des Klaviers, mit denen das Stück anhob, taten dies. Das war hartkantig im Klang oder im Sound, Verzerrgeräusche gruben Schleifspuren in den kompositorischen Kontext, aber die Durchschaubarkeit der klangmodifizierenden Eingriffe bewirkte auch bald Abnutzungserscheinungen. Damit aber war eine gewissermaßen implodierende Verlaufsform des Hörens vorgegeben, die dieses Jahr immer wieder beobachtet werden musste.

Dabei hatte das Festival durchaus Akzente zu setzen gesucht. Einer war das aufwändige Videotryptichon für drei Orchestergruppen und Tonband „Sintflut“ von Detlev Heusinger, der in schöpferischer Personalunion für Bild und Klang verantwortlich zeichnete. „Wenn ich komponiere, dann stellen sich häufig Bilder oder visuelle Prozesse bei mir ein. Von da her ist es ganz selbstverständlich, dass diese Doppelung, die ja auch kontrapunktische oder einander widersprechende Möglichkeiten bietet, in einem größeren Projekt gemeinsam zu verwirklichen gesucht wird.“ Das meinte Heusinger zu seinem Stück. Und so war sie da, die Welt nach der Katastrophe, und sie war grausam schön: Eine nasse Landschaft mit symbolischen Farbgrundierungen und weiten und besinnlich schweifenden Blicken über die Zornestat Gottes. Sie war ausstaffiert mit Klangkaskaden aus den Schubladen von Entsetzensszenarien, dann wieder mit weiten Flächen neuer Heimfindung: zu drastisch, zu klar, zu konventionell im musikalischen Sprachgestus, der immer wieder, wie auch die betont schönen Bilder, Regionen des Klischees nicht vermeiden konnte. In Dreifaltigkeit vernahm der Besucher alles im Tripelschritt aus Bild, Orchester und Elektronik. Derart massiv und trotz der medialen Brechungen eindimensional hat man in Donaueschingen der letzten Generationen wohl kaum etwas vernommen.

Ein anderes Projekt, gewissermaßen eine dreiteilige Video-Oper von Peider A. Defilla, ging weit direkter und spontaner mit den Bedrohungen der Gegenwart um. Leider war es programmatisch unglücklich in die Musiktage eingebunden, denn es lief unter der Kategorie der Installationen, während es sich um drei aufeinander bezogene, halbstündige Aufführungen handelte. Der zweite Teil „Histoire du Soldat“ zeichnete in einer brutalen, eng verschachtelten Collage aus kopf- und gliederzerschießenden, blutspritzenden Computerspielen und Bildern vom realen Krieg ein Szenario der Durchdringung von virtuellen und realen Erlebensschichten mit textlicher und musikalischer Kontrapunktierung. Hier also gab es, auf krude Art von spontan gezimmerten Reportagen, gewiss auch etwas unfertig, was die Ausarbeitung der Details betrifft, einen Ausblick auf die Rolle, die zeitgenössische Kunst in medialer Vernetzung einnehmen könnte.

