Am Badischen Staatstheater in Karlsruhe hat man keine Berührungsängste. So führt auch der gegenwärtige Intendant Peter Spuhler die eigenen Händelfestspiele nicht nur konsequent weiter, sondern riskiert auch dabei mal ein Experiment. Die große überregionale Resonanz gelang aber mit politischen Opern-Solitären. Nach den Bregenzer Festspielen wagte man sich an so heikle und unter die Haut gehende Werke wie Mieczyslaw Weinbergs Auschwitz-Oper „Die Passagierin“ oder Erkki-Sven Tüürs „Wallenberg“. In diese programmatische Linie gehört jetzt auch John Adams’ „Doctor Atomic“. Nach der deutschen Erstaufführung in Saarbrücken 2010 ist es die zweite Produktion auf einer hiesigen Bühne.
Nun gehören die Vereinigten Staaten in der Welt der Opern nicht zu den Supermächten. Schon deshalb haben erfolgreiche Komponisten wie John Adams (Jahrgang 1947) die Aufmerksamkeit auf ihrer Seite. Was an den Qualitäten seiner von Philip Glass und Steve Reich emanzipierten Postminimal-Musik liegt, bei der es manchmal sogar Anklänge an die deutsche Spätromantik gibt. Es liegt aber nicht zuletzt an den Stoffen, die er sich vornimmt. Er weicht damit nicht ins Ungefähre oder Mythologische aus, sondern arbeitet sich an brisanten politischen Plots aus der jüngeren Vergangenheit ab, deren Vorlagen durchaus noch in der Erinnerung des Publikums lebendig sind. Wie unter anderem mit „Nixon in China“ (1987) über den ersten Chinabesuch eines US-Präsidenten und mit „The Death of Klinghoffer“(1991) über die Entführung der Achille Lauro.
Das Libretto von Peter Sellars für den 2005 in San Francisco uraufgeführten Zweiakter „Doctor Atomic“ ist obendrein mit Originalquellen belegt, die aus dem Umfeld des amerikanischen „Manhattan-Projektes“ zur Entwicklung der Atombombe in Los Alamos, in der Wüste von New Mexico Mitte 1945 stammen.
Bevor Johannes Willig den Einsatz für einen phänomenalen Abend der Badischen Staatskapelle gibt, sind technische Alltagsgeräuschen zu hören. Dann setzt die rhythmisch eloquente Musik ein. Im ersten Teil vermischt sich die Spannung vor dem ersten Test mit den Diskussionen zwischen den Physikern Robert Oppenheimer (Gabriel Urrutia Benet), Edward Teller (Lucas Harbour) und Robert Wilson (Max Friedrich Schäfer). Dass sie den sprichwörtlichen Geist aus der Flasche lassen, scheint ihnen bewusst. Dabei staunt man über die pragmatische Naivität beim Nachdenken über die Folgen ihres Tuns. Den ersten Akt, dessen Musik wie in einem nervösen Staccato-Parlando vibriert, das von atmosphärisch dräuenden Intermezzi unterbrochen wird, haben der amerikanische Regisseur Yuval Sharon und Bühnenbildner Dirk Becker in eine Comic Ästhetik übersetzt, wie sie in jenen Jahren in Mode kam. Die Wüstenlandschaft, aber auch die Unwetter, die dem geplanten Test in die Quere kommen, werden skizzenhaft auf eine Gazewand projiziert. An ganz verschiedenen Stellen im Raum öffnen sich im Dunkel der Bühne (bzw. auf der Seite des Comics) kleine Räume in denen die Wissenschaftler diskutieren, der General Groves (Renatus Meszar) sie antreibt, oder den Meteorologen Hubbard (Jaco Venter) zu einer testfreundlichen Vorhersage zu zwingen versucht. Oder dann bei Oppenheimers daheim. Hier zelebrieren seine Frau Kitty (mit etwas scharfer Mezzopräsenz: Katharine Tier) im Wohnzimmer und ihr Mann in der Bibliothek ihre Einsamkeit. Der erste Teil endet eindrucksvoll mit einem sehr melodiösen Monolog, bei dem Oppenheimer John Donnes „Batter my heart“ vor dem Orchestergraben direkt ans Publikum adressiert.
Nach der Pause ändert sich die Bühne. Ein riesiger, gen Schnürboden gezogener Bogen Millimeterpapier bietet zum Graben hin genügend Spielfläche für den massiven Choreinsatz, der jetzt, wo es unmittelbar vor der Explosion ernst wird, der realen Handlungsebene so etwas wie eine mystische, aufs Weltganze zielende permanente Zombie-Atmosphäre evoziert. Dazu passt dann auch das Auftauchen des Tewa-Kindermädchens der Oppenheimers, die mit der Altstimme von Dilara Bastar wie eine indianische Verwandte von Wagners Erda orakelt. Dass Sellars und Adams den Text und die Musik vor dem unmittelbaren Countdown surreal aufladen, weil eine bewusst herbeigeführte Zeitenwende unmittelbar bevor steht, ist durchaus nachvollziehbar. Dennoch stehen sie sich mit dieser behaupteten Überhöhung selbst im Wege. Die Inszenierung setzt dem nichts entgegen, sondern verstärkt den Eindruck noch. Hier dominiert zu sehr das bedeutungsschwangere Auf- und Abmarschieren von Zivilisten, die wie von einer Ascheschichte überzogen sind und mitunter erstarren oder zu Boden gehen. Diese bewusst ausgebremste Dramatik liefert (wie die Musik) gleich mehrere mögliche Schlusspunkte. Will aber erst mit den Fragen einer japanischen Mutter nach Wasser und den wiederauftauchenden Alltagsgeräuschen bewusst einen finalen Kontra setzten. Bleibt aber doch hinter der ersten exemplarischen Thematisierung eines Atomschlages auf der Opernbühne (in Bernd Alois Zimmermanns „Soldaten“) deutlich zurück.
Insgesamt freilich ist in Karlsruhe wieder eine packende Opernproduktion auf hohem musikalischem Niveau gelungen.
Weitere Vorstellungen: 13.2., 7.3., 16.4., 10.5, 21.5. und 25.5. 2014 www.staatstheater.karlsruhe.de