Ein zweiter Trend ging hin auf den in der Geschichte der Moderne immer wieder strapazierten Begriff neuer Einfachheit. Der in Prag lebende Komponist Martin Smolka hatte zum Beispiel ein Posaunenstück mitgebracht, es war eine 20-minütige Melodie, die im Delay-Verfahren in differenziert ausgehörten Weiten des Nachhalls und mikrotonaler Trübungen schwebte und Sehnsucht nach erfüllter Ruhe abgeklärt, wie man es im Rahmen Neuer Musik kaum vermutet, zum Thema machte. Von gleichermaßen abgeklärter, verspielter Gelassenheit und sanftem Humor war auch Dieter Schnebels Szenische Kammermusik „NN“, ein Kürzel etwa für „No Name“, geprägt. Es war ein sanfter Rückblick auf Erarbeitetes. Schnebel wirkte wie ein Jongleur, der mit seinen Bällen spielt: mit Poesie, mit Witz, mit stimmigem Timing, mit absurden Verkantungen von Klang und Geste. Und Schnebel machte mit diesem Stück einen ironischen Eingriff in die Moderne-Debatte. Er hatte das Zitat von Kafka „Es gibt nur das Ziel, aller Weg ist Zögern“ mit auf den Weg gegeben. „Man muss wo hin gehen“, unterstrich Schnebel und er durchbrach damit gegenwärtige Heilserwartungen, die man sich in der Nono-Folge allein vom Unterwegs-Sein verspricht. Mit der intuitiven Sicherheit des alten Avantgardisten spürte Schnebel Defizite des gegenwärtigen künstlerischen Tuns auf. Und mit dem szenischen Spaß „NN“, der die Protagonisten auch auf Fahrrädern oder Mopeds über die Bühne trieb, hatte Schnebel durchaus etwas erreicht, das als Ziel anzusehen wäre – ein Ziel, von dem aus freilich immer wieder weiter gearbeitet werden kann. „NN“ war ein geschmeidig lakonisches Werk der Reife, des milden Rückblicks auf vormalige Experimente.

Donaueschingen ließ diesmal besonders deutlich hören, dass man es sich auch im Unterwegs-Sein bequem machen kann. Zu den durchaus interessant gearbeiteten, dennoch kaum neue Hörerfahrung vermittelnden Stücken zählten ein virtuos mit Rissen im Medium arbeitendes Stück des Niederländers Michel van der Aa: „here (to be found)“. Auch Clemens Gadenstätters „Polyskopie“ oder „Circle of Time“ des blutjungen Japaners Takuya Imahori verrieten viel klanglich Ausgefeiltes und auch Alvin Lucier setzte mit seinem Stück „Ovals“ seine Experimente mit sich langsam verschiebenden Sinustönen, den daraus resultierenden Schwebungen und Einklinkmechanismen von orchestralen Klängen auf spannende Weise fort.

So ging es denn auch im Schlusskonzert mit dem SWR-Sinfonieorchester unter Sylvain Cambreling weiter. Der Münchner Jörg Widmann hatte ein formal zwingend gearbeitetes Orchesterwerk mit dem Titel „Implosion“ (wir erinnern uns an die vorne angesprochenen Hör-Verlaufskurven!) beigesteuert: ein ebenso hellhörig wie schrundig komponierter Prozess, der wie in 25-minütiger Zeitlupe Crash und Nachzittern nachstellte. Noch direkter ging James Dillon in seinem massiven Stück „La Navette“ (etwa: das Weberschiffchen) die Sache an. Aus pulsierenden Bewegungen, die sich mehr und mehr komprimierten und wie im rituellen Akt aufluden, traten wuchtige Gestalten hervor. Der Mythos von der vergewaltigten Philomele, der vom Täter Tereus nach der Tat die Zunge herausgeschnitten wurde, liegt dem Stück zugrunde. Auf einem gewebten Tuch teilte Philomele die Tat mit. Eine auch klangassoziativ schöne Idee.

Und vielleicht ließ auch Beat Furrers Abschluss-Stück „Orpheus’ Bücher“, das das von wild rotierenden Geistern umlagerte Heraustreten des Orpheus aus dem Hades schildert, davon ahnen, dass die Musik heute mehr und mehr am Status quo einer selbst gezimmerten Unverbindlichkeit, die diesmal nicht überhört werden konnte, zu rütteln versucht. Im unaufhörlichen Malstrom der Gestalten aus grellen Flüsterfiguren und wirbelnden Kaskaden trat der Klang näher zum Licht. Es ist eine Sehnsucht der heutigen Musik – und irgendwie, bewusst und unbewusst zugleich, wurde diese Sehnsucht nach neuen Ausblicken auch zum Thema der diesjährigen Donaueschinger Musiktage.

